Fortsetzung
„We the people of the United States of America…“
Die amerikanische Demokratie hat Trump abgewählt —
Mögliche Folgen für Deutschland? Teil II, Fortsetzung
Der Aspekt politischer Narrative
17.01.2021 bis 27.01.2021
Der radikale Bruch: Platon’s Weg „vom Mythos zum Logos“
Einen radikalen Bruch dieser Tradition, der Welten-Erklärung durch Theogonien sowie dem Narrativ der „göttlichen Wahrheit“, kündigt sich durch Sokrates (469-399 v.Chr.) in Platon’s philosophischen Dialogen (469-399 v.Chr.) an. Wie radikal dieser Traditions-Bruch gewesen sein muss, lässt sich u.a. auch daran erahnen, dass fortan der Mensch selbst, kraft seines Denken-Könnens, aus der „Abhängigkeit der Götter“ in ein selbst-bestimmtes Leben herein-tritt. Und schlimmer noch (für die Mythen-Tradition): das höchste Gut der Götter, das „allmächtige Wissen“ mit seiner unergründlichen, allumfassenden Wahrheit, wird nun aus ihrem Bereich heraus- und in den Bezirk der Sterblichen hinein verlagert. Damit ist der Ort der Wahrheit nicht länger ein Bestand in einem fernen Götter-Himmel, sondern ein wesentliches Vermögen, ein Anthropologikón, des Menschen auf dieser Erde. Nur noch als ein dem menschlichen Erkenntnis-Vermögen kaum verhülltes Geheimnis, lässt Platon die göttliche Wahrheit als schaubares „Urbild“, die „Idea“, fortbestehen (vgl. Palton, Symposion, hierin: „Diotima Dialog“, Aufstieg zu und Schau der Ideen). Philosophiegeschichtlich spricht man bei diesem unumkehrbaren Entwicklungs-Schritt der Menschheit im vierten Jahrhundert vor Christus, als dem Fort-Schritt „vom Mythos zum Logos“. Aber selbst Platon greift in seiner Klugheit, sobald es um die „letzten Geheimnisse“ des Menschen und der Götter geht, etwa wenn er die Konstitution der menschlichen Seele beschreibt, ob diese unsterblich sei und nach dem Tode noch Erkenntnis-Vermögen besitzt, auch noch auf den „palaios Logós“, auf eine „alte Erzählung“, den „erklärenden Mythos“, zurück (vgl. Platon, Phaidon). Noch ist in Platon’s Dialogen die Wahrheit des Menschen relativ (vgl. Platon, Politeia, 7. Buch, „Höhlengleichnis“). Noch trifft Platon eine wesentliche Unterscheidung in das absolut Schöne, Gute, Wahre „an-sich“ der „Urideen“ sowie in das relativ Schöne, Gute, Wahre des Menschen, behält die Unterscheidung von absoluter Wirklichkeit und menschlicher Realität als Relativum bei (vgl. Platon: Urbild-Abbild-Theorie). Noch ist des Menschen Wahr-Sein durch ein ideelles, ein absolutes Wahr-Sein begründet und durch dieses umfasst. Zwar hebt er des Menschen Erkenntnis-Vermögen bis knapp unterhalb des göttlich Wahren empor, ein zu dieser frühen Zeit ungeheurer Affront, aber Platon ist zugleich auch klug genug, um das grundsätzliche Verhältnis als Gefüge des Ganzen beizubehalten. Denn für Platon ist sowohl des Menschen Wissens-Grundlage wie auch dessen Existenz-Grund ein An-Teil-Sein, eine Teil-Habe, am göttlichen Sein (vgl. Platon, Phaidon, Methexis-Gedanke; verkürzt gesagt: nur weil der Mensch An-Teil hat an der Uridee des göttlich Schönen und Wahren, ist seine relative Wahrheit „wahr“, „gut“ und „schön“). Zwar ersetzt Platon den tradierten „Götter-Himmel“ des „alten Sagens“ durch einen „Ideen-Himmel“ menschlicher Schau. Aber noch verbleiben Mensch und Welt in der Obhut der Götter — wenn auch der Mensch hinsichtlich seiner Lebens-Entscheidungen von den Schicksalsfäden der Moiren befreit worden ist (vgl. Platon, Apologie).
Das Ende mythischer Welten-Deutung: die aristotelische Logik
Platon’s Schüler hingegen, Aristoteles aus Stageira (384-322 v. Chr.), wird mit seiner „Lógik“ den vollkommenen Bruch mit dieser fast tausendjährigen Tradition der „göttlichen Wahrheit“ vollziehen. Für ihn ist „wahr“, was der menschliche Intellekt in Übereinstimmung mit der von ihm betrachteten Sache zu erkennen vermag (vgl. Aristoteles, Metaphysik). Wir kennen diese Grundstruktur der Logik meist als Theorem des Thomas von Aquin: „veritas est adaequatio intellectus et rei“ (vgl. ders., Summa Theologiae, I Quaestiones 16). In der griechischen Antike ist Aristoteles — sofern es die herkömmliche gottgewollte Welten-Ordnung anbetrifft — der eigentliche Ver-Brecher. Denn er zerbricht den Wahrheits-Mythos der „Götter“ und bricht mit dem platonischen Ideen-Himmel. Seine Philosophie entzaubert die Theogonien, Sagen, Mythen und Legenden — und bezaubert durch sein unbezwingbares, unwiderlegbares, sein präzises Wissen. Bei Aristoteles hat die Götterwelt als Deutung und Strukturierung sowohl der Welt als auch des menschlichen Daseins ausgedient. An ihre Stelle tritt fortan der „aristotelische Logós“, jenes menschliche Vermögen, das alles zu erkennen, alles zu verstehen, das alles zu einem Ganzen harmonisch zu ordnen vermag (vgl. u.a. das sog. „Logische Quadrat des Aristoteles“). Sein „Organon der Wissenschaften“ ist präzise strukturiertes Wissen. Ein Schritt, der sich in den kommenden Jahrhunderten universell vollziehen wird. Und seit dieser Zeit sucht der Mensch nach der berühmten „Welten-Formel“ als dem „göttlichen Bauplan“. Einer universalen wie auch universellen „Formel“, mit der er Seiendes wie auch das Sein selbst zu erklären vermag. Diese „Grals-Suche“ reicht von der klassischen Antike über das Mittelalter (vgl. Alchemie), über die beginnende „Neuzeit“ (vgl. die maßgebenden Astronomen), bis in die wissenschaftlichen „Modelle“ heutiger Naturwissenschaften. Als erzählendes, modernes Epos findet sich dieser Aspekt der „Welten-Formel“, d.h. die Erklärung der Welt wie des Universums aus einem einzigen, „singulären Grund“, im Protagonisten des „Architekten“ wieder (vgl. „Matrix“-Epos). Durch Aristoteles ist der Mensch „ein Wanderer zwischen den Welten“ aus Mythos und Logos geworden, ein Wechsel-Gänger zwischen erfundenen Sagen und präzisem Wissen, ein „Kind zweier Welten“, aus Immanentem (physis) und Transzendentem (metá-physis). Denn er ist einerseits ein Lebe-Wesen, gesegnet mit der Gabe der Intuition, der Schau des mystisch Transzendenten als dem Metá-Physischen, wie er andererseits zugleich auch begabt ist mit Verstand, Vernunft, Geist hinsichtlich des Erkennbaren und Objektivierbaren. Selbst der „moderne Mensch“ trägt beide Pole menschlichen Seins noch immer in sich, aus deren wechselseitiger Spannung heraus er sein Leben gestaltet, seine Existenz erhellt und entfaltet. Doch nochmals retour zu früheren Epochen.
Die beginnende „Neuzeit“: Welten-Deutung des Glaubens versus Klärung der Realität mittels Wissenschaften
Seit Sokrates, Platon, Aristoteles et al. zerbrach also die Tradition, die weitergebende Erzählung der Götter-Mythen in Theogonien, als Deutungs-Grund für Welten-Geschehen und Menschen-Geschick. Einen ähnlich radikalen Bruch im Verständnis von „Welt“ und Selbst-Verständnis des Menschen wird es in Europa erst wieder im späten 16. und frühen 17. Jahrhundert geben, wenn Gelehrte und Professoren einer mathematisch begründeten „Neuen Wissenschaft“ das ptolemäische, geozentrische Weltbild durch das kopernikanische, heliozentrische Weltbild ersetzen werden. Kraft exakt berechnender Wissenschaft (Kopernikus,Tycho Brahe, Galilei, Kepler, et al.), wird ein über Jahrtausende währendes, als unabänderlich geglaubtes und damit als ewig gültig gedachtes Welten-Bild abermals durch methodisch beweisbares Wissen abgelöst. Wissenschaftsaberglaube auf Grundlage einer „autoritas“ bzw. „auctoritas“ wird nach und nach durch methodische Wissenschaft ersetzt. Fortan gilt: „Richtig“ und „wahr“ ist nicht länger, was die katholische Kirche per Dogma verordnet oder eine „Autorität“ einstmals gesagt hatte, sondern was man geometrisch exakt darlegen, mathematisch exakt berechnen und mittels dieser Methoden präzise zu beweisen vermag. Ein ungeheuerlicher, ein Angst verbreitender, ein skandalöser Vorgang, der jahrtausendewährende Macht-Hierarchien, also angeblich „gottgewollte Ordnungen“ im glaubenden Denken, in den Weltanschauungen, in den „Stände-Gesellschaften“ als obsolet erscheinen ließ. Die Vormachtstellung und Deutungshoheit der antiken Seher, Schamanen, der (Hohen-)Priester, der römischen Kurie und damit die Gültigkeit der religiös begründeten Weltbilder und Kosmogonien, geht über in den Bereich der sich herausbildenden, der forschenden und beweisenden (Natur-)Wissenschaften. Mathematik und Geometrie steigen auf zu Leitwissenschaften, die in ihren praktischen Anwendungs-Konsequenzen bis in den Alltag des Einzelnen herein-reichen, diesen beeinflussen, fortan mitbestimmen (vgl. u.a. die zunehmende Flut der Erfindungen zu Beginn der „Neuzeit“, 1492). Selbst das cartesianische „cogito, ergo sum“, die rationale Grundlage des „modernen Menschen“, ist ohne die Grundlagen von Mathematik und Geometrie sowie den methodischen Zweifel, nicht einsichtig verstehbar (vgl. René Descartes, Meditationes de Prima Philosophia, Meditatio Secunda). Was seit Beginn der Kulturen Mythos, Religion bzw. Theologie und Philosophie leisteten, das wird nun von mathematischen Berechnungen durch Ziffer, Zahl und Formel abgelöst. Eine fortschreitende, eine voran-schreitende, sich selbst korrigierende Ausdifferenzierung des Menschen möglichen Wissens, worin wir uns heute noch immer befinden. Glauben, seit der Antike das „Zentralgestirn“ menschlichen Zusammen-Lebens, wird zu Beginn der „Neuzeit“ durch ein sich ausdifferenzierendes „Universum des Wissens“ abgelöst. Theologie und Religion verlieren ihr „Alleinstellungs-Merkmal“ und ihre unangefochtene, alleinige Deutungs-Hoheit bezüglich der „Welt“ an aufstrebende Wissenschaften. Der „alte Adam“ verlässt „das Paradies“, den „umhegten Garten Gottes“, wie es die jüdisch-christliche Religion ins Bild fast. Weder „allwissend“ wie die antiken Götter-Bilder, noch „unwissend“ und damit unschulig wie ein Kind. Des modernen Menschen Wissen ist kein „fertiges Wissen“, kein „Bestand“, wie in der Uridee Platon’s beschrieben, sondern ein „prozessuales Wissen“, ein voran-schreitendes Wissen, ein „Wissen im Werden“. Und somit wird der Mensch selbst, der Homo sapiens, im Zeitalter des sog. „Anthropozäns“, nun seinerseits zum Zentrum jener Wissens-Galaxie, worum sich Wissenschaften, „Welt“ und Mensch-Sein, tausenden von aufstrahlenden Sonnen gleich, gemäß ihrer berechenbaren Bahnen, drehen.
So viel zum historischen Aufriss erzählender Strukturen als Narrative unterschiedlicher Art, deren Sinn, Zweck und hierin transportierten Zielsetzungen.
Ausblick
Im folgenden Beitrag soll es um verschiedene Formen politischer Narrative in der heutigen Zeit gehen.
Quellen und Verweise in der Reihenfolge ihrer Nennung:
Sokrates, 469-399 v. Chr.
https://de.wikipedia.org/wiki/Sokrates
Platon, 428-348 v. Chr.
https://de.wikipedia.org/wiki/Platon
Aristoteles, 384-322 v. Chr.
https://de.wikipedia.org/wiki/Aristoteles
Das „Logische Quadrat“ des Aristoteles
http://www.acadepedia.de/lexi/Logisches_Quadrat.html
Die Methode des logischen Schlussverfahrens
https://www.philoclopedia.de/was-kann-ich-wissen/logik/syllogismus/
Nikolaus Kopernikus, 1473-1543
https://de.wikipedia.org/wiki/Nikolaus_Kopernikus
Tycho Brahe, 1546-1601
https://de.wikipedia.org/wiki/Tycho_Brahe
Galileo Galilei, 1564-1642
https://de.wikipedia.org/wiki/Galileo_Galilei
Johannes Kepler, 1571-1630
https://de.wikipedia.org/wiki/Johannes_Kepler
René Descartes, 1596-1650
https://de.wikipedia.org/wiki/Ren%C3%A9_Descartes