„We the people of the United States of America…“
Die amerikanische Demokratie hat Trump abgewählt —
Mögliche Folgen für Deutschland? Teil II
Der Aspekt politischer Narrative
17.01.2021 bis 27.01.2021
Was sind politische Narrative? Versuch einer skizzenhaften Systematik
allgemeine Definition
Etymologisch leitet sich der Begriff Narrativ von lat. narrare, kundtun, erzählen, schildern, Nachricht geben, etc.pp., ab. Als Begriff schließt er gemäß logischer Kategorien gewisse Inhalte ein, die er sinngemäß umfasst, andere Inhalte schließt er jedoch abgrenzend hierzu aus.
Vielleicht die allgemeinste Definition von „Narrativ“ könnte lauten: Ein Narrativ, eine Erzählung, ist all dasjenige, das in unsere Sprache hereinkommt und als ein Sagen mit einer gewissen Absicht verbreitet, also tradiert, wird. Ein Narrativ transportiert einen Sinn, verfolgt einen Zweck und hat ein mehr oder minder klar definiertes Ziel, das durch die erzählende Weitergabe angesteuert wird. Ferner kann die Erzählung an der Realität orientiert sein und kann, „cum grano salis“, ein Körnchen Wahrheit enthalten. Sie kann jedoch genauso gut völlig frei erfunden sein und auf bloßen Behauptungen bis hin zu Lügen (vgl. Trump-Narrative) basieren. Ein gutes Narrativ wird stets, wie das klassische Drama, einer Erzähl-Struktur folgen, um den Zuhörer bzw. Zuschauer in seinen Bann zu ziehen. Schließlich will man irgendeine Wirkung erzielen, etwa Glaub-Würdigkeit und nachfolgend hierzu Vertrauen in das Gesagte aufzubauen. Diese Weitergabe des kommunizierten Erzähl-„Stoffes“ kann mündlich, schriftlich oder, seit etwa 20 Jahren, multimedial als SMS, Mail, Tweet, o.ä., erfolgen. Aus der Weitergabe des Gesagten wird durch Vervielfältigung in der Zeit „erzählende Tradition“ (von lat. tradere, weitergeben, übergeben, überliefern, anvertrauen), u.z. einerseits im Sinne von „erzählter Geschichte“, etwa erzählter Stammes-Geschichte, und andererseits im übertragenen Sinne eines „ungeschriebenen Gesetzes“, das als „Tradition“ eine Menschengruppe eint. Daraus spinnt sich über viele Generationen der „rote Faden“ einer Kultur-Gemeinschaft: das gemeinsame Ethós, die Sitte, der Brauch — heute sagen wir dazu: das einende, tw. auch eingeschworene „wir-Gefühl“.
Die Ordnung der Narrative gliedert sich in diverse Gattungen, die nach ihrem gewählten Ober- bzw. Gattungs-Begriff anhand von Kategorien gegliedert, strukturiert und systematisiert werden (können). Ein solcher Oberbegriff kann deren gewählte Erzähl-Form einer Sage, eines Mythós, eines Epos, eines Gedichtes, eines Tweets, u.v.a.m. sein. Oder aber deren Inhalt, z.B. persönlicher, politischer, allgemeiner Art; oder wir ordnen die Narrative gemäß der Kategorien ihrer Zielsetzung, dann wird eine spezifische Eigenschaft wie etwa berichtend, informierend, manipulierend, indoktrinierend, terrorisierend, u.a.m. den Oberbegriff der jeweiligen Gattung bilden.
Zur kurzen Verdeutlichung des Gesagten: Sicherlich kennen die meisten von uns die Narrativ-Gattung des Epós , etwa die Homerischen Epen aus der Zeit der griechischen Antike; es gibt sodann die neueren Epen, etwa zur Besiedlung des amerikanischen Kontinents; und es gibt, last but not least, die zeitgemäßen Epen des Abendprogrammes/der Streamingdienste. Sie alle transportieren als „Erzähl-Folie“ persönliche Gefühle, wobei diese strukturierte Nähe des Narrativs für unser Erleben selbst unsichtbar bleibt. Ob „Troja“, „Tatort“, „daily Soap“ oder „Werbeblock“: sie alle dienen den Zuhörern und Zuschauern als Abstraktum ihres persönlichen Alltages sowie individuellen Erlebens desselben. Ihre erzählende Nähe kann reine Fiktion sein; ihr Zweck irgendeine Form der „Unterhaltung“; ihr psychologisches Werkzeug und inhärenter Sinn: die sublime Suggestion einer Manipulation.
In den nachfolgenden Blogbeiträgen soll es um eine Auswahl von politischen Narrativen, deren Herkunft, deren Sinn, Zweck sowie deren Zielsetzung gehen. Darin wird den sog. „toxischen Narrativen“ besondere Aufmerksamkeit zukommen, da diese sowohl den Zusammenhalt unserer Gesellschaft als Lebens-Gemeinschaft als auch das Fundament unseres Staates als Organisations-Gemeinschaft am nachhaltigsten gefährden.
Werfen wir zunächst einen flüchtigen Blick auf „die Welt der Narrative „, sozusagen „die Genealogie der Narrative“, betrachten wir überblicksartig ihre Historie, um die Funktionsweise von Narrativen für Gesellschaft und Staat in der Vergangenheit erfassen zu können. Und werfen wir sodann einen etwas genaueren Blick auf „die politischen Narrative dieser Welt“, um deren Zielsetzungen in der Gegenwart besser einschätzen und verstehen zu können.
Die politischen Narrative der antiken Theogonien und staatliche Gründungs-Mythen
In diesen Bereich der sinnstiftenden Erzählungen gehören m.E. die Gründungs-Epen der frühen Kulturen, die Theogonien, die Gründungs-Mythen der Stammesgemeinschaften. Kurz: das durch Erzählen-in-der-Zeit weiterlebende, das einende Fundament von Völkern und Nationen als das ihnen gemeinsame kulturelle Erbe. Als Beispiel für das Gemeinte kann uns Hesiōd’s „Theogonie“ aus dem siebten, vorchristlichen Jahrhundert dienen. Gleiches trifft aber auch auf Theogonien späterer Epochen wie auch anderer, weltweit verbreiteter Kulturen, zu. Letztlich weist jede Kultur die beschreibende Erzählung ihrer spezifischen „Götter-Welt“, ihres „Götter-Himmels“, ihres je eigenen „Pantheons“, auf. Chronologisch, quer durch alle erforschbaren Zeiten; geographisch, über alle Kontinente hinweg verteilt. Ziel dieser Erzählungen ist u.a. die Schaffung einer hierarchischen Struktur, die, zumeist bei Kontinental-Kulturen, „den Göttern oben“ einen elysischen Wohnort, den „Menschen in der Mitte“ einen realistischen Wohn-Raum sowie den „Dämonen unten“ eine Bahausung in den Klüften und Untergründen der Erde, zu-schreibt. Es ist eine „göttliche“ Ordnungs-Struktur von Menschen gemacht und von diesen erzählend von Generation zu Generation tradiert. Mit dieser erzählenden Tradition wurden zuerst die Macht-Verhältnisse von Stammes-Fürsten, später dann von Stadtstaaten (Athen, Sparta), von mittelalterlichen Monarchien (…König*in bzw. Kaiser*in „von Gottes Gnaden“…) sowie von komplexeren Staatsformen wie etwa der „Römischen Republik“ (Gründungs-Mythos von „Romulus und Remus“, 753 v. Chr.), bis hin zu den späteren Imperien der Kolonialzeit geregelt, fest-geschrieben und unhinterfragbar „heiliggesprochen“. Und je komplexer das Staatengebilde war, worauf der Mythos Anwendung fand, desto weit-reichender wurde auch seine Erzählstruktur. So auch der „Gründungs“-Mythos der amerikanischen Demokratie, das sog. „Manifest Destiny“ von 1845, der besagt, dass „die Weißen“ einen göttlichen Auftrag besitzen, den „unzivilisierten Wilden“ ihre überlegene Kultur von Freiheit und Demokratie zu bringen. Das Manifest Destiny diente zunächst Präsident James K. Polk (1845-49) als Rechtfertigung seiner Expansionspolitik nach Westen (Richtung Pazifik; Indianer-Kriege) sowie nach Südwesten in die spanischen Hoheitsgebiete Mexikos (amerik.-mexikanischer Krieg, 1846-48). Später löste sich aus diesem Gründungs-Mythos das Narrativ des amerikanischen „Freiheits-Mythos“, das besagt, dass die USA der weltweite Garant für Freiheit und Demokratie sind, ein politisches Narrativ, das bis in die jüngste Zeit (die Kriege im Irak, Afghanistan, Syrien, „Kurden-Frage“, etc.pp.) seine Gültigkeit besaß und bis dato seine politische Anwendung findet. Jüngstes Beispiel: die amerikanische Blockade des deutsch-russischen Unternehmens „NordStream II“, wobei nicht nur der texanische US-Senator und bekennende Trumpist, Ted Cruz, entgegen der Faktenlage behauptet, dass Amerika Deutschland lediglich vor russischer Abhängigkeit bewahren, also die deutsche Freiheit verteidigen und schützen wolle. Faktisch geht es jedoch um den dreisten Versuch, aggressive amerikanische Wirtschafts-Interessen diktatorisch gegenüber den souveränen Interessen der Bundesrepublik Deutschland durchzusetzen und die deutsche Abhängigkeit von amerikanischen Produkten zu steigern: texanisches (Fracking-)Öl versus russisches Gas… Und selbst die Doktrin des sog. „Amerikanischen Exzeptionalismus“ im 20. und 21. Jahrhundert, die die herausgehobene Sonderstellung der USA über alle anderen Staaten kolportiert, hat ihren Ursprung im o.g. Narrativ von 1845. Ebenfalls ein äußerst wirkmächtiges und universell tradiertes Narrativ der us-amerikansichen Politik, ist die politisch kolportierte Erzählung, dass die „Globalisierung“ allen Menschen „Fortschritt und Bildung, Wohlstand und Freiheit“ bringen würde. Faktisch brachte diese Wirtschafts-Form weltweite Unterdrückung, modernes Skalventum, Ausbeutung und Armut über 95% der Weltbevölkerung, während die 3-5% der „Superreichen“ auf Kosten des „Mittelstandes“ und der Armen noch reicher wurden…
Wir sehen: politisch motivierte Narrative können — durch alle Epochen hindurch — bisweilen kaum kaschierte Ehtnozentrismen sowie wirtschaftliche Hegemonie-Ansprüche transportieren, die sowohl mit dem Inhalt des Narrativs selbst (Abhängigkeit anstatt propagierter Freiheit / Souveränität) als auch mit der Realität „vor Ort“ (sozialer Aufstieg, Bildung, etc.) kaum etwas gemein haben.
Sinn, Zweck und Ziel antiker Narrative
Doch zurück zur griechischen Antike. In Abgrenzung zu Hesiōd’s Theogonie, jedoch ebenfalls zum Fundament der griechischen, antiken Kultur gehörend, sind etwa Homer’s Helden-Epen der „Odyssee“ (Schriftform wahrscheinlich Ende des 8. Jh. v. Chr.) und der „Ilias“ (Entstehung um 700 v. Chr.) zu nennen. Ferner die literarischen Gattungen der Dramen, Tragödien, der Komödie sowie die Lyrik. Während nun die Theogonie als „Lehrgedicht“ die Genealogie, also die Entstehung und das Werden der Götter-Geschlechter zum Inhalt hat, erzählt der Mythos des Odysseus die Verquickung des menschlichen Lebens, mit seinen Freuden, Erfolgen, seinem Ruhm, aber auch den Schicksalsschlägen, seinem tragischen Scheitern, als Gunst und „Geschick“ der Götter. Des Menschen „Schicksal“ wird ihm von den Göttern zugeschickt; diese sind in ihren Entscheidungen frei, jener muss sich in seinem Schicksal ein Leben lang bewähren. Dies ist der Sterblichen „Los“, gemäß dieser Helden-Narrative. Andere Epen beschreiben andere Aspekte menschlichen Seins: das Herakles-Epos beschreibt in den “ zwölf Arbeiten des Herakles“ etwa die Klugheit, den Mut sowie die Tatkraft eines göttergleichen Heroen; das Sysiphos-Epos u.a. die listige Verschlagenheit, die skrupellose Schlauheit eines „Frevlers“, der zur Strafe nach dem Tod die ewig währende Mühsal, das Scheitern, die Qual des Sinn-losen Tuns in der Unterwelt, im Reich der Toten, erleiden muss. Andere beschreiben Anderes. Das die frühen Mythen miteinander Verbindende, ist die Sichtweise: Die freien Götter „oben“ halten den unfreien Menschen, einer Marionette gleich, an den Spinnfäden der Moiren bzw. Parzen, der Schicksals-Göttinnen, gefangen. Diese spinnen des Menschen „Lebensfaden“, weisen ihm Gunst und Glück, Missgunst und Strafe, Krankheit, Leid und Tod nach ihrem Maße zu. Der kluge Mensch wird sich diesem „Geschick“ gehorsam ein-fügen; der unkluge jedoch, der häretische Mensch hingegen, wird gegen diese Ordnung aufbegehren, rebellieren, wird versuchen, die „Marionettenfäden“ der Götter kraft eigener Entscheidung zu durchtrennen, um gänzlich frei zu sein…— So die in kulturell-politischen Narrativen tradierten menschlichen Hierarchien, die menschlichen Götter-Ordnungen, der frühen Kulturen entlang des Nils, des Zweistromlandes, des östlichen Mittelmeerraumes bis etwa 500 v.Chr. . Dann jedoch vollzieht das Denken des klassischen Griechenlands einen radikalen Bruch.
Fortsetzung folgt
Quellen und Verweise in der Reihenfolge ihrer Nennung:
Begriffs-Definition von „Narrativ“ in den Sozialwissenschaften
https://de.wikipedia.org/wiki/Narrativ_(Sozialwissenschaften)
Der Begriff des „Regeldramas“, wiki
https://de.wikipedia.org/wiki/Regeldrama
Aufbau und Struktur des „klassischen Dramas“
https://www.theaterkapelle.de/klassisches-drama/
Hesiōd’s Theogonie, Projekt Gutenberg
https://www.projekt-gutenberg.org/hesiod/theogon/theogon.html
O’Sullivans Wortlaut des Manifest Destiny, 1839
in: „The Great Nation of Futurity,“ The United States Democratic Review, Volume 6, Issue 23, pp. 426-430.
https://teachingamericanhistory.org/library/document/manifest-destiny/
Die historischen Auswirkungen des Manifest Destiny, Stanford University Press
http://www.americanyawp.com/text/12-manifest-destiny/
Der amerikanisch-mexikanische Krieg von 1846-48
https://de.wikipedia.org/wiki/Mexikanisch-Amerikanischer_Krieg
Die Doktrin des „Amerikanischen Exzeptionalismus“
https://de.wikipedia.org/wiki/Amerikanischer_Exzeptionalismus