WAS UNS HINDERT, ZU VERSTEHEN


WAS UNS HINDERT, ZU VERSTEHEN

 

Gegenseitig, sich verachtend,

trennt Getrenntes sich im Streit,

statt der Seiten Art betrachtend

und zur Schätzung je bereit,

zieht ein jedes aus des Andern

Anderssein das Recht zum Krieg,

kein Erfahren, kein Bewandern,

Kennenlernen gilt, nur Sieg.

 

Und so geht an Unterschieden,

die das Menschsein mit sich bringt,

die, statt anerkannt, gemieden,

ja beseitigt, statt geringt,

schließlich unsre Welt zugrunde,

wenn nicht Einsicht sich besinnt,

statt Hurra in Siegers Munde

die Ergänzung Platz gewinnt.

 

Gegensätze gilt’s, zu achten,

was sie setzen, gilt’s, zu sehn,

und ein jeder sollte trachten,

was sie antreibt, zu verstehn.

Widersprüche ernst zu nehmen,

bringt den Andern erst ins Spiel.

Sich an seinen Ort bequemen,

ihn ver-stehen, hilft oft viel.

 

Die Entsprechung aufzuspüren,

wo wir eins und doppelt sind,

dies und das zusammenführen,

Spinnefeindschaft macht uns blind.

Geht’s auch nicht, wie in der Liebe,

wo sich eins im Andern rührt,

zu im täglichen Getriebe,

Vorbild bleibt, wohin sie führt.

 

Nicht, dass alles eitel Wonne,

und kein Gegensatz regiert.

Auch wenn selten scheint die Sonne,

sag ich’s trotzdem ungeniert:

Statt, verfeindet, zu verhöhnen,

was, uns fremd, noch nicht entspricht,

mit einander zu versöhnen,

ist des Menschen stete Pflicht!