Von Engeln und Menschen, Teil 2


Von Engeln und Menschen

06.08.2017

Zwar haben alle Engel Gottes

auf einer Nadelspitze Platz —

aber ein einziger Mensch

hätte weder in der „Welt“ genügend Raum

noch auf der ganzen Erde genügend Platz.

Kommentar:

Vom Menschen, Teil 2

Der Mensch als Anteils-Eigner dreier „Welten“ — der biologisch-materiellen, der geistigen, der seelischen — existiert als „Offener Horizont“ (vgl. Karl Jaspers). Das heißt: in seinen einzelnen Aspekten jedesmal eng umgrenzt und deshalb begrenzt, ist er im Ganzen seines Wesens stets ein mögliches Über-Sich-Hinaus und damit unvollendet. Vollendung schenkt ihm erst der Tod — nach jüdisch-christlicher und islamischer Vorstellung in Gott. Als Leib aus Körper und Seele bestehend, unterliegt er dem biologischen Gesetz der Zeugung, der Entstehung, des Werdens und Vergehens. Er lebt sein Leben auf den Tod hin. Als geistiges Wesen weiß er an jeder Grenze, die er erreicht, dass es ein Transzendieren, ein Überschreiten dieser Grenze geben muss. So schreitet der Mensch von Grenze zu Grenze voran und erlebt sich hierin, in dieser geistigen Bewegung, als ein „Offener Horizont“. Es ist sein existentieller wie auch spiritueller Fort-Schritt. Als spirituelles Wesen weiß und erfährt er sich als Wirklichkeit von Wirklichkeit — in der Sprache Karl Jaspers: er weiß sich als „Existenz“ geschenkt von „Tranzendenz“ (vgl. Karl Jaspers, u.a. „Der philosophische Glaube“, 1948). Was auf der biologischen Ebene als „Bahn“, als Lauf-Bahn, als Lebens-Weg (lat. „curriculum vitae“) linear beginnt — Geboren-Werden, die verschiedenen Lebens-Alter, Tod —, das vollendet sich als Lebens-Kreis in Gott. Der seelische Anteil, die seelische Wirklichkeit des Menschen kehrt in ihren Ursprung zurück, woraus sie einstmals ihren individuellen Ausgang nahm. Das zumindest glauben und bezeugen übereinstimmend die „Großen Weltreligionen“ sowie die sie begleitenden Philosophien.

Umso verwunderlicher ist es doch, dass der Mensch, dieser homo sapiens, der die „Welt“ betrachtet, bedenkt, begreift, formt und nach seinen Maßen auch gestaltet, zu gänzlich unvernünftigen Verhaltens-Mustern neigt, die alles Leben auf dieser Erde zu vernichten drohen. Obschon in einer Nah- wie auch Fernverantwortung stehend (vgl.

Hans Jonas, „Prinzip Verantwortung“, 1979), leugnet er seinen Eigen-Anteil hieran und zieht es statt dessen vor, sich in andere, vermeintlich bessere „Welten“ zu träumen. Welt-Raum als „Welten-Traum“. „Industrie 4.0“ bzw. „business 4.0“ als das digitalisierte „Arkadien“ von visionären Zukunfts-Romantikern. Der Mensch nennt dies Fortschritt. Und wo auch immer er mit seinen Überlegungen und „Visionen“ hinkommt — oder, falls diese Projektionen bereits umgesetzt zur allgemeinen Realität geworden sind: ankommt — es ist ihm immer noch zu wenig „Welt“. Er muss geradezu zwanghaft weiterziehen, fort-schreiten. Wohin? Fluch oder Segen eines „Offenen Systems“ (vgl. Kybernetik, z.B. Gregory Bateson, Humberto Maturana, et al.), das wir Menschen als Menschen sind? Sowohl uns selbst, als auch unseren Nächsten, wie auch unseren Fernsten…—

Aber auch das: die Erde, die niemals uns Menschen oder einzelnen von uns als Eigentum gehörte — wir haben sie lediglich zu „Besitz genommen“, aber genau genommen nicht einmal dies: wir haben sie von zukünftigen Generationen lediglich geliehen bekommen, mit dem impliziten Auftrag an uns, sie für alle in der Zukunft Lebenden zu schützen, zu hegen, zu pflegen, kurz: zu bewahren — diese Erde scheint nicht mehr genügend Platz für unsere Vorstellungen, Neigungen und Ideen zu bieten. Unsere heutige Erde, sie ist ein ausgebeuteter, ausgeplünderter, ein „ausgebrannter“ Planet. Der heutige Mensch ist der Erde ein „Burnout“. Diese Erde, es ist die einzige, die wir bewohnen können, ist gleichsam Wert-los für unsere hochfliegenden „Großen Ziele“ geworden. Wie seinerzeit beim „Amerikanischen Traum“, ziehen unsere Vorstellungen und „Visionen“ erneut „westwärts“ in unbekanntes, menschenleeres Land. Land, das Platz genug für weitere „Fortschritts-Visionen“ bereithält. Land, das urbar gemacht werden muss (vgl. z.B. transnationale Konzerne in Afrika und deren Argumentation bzgl. ihrer Palmöl-Plantagen). Land, das nur auf uns wartet. Ein Land, in dem „Milch & Honig“ fließen könnten…— Crux: Wir nehmen ja unsere exzessiven, alles zerstörenden Neigungen und unsere grenzenlosen Bösartigkeiten, all unsere maßlosen Begierden und zahllosen Verfluchungen mit ins „Paradies“. Sei es nun auf der Erde; sei es auf dem Mond oder Mars; sei es irgendwo im Welten-Raum des „Universums“…— Anders gefragt: War diese Erde denn nicht solange ein „blauer Planet“ — bis der Mensch sie „unter die Pflugschar“ nahm, sprich: bis er vor ca. 150 Jahren mit der planmäßigen, industriellen Ausbeutung eben dieser Erde und dieser Natur begann und diese Ausbeutung stets systematischer, radikaler und maßloser vorantrieb (vgl. Ölsand-Abbau und Fracking in der Arktis; Abrodung der Regenwälder z.B. für Ölpalmen-Plantagen, etc.pp.)…—? Zwar war diese Erde noch nie ein „Arkadien“ voll von Schalmeien-Klängen und Hirten-Idyllen gewesen. Weder vor der

Entstehung des Menschen, noch in der „guten, alten Zeit“, die schon damals nicht eigentlich „gut“ war. Aber die Erde war auch noch nie in ihrem Fortbestand so gefährdet gewesen, wie heute, da der homo mercator sie zu Discounter-Preisen verschachert, verhökert, verzockt. Hier, wie schon bei der „Welt“, kennt der Mensch offensichtlich nur eine einzige Richtung: weiter. Und in Verkehrung der Tatsachen wie auch der Per-Spektiven, deutet er seinen Fluch als „allgemeine Wohltat des Fortschritts“ um und nennt seine Todsünden aus Habgier, Geiz und Maßlosigkeit einen „wahren Segen für die Menschheit“, versteht sich selbst dabei noch immer als der „nachhaltigste Umwelt-Schützer“ wie auch „Bewahrer diese Erde“. Nicht Gott vertrieb den Menschen aus seinem Paradies. Es ist der Mensch, der die Gemeinschaft mit Gott, mit der Erde, mit der „Welt“ aufkündigte und die jeweilige Einheit systematisch zerstörte — die spirituelle (mit Gott; Transzendenz, die Existenz schenkt und bewahrt), die biologische (mit der Erde; die den Menschen nährt), die geistige (mit der „Welt“; die ihn beheimatet und birgt). Exponentialer technischer Fortschritt einer-seits (homo faber, homo technicus) bei gleichzeitiger menschlicher Regression wie auch mentaler Retardierung anderer-seits…— Der Mensch als „homo sapiens“ wie auch als faustisch-zwielichtiger „homunculus“.

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