Vom Kleinsten im Großen


Vom Kleinsten im Großen —

Betrachtungen zur menschlichen Genealogie, Teil I

05.03. bis 12.03.2023

 

Heute morgen, ich saß am Frühstückstisch und schaute aus unserem Küchenfenster im zweiten Stock gedankenverloren in einen Walnussbaum, der im Nachbargarten steht, sah seine Struktur aus den massiven, die Form des Baumes bildenden Leitästen, die sich stets weiter und weiter verjüngend zu kleinsten Ästchen verzweigen, sah das geordnete Wirrwar dunkler Reißig-Strukturen, die sich vor dem Bleigrau des Himmels deutlich abhoben, konnte jedoch nicht die sprießenden Blattknospen an den Zweigen erkennen. So schaute ich eine Weile, ohne jedoch zielgerichtet zu beobachten. Ich erkannte die Morphologie des Baumes, seine Oberfläche, seine Eigenart, die ihn markant von anderen Bäumen und Walnussbäumen unterscheidet, sein „Da-Sein“, seine „Erscheinung“, etc.pp., nicht jedoch sein Ganzes, sein Baum-Sein, sein „Wesen“. Da blickte ich in einem Nu staunend in „des Lebens Grund“. Denn ich erkannte, dass dieser (konkrete) Walnussbaum vor meinem Fenster in seinem Genom eine Übereinstimmung zum Genom etwa eines Säugetieres von X% ausweist. Sicherlich gibt es im Internet Studien, die diese Kongruenz des Erbgutes bereits exakt ermittelt haben. Und umgekehrt: die Differenz zwischen beiden Lebe-Wesen mag auf der materiellen, biologischen Ebene der RNA bzw. DNA lediglich wenige Prozente betragen. Desgleichen: Das Genom der Primaten (z.B. Chimpansen, Bonobos, Gorillas, etc.) weist je nach Studien-Setting zum Genom des Menschen eine Übereinstimmung von etwa 95-98% auf. Umgekehrte Sicht- und Betrachtungs-Weise: die Differenz beider Genome liegt nach seriösen Studien bei etwa 5-2%. Und weiter: Das Genom des Menschen innerhalb seiner eigenen Gattung „Homo“ weist eine Übereinstimmung von 99,x% und entsprechend eine Differenzzwischen den jeweiligen „Arten“ (z.B. Homo habilis, Homo rudolfensis, …, Homo neanderthalensis, Homo sapiens) von 0,x% aus. Das heißt: Wir Heutigen tragen nachweislich noch immer Anteile des Neandertaler-Genoms in unserem Erbgut. Ist die schiere Zeitspanne der menschlichen „Vergangenheit“, die mit jeder Zeugung weiter in die Zukunft verlängert wird, schon erstaunlich, so ist die mögliche Variationsbreite des menschlichen Genoms kaum noch begreifbar. Immerhin reicht die Genealogie des Menschen ca. 2,7 Millionen Jahre vor unserer Zeitrechnung zurück — die Fundstücke des Homo rudolfensis werden auf diese Zeitspanne datiert. Eine direkte Ahnenreihe, die sich erst im Dunkel der „Hominini“-Gattungen (ca. 7,9 Mio. Jahre) verliert. Erstaunlich. Und weiter: Allein heute verteilt sich die genetische Variation dieser kaum darstellbaren Null-Komma-Null-Prozent auf ca. 8 Milliarden Individuen einer einzigen Art / Spezies (Homo sapiens). Bleiben wir in dieser einen „Art“ und betrachten darin die genetische Übereinstimmung bzw. Differenz innerhalb einer einzigen Familie, nennen wir sie „Familie Müller“, so wird die Kongruenz und Differenz via Sequenzierungs-Methoden zwar genetisch noch eindeutig nachweisbar (z.B. in sog. „Vaterschaftstests“), aber in Prozentzahlen kaum noch darstellbar. Denn die genetische Übereinstimmung zwischen Eltern und Kindern sowie der Kinder untereinander liegt bei annähernd 100%, während die genetischen Unterschiede lediglich einige Basenpaare der gemeinsamen DNA betragen. Ist dem so, so gilt: Jedes Lebe-Wesen — ob Baum, ob Strauch, ob Insekt oder Säugetier, ob Primate oder Mensch — ist auf der genetischen Ebene ein absolutesIndividuum, ein „singulare tantum“, das zwar phänotypisch / morphologisch mit Anderen seiner „Art“ vergleichbar ist, aber im gesamten Bereich des Lebens nicht Seines-Gleichen hat. Genetisch betrachtet, ist jedes Lebe-Wesen einmalig. Und diese erstaunliche Einmaligkeit gilt sowohl für das Hier im Jetzt, als auch für die überschaubare Vergangenheit, als auch für alle Zukunft. Die kleinsten genetischen Bausteinchen einer DNA — die Anordnung der fünf Basenpaare auf der Doppelhelix der DNA — definieren den wesentlichen Unterschied zwischen Individuen (vgl. „genetischer Fingerabdruck“, Forensik).

Wenden wir dies auf Carl von Linné’s (1707-1778) Taxonomie sowie auf den o.g. Walnussbaum an, so folgt: Im „Reich“ der ‚Pflanzen‘ gibt es die „Klasse“ der ‚Bedecktsamer‘; diese umfassen die „Ordnung“ der ‚Buchenartigen‘, die ihrerseits die „Familie“ der ‚Walnussgewächse‘ umfasst. Die „Familie“ der Walnussgewächse gliedert sich ihrerseits in acht „Gattungen“ mit ca. 60 einzelnen „Arten“. Dabei umfasst die „Gattung“ der ‚Echten Walnuss‘ (Juglans regia) weitere 20 „Arten“ (z.B. Juglans nigra, die Schwarznuss) sowie zahlreiche „Sorten“, die aufgrund von Züchtung entstanden sind. Zur Verdeutlichung des Gesagten, die Linné-Nomenklatur in nuce: „Reich“ => „Klasse“ => „Ordnung“ => „Familie“ => „Gattung“ => „Art“ => „Sorte“. Dabei gilt: Das Unter-Geordnete (z.B. eine „Klasse“) ist um eine spezifische Differenz, ein Merkmal, ein „Spezificum“, reicher, als das ihr direkt Über-Geordnete (z.B. „Reich“), woraus es hervorgeht bzw. abgeleitet wird (zur logisch-wissenschaftlichen Methodik siehe aristotelische Logik „Organon“, hier: „Kategorien“, darin: „Lehre vom Satz“; eine Einführung zur arist. Logik findet sich im Schema „Baum des Porphyrios“). So gelang es Linné den gesamten Bereich der Biologie nach einem einzigen logischen Schema durchgängig zu ordnen. Wie das Genom selbst, ist diese Taxonomie ein „offenes System“, das ad infinitum erweitert werden kann — ohne dabei seine Grund-Struktur, die binäre Nomenklatur, zu verlieren. Ein „Geniestreich“ menschlicher Intelligenz. Eine „Blaupause“ des stets gesuchten „göttlichen Welten-Bauplans“?

Nun wird es zwar verständlich und bleibt doch zugleich auch erstaunlich, dass es selbst innerhalb einer einzigen „Art“, ja selbst innerhalb einer einzigen „Sorte“, keinen zweiten Walnuss-Baum gibt, der mit einem Individuum aus der selben „Sorte“ vollkommen identisch ist. Und selbst zwei Blätter ein und des selben Baumes sind nicht identisch, sondern ähneln einander lediglich (vgl. u.a. das sog. „Identitätsprinzip“ nach Leipniz).

 

So viele Lebe-Wesen — angefangen bei den (RNA-Viren), den Einzellern, über die Wirbellosen und die Wirbeltiere, weiter zu den Säugetieren, den Primaten sowie den Menschen — sie alle weisen, genetisch betrachtet, ein und denselben Bauplan der DNA auf. Die Lebens-Brücke, die den Einzeller mit dem Blauwal und diese beiden mit uns Menschen verbindet, beruht auf einer geordneten DNA-Struktur aus lediglich vier Basenpaaren (Adenin, Guanin, Cytosin, Thymin) sowie einer geordneten RNA-Struktur aus Adenin, Guanin, Cytosin, Uracil. Und weiter: Der gesamte „Baum des Lebens“ entfaltete sich über Milliarden von Jahren nach einem Prinzip, zeigt eine durchgängige Struktur und ein alles Leben ausgestaltendes Muster. Dies gilt zumindest für alle „Eukaryonten“, das sind Lebewesen mit Zellkernen. Die genetische Übereinstimmung aller Lebewesen ist folglich bei weitem größer, als deren genetische Differenz; das Einende größer, als das Trennende. Und zwar sowohl über die einzelnen „Reiche“ („Pflanzen“, „Tiere“) hinweg, als auch innerhalb einer „Ordnung“ (z.B. „Primaten“), einer „Familie“ (z.B. „Hominidae“, Menschenaffen), einer „Gattung“ (z.B. „Homo“), einer „Art“ (z.B. „Homo sapiens“). Staunens-wert, nicht? Ohne darum zu wissen, befinden wir Menschen uns in einer genetischen Übereinstimmung mit der „belebten Natur“…—

 

— Fortsetzung folgt —