Vom Fragen
In Martin Heideggers (1889-1976) Werk findet sich der Gedanke: “Das Fragen ist die Frömmigkeit des Denkens“ (Heidegger, Vorträge und Aufsätze, S. 44, Neske, 1954). Mein Mentor, Prof. Wisser (1927*), schärfte mir immer wieder ein: “Bernhard, du musst fragen lernen!“ Warum? Weil in der Frage — wie man fragt, was man fragt — schon immer verborgen, einer Intarsie gleich, die Antwort enthalten ist. Und Karl Jaspers (1883-1969) wusste, dass der Horizont jeglicher Wissenschaft kraft des Fragens für neue, stetig sich weitende Horizonte, geöffnet wird. So bleiben Denken und Philosophieren “unterwegs“. Denn Fragen ist der Motor, das movens, die Motivation für jegliches Wissen-Wollen und auch Wissen-Können. Fragen ist der nucleus der Transzendenz, also jener Grenz-Überschreitung, die vom Schon-Gewussten hinüber ins Noch-nicht-Gewusste voran-schreitet. Seit Jahrtausenden öffnet sich auf diese Weise “Horizont“ auf “Horizont“ — jedes “Wort“, jeder “Begriff“, jeder “Gedanke“, jede “Schule“, jedes “System“. Als Einzelnes zwar “abgeschlossen“, klar “definiert“, eindeutig “umgrenzt“, lassen sie sich durchs Fragen doch wieder “in Gang“ bringen, werden lebendig (in der Zeit und dem geistigen Horizont des Fragenden…), lassen sich erneut “öffnen“ für all Jenes, was jenseits der eigenen Grenzen geborgen ruht.
Viele meiner Texte stellen daher — völlig unabhängig vom jeweils behandelten Thema oder Genre — kritische Fragen, d.h. unter-scheidende Fragen, die nach Antworten suchen, ohne dass ich selbst schon die Antwort hierzu wissen würde. Philosophen wie Platon wussten, dass “Philosophie“ (aus gr. jilein und sojia) ein liebender Dia-log, eine Zwie-Sprache, ein Zwei-Gespräch, im Wissen um die Wahrheit ist. Was aber heutzutage “wahr“ sei, das gilt es durch beständiges Fragen aus dem Verborgenen eines Noch-nicht-Wissens ins “Tageslicht“, ins “Licht des Geistes“ zu bergen. Symphilosophein, gemeinsames Philosophieren, ist das Fragen nach Wahr-Sein, um die Antwort als “Wahrheit“ in Wissen und Weisheit zu bergen. Unabhängig vom jeweiligen Text obliegt es den Leserinnen und Lesern diese “Bergung“ vorzunehmen.