Toxische Narrative und ihre möglichen Folgen für Deutschland


Toxische Narrative und ihre möglichen Folgen für Deutschland

Das Spektrum politischer Narrative — ein exemplarischer Einblick, Teil II,3

16.04.2021 bis 26.04.2021

— Fortsetzung zu Teil II,2 —

Die Welt der toxischen Feindbild-Stereotypen…

Feindbild- und Antisemitismus-Narrative

Ein anders aufgelagertes Projektions-Motiv liegt m.E. dem heute gängigen Feindbild-Narrativ zugrunde, dass „Bill Gates zusammen mit der Merkel-Diktatur alle Deutsche zwangsimpfen bzw. ‚chipen‘ “ wolle. Dessen jüngste Steigerung ist durch die Stereotype gekennzeichnet, die eine Parallele zu den Zwangsimpfungen der Euthanasie im „Dritten Reich“ suggeriert (vgl. Querdenker-Narrative, 2020f.). Diese und ähnliche Feindbild-Narrative werden gerne mit toxischen Stereotypen des Antisemitismus verknüpft, die, je nach Couleur, ihrerseits behaupten, dass „dies alles lediglich Teil einer jüdischen Weltverschwörung“ sei (vgl. heutiges Spektrum der Antisemitismus-Narrative). Das Vergiftende daran: seit der Herrschaft der Pharaonen (20. Dynastie) und dem „Babylonischen Exil“ (597-539 v.Chr.) führen nachweislich quer durch alle Zeiten und Kulturen — vor allem jene Kulturen des „christlichen Abendlandes“, aber auch jene des „Orients“ — speziell antisemitisch eingefärbte, toxische Stereotypen immer wieder zu Juden-Progromen, werden mit kolportierten, judenfeindlichen Erzählungen Bürger gegen Bürger aufgewiegel und aufgehetzt, machen antisemitische Narrative aus ehemaligen Nachbarn und Freunden, die als Kinder zusammen spielten und friedlich Tür an Tür lebten, erbitterte Tod-Feinde. Es sind die toxischen, antisemitischen Stereotypen mit ihren vielgestaltigen Komponenten, die der Mehrheit einer Bevölkerung dazu dienten und leider heute erneut dazu dienen, ihren  Hass und Groll via Projektionen auf eine jüdische Minderheit zu übertragen (vgl. linker u. rechtsextremer Antisemitismus, religiöser u. islamischer Antisemitismus, israelfeindlicher Antisemitismus, sekundärer Antisemitismus, Antisemitismus im heutigen Europa, u.ä.m.). Es ist ein durch die Jahrhunderte erprobtes und garantiert wirkendes Verhaltens-Muster innerhalb der Bevölkerungs-Mehrheit, das latent anwesend ist und, sofern gewünscht, sich zeitlos und global stets aufs Neue reaktivieren und „re-animieren“ lässt. Salopp formuliert: Antijudaismus bzw. Antisemitismus war und ist das kollektiv Hässliche einer Volksseele, die als probates Feind-Bild einen „Sündenbock“ benötigt, diesen sich „erfindet“ und je nach politisch-gesellschaftlicher Lage modifiziert, ausgestaltet, ins Monströs-Dämonische steigert. In der Antike und dem Mittelalter waren es Dürren und Seuchen, die dem Hass als Motivation dienten und das Feind-Bild auf die jüdische Gemeinschaft übertrugen; danach war es das stereotypbasierte Feindbild des angeblichen „Wucherers“ und „Geldjuden“, das jüdische Geldverleiher (vgl. u.a. Vita des Joseph Süßkind Oppenheimer) und jüdische Bankiers (vgl. u.a. Chroniken der Familien Rothschild und Warburg) diskreditierte und als habgierig abstempelte; später dann, zu Beginn des 20. Jahrhunderts, war es der Topos des „Erzkapitalisten“, der die „kommunistische Weltrevolution“ finanzieren würde (vgl. Hitler-Goebbels-Narrative); heute transportiert das modifizierte Neonazi-Feind-Bild  monströse, „dunkle Machenschaften“ einer „Weltverschwörung“. Denn erst das Bild, das bekanntlich mehr als tausend Worte sagt, gibt den diffusen Emotionen der nicht-jüdischen Bevölkerung eine klar umrissene, eine klar definierte und strukturierte Gestalt, worauf der Hass sich präzise lenken und fokussieren lässt. In diesem speziellen Fall ist der Hass fokussiert auf: „den ewigen Juden“. Wie bei allen Hass-Rache-Motiven, die über Generationen tradiert und kultiviert, also regelrecht gehegt und gepflegt werden, ist es im Fall des Antisemitismus (bzw. des Rassismus) ein mordbereiter Hass, der lediglich schlummert, aber niemals verlischt. Ein abgründiger Hass zumal, der aus Bürger*innen mordenden Mob und aus Freunden Todfeinde macht. Innerhalb der abendländischen Kulturen ist der Antijudaismus bzw. Antisemitismus wohl der Prototyp aller Feind-Bilder, die der menschliche Hass in wechselnden Epochen sich  entworfen hat. So war es bei den Judenvertreibungen in Spanien u. Portugal nach 1492 (vgl. Schicksal der Sepharim); so war es bei den Judenprogromen in Frankreich und dem „Heiligen Römischen Reich Deutscher Nationen“ (vgl. Schicksal der Aschkenasim); so war es zuletzt im „Dritten Reich“ bzw. „Großdeutschen Reich“ sowie im besetzten Litauen nach der sog. „Reichsprogromnacht“ von 1938: stets begingen sog. „ehrbare Bürger*innen“ nicht-jüdischen Glaubens, aufgehetzt durch nationalistische Agitation und Demagogie, Gräueltaten an Bürger*innen jüdischen Glaubens und jüdischer Kultur — gleicher Staatsbürgerschaft! Der auf jüdische Bürger*innen fokussierte Hass schlug dieser Bevölkerungs-Gruppe gezielt entgegen, nicht etwa, weil deren Sitten und Gebräuche andere waren, auch nicht, weil Juden als Glaubens- und Kulturgemeinschaft nicht in der jeweiligen Gesellschaft integriert oder assimiliert gewesen wären, und schon gar nicht, weil Juden sich in irgendeiner Weise eines juristischen Vergehens schuldig und strafbar gemacht hätten. Sondern einzig und alleine, weil diese  Personengruppe der Juden seit Jahrtausenden immer wieder stigmatisiert wurde und deshalb als Ziel-Gruppe für den gesellschaftlichen Hass somit prädestiniert war, prädestiniert ist und bleibt. Grundsätzlich fragen Antisemitismus-Narrative niemals nach Schuld im ethischen, moralischen oder strafrechtlichen Sinn. Sie weisen „Schuld“ ganz einfach zu, indem sie systematisch Gerüchte über Juden verbreiten und sie eines „Vergehens“ bezichtigen. Es reicht für die gewünschte Wirkung antisemitischer Erzählungen völlig aus, dass  ein Mensch „Jude“ ist — vermeintlich oder real — um ihn stigmatisieren und zum brauchbaren (nationalistischen…) Hass-Objekt umzufunktionieren zu können. Die Schuld-Zuschreibung  einer Stigmatisierung ist die Zeit-lose „Metaebene“, die quer durch alle Zeiten und Kulturen immer funktioniert hat und heute abermals funktioniert. Denn beim Antisemitismus handelt es sich um ein von jeglicher Realität losgelöst wirkendes Hass-Passepartout, das als toxischer Gestaltungs-Rahmen für Hass-Phantasien aller Couleur von den nicht-jüdischen Gesellschaften (!) genutzt und von ihren Bürger*innen allgemein akzeptiert wird. Parallel zum „strukturellen Rassismus“ (gegen „Black Communities“, „First Nations“, etc.) können wir bis zu einem gewissen Grad von einem „strukturellen Antisemitismus“ gegen jüdische Bürger*innen sprechen. Zwar sind die Inhalte der verwendeten Hass-Botschaften unterschiedlich, deren Strukturen und Muster sind indes offensichtlich ähnlich. Und deshalb kann das fratzenhafte Zerrbild des „ewigen Juden“ zu jeder Zeit an jedem Ort von der gesellschaftlichen Mehrheit gegen die jüdische Minderheit erneut reaktiviert werden. Und nur wenige, wenn nicht die wenigsten, mutigen nicht-jüdischen Bürger*innen haben dann genügend Charakterstärke, sich dem mordenden Mob entgegenzustellen, bleiben während der Zeit von Juden-Hetze, Juden-Hatz, von Juden-Progromen anständig und ehrbar, indem sie den aus Unrecht und fanatischem Nationalismus Verfolgten unter Einsatz ihres eigenen Lebens Schutz und humanitäre Hilfe gewähren (vgl. exemplarisch das Schicksal der Anne Frank). Dass es sich beim Antisemitismus um ein latentes Hass-Muster , ein zeitloses Verhaltens-Muster, handelt, zeigt sich u.a. auch daran, dass die einstmals induzierten Stereotypen des Antisemitismus selbst dort erneut „greifen“, wirken, überzeugen, re-animiert werden können, wo es in der Realität keine jüdischen Bürger*innen noch jüdische Gemeinden gab bzw. aktuell gibt. Und weil dieser Juden-Hass keiner Realität bedarf — es genügt der neuerliche Entwurf eines bereits eingeführten, entsprechenden Feind-Bildes — deshalb ist die innere Wirklichkeit des Antisemitismus niemals nur historische  Vergangenheit, die gleichsam ad acta gelegt werden könnte, sobald ein Progrom oder Genozid beendet ist (wie das die AfD seit der Eröffnung des Holocaust-Mahnmals in Berlin [2005] so gerne möchte…). Sondern die innere Wirklichkeit des Antisemitismus bleibt fortdauernde, stets gegenwärtige Anwesenheit im emotional Verborgenen der nicht-jüdischen Bevölkerungsmehrheit. Und deshalb ist und bleibt Antisemitismus immer auch mögliche, erneut bevorstehende, Menschen jüdischer Kultur und Glaubens (be-)drohende Zukunft. Eine mörderische Zukunft, basierend auf „gewachsenem Hass“ völkisch-nationalistischer, fanatischer Ausprägung, dem wahrhaft ehrbare, mutige Bürger*innen unverzüglich überall dort, wo ihm wiederholt das Wort geredet wird, beherzt und entschieden entgegenzutreten haben. Denn nicht erst am Ende dieser Entwicklung vom  Wort zur  Tat, von den völkisch-rassistischen Hass-Tiraden zur Juden-Hatz, ist von uns demokratisch gesinnten Bürger*innen aktive Zivilcourage gefordert. Sondern bereits am Anfang gilt es, diesen ideologischen Umtrieben zu wehren, damit sich das politische Toxin nicht im Denken und Fühlen der Bürger*innen verbreiten kann. Deshalb ist es heute  die bleibende Ewigkeits-Aufgabe der demokratisch gesinnten Bürger*innen gegenüber der rechtspopulistisch-nationalistisch organisierten Bevölkerungs-Minderheit (z.B. gegenüber der AfD-Minderheit, die bundesweit bei ca.15% liegt; in den AfD-Stammlanden Thüringen, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Brandenburg, etc.pp. liegt deren Quote jedoch bereits bei ca. 20-25%, Tendenz steigend…), dass diese derzeitige politische Minderheit nicht erneut mit ihren völkisch-rassistischen Parolen und ihrer antisemitischer Hetze zur politischen Mehrheit werde. Denn das Überleben jüdischen Glaubens, jüdischer Kultur und jüdischer Menschenleben hängt — nicht nur in Deutschland und Europa — entscheidend vom aktiven Verhalten der gesellschaftlichen, demokratisch gesinnten Mehrheit ab. Damals, wie heute, wie zukünftig. Es zeigt jedoch das warnende Beispiel der deutschen Geschichte nach der Machtergreifung Hitlers am 30. Januar 1933, wie schnell aus einer scheinbar stabilen „politischen Mehrheit“ unter rechtsnationalistischem Terror eine verschwindende, stillschweigende und ängstlich an das Terror-Regime angepasste „Minderheit“ zu werden vermag…—

— Fortsetzung folgt, Teil II,4 —

Quellen und Verweise in der Reihenfolge ihrer Nennung:

Zur Etymologie des Begriffes „Drittes Reich“

https://de.wikipedia.org/wiki/Drittes_Reich

Wirkweisen von Propaganda

https://de.wikipedia.org/wiki/Propaganda

Politischer u. religiöser Antisemitismus, heute

https://www.bpb.de/politik/extremismus/antisemitismus/37944/was-heisst-antisemitismus

Antisemitismus heute

https://www.bpb.de/politik/extremismus/antisemitismus/37974/antisemitismus-heute

Vita des Joseph Süßkind Oppenheimer

https://de.wikipedia.org/wiki/Joseph_S%C3%BC%C3%9F_Oppenheimer

Familienchronik der Warburgs

https://de.wikipedia.org/wiki/Warburg_(Familie)

Familienchronik der Rothschilds

https://de.wikipedia.org/wiki/Rothschild_(Familie)

Die Sephardim der iberischen Halbinsel

https://de.wikipedia.org/wiki/Sephardim

Das europäische Judentum der „Aschkenasim“

https://de.wikipedia.org/wiki/Aschkenasim