Toxische Narrative und ihre möglichen Folgen für Deutschland
Das Spektrum politischer Narrative — ein exemplarischer Einblick, Teil II,2
06.04.2021 bis 15.04.2021
— Fortsetzung zu Teil II,1 —
Die Welt der Stereotypen…
Stereotypen des Sozialneides
Ein anderes toxisches Moment heutiger politischer, rechtspopulistischer Narrative ist die kolportierte Stereotype des Sozialneides, die im Follower einen tiefgreifenden, ohnmächtigen Groll gegenüber dem Staat erzeugen soll. Etwa im ductus: „immer werden die Anderen, die Ausländer, die Flüchtlinge, etc.pp. bevorzugt, gepampert, unterstützt, finanziert, u.ä.m…., wir aber nicht…“ Als klassisches AfD-Pegida-Neid-Narrativ wird z.B. fälschlicherweise behauptet, dass „Flüchtlinge vom deutschen Staat immer alles bekommen“, während „man selbst als Deutsche/-r grundsätzlich vergessen und niemals berücksichtigt wird „, und folglich seitens des deutschen Staates auch noch nie irgendeine Unterstützung erhalten oder auch nur zu erwarten habe, noch jemals erhalten werde. Weder das eine noch das andere ist in-der-Sache, in der äußeren Realität der Ist-Situation faktisch korrekt. Richtig ist jedoch, dass je umfassender der Sozialneid induziert und je ohnmächtiger der Groll in der Erlebnis-Welt der Anhänger*innen von diesen erlebt wird, desto fanatischer wird deren Glaube, dass die eigenen Aggressionen gegen Flüchtlinge, Fremde und Andere völlig legitim seien (vgl. u.a. die AfD-Weidel-Stereotype der „Kopftuchmädchen und alimentierten Messermänner“ vom 16.05.2018). Im Rahmen des induzierten Sozialneides gilt sodann, dass man sich schließlich ja nur nehme, was „denen“ zu Unrecht gehöre… Aus Quasi-Opfern einer weiter-erzählten Erlebens-Welt, die sich reihum mit der jeweils kolportierten Stereotype identifizieren — sei es, dass sie sich als vom Staat Benachteiligte fühlen, sei es, dass auch sie „jemanden kennen, der jemanden kennt, dem das gleiche Schicksal widerfahren“ sei — werden reale Täter*innen in-der-Welt, die sich selbst in diesem Fall zudem das Recht zusprechen, sowohl Richter als auch Henker in einer Person zu sein.
Die narrative „Welt der Stereotypen“ gebiert sich selbst unablässig neue Projektions-Flächen, die wie Puzzle-Steine an bestehende Erzähl-Stränge „angedockt“ werden können. Und durch die Weitergabe dieser Projektionen als Erzählungen in-der-Zeit, gewinnen ideologisch Überzeugte kontinuierlich neue Glaubens-Eiferer hinzu. Eine konkrete Folge hiervon zeigt bereits die heutige Realität: Die Anzahl von Bürger*innen, die wissenschafts-feindliche Positionen vertreten, die irrationale stereotypbasierte Glaubens-Inhalte als Realität erachten, die Selbstjustiz als „Law and Order“ anstreben, nimmt stetig zu. Eine weitere, mögliche Folge dieses Toxins: krebsartig breitet sich Neid, Groll, Hass und als Folge hiervon u.a. Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus auf allen Ebenen der Gesellschaft aus (Stichwort: „struktureller Rassismus“). Es ist die „tiefe Saat“ von Sozialneid, Hass und vor sich selbst legitimierter, privater Gewalt einer Selbstjustiz, die beinahe unmerklich im „Stillen“ keimt, aufgeht und ihre destruktiven Früchte zur Reife bringt. Die Erosion des „sozialen Kitts“ (vgl. Noelle-Neumann) hat bereits begonnen die Grundpfeiler unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung zu zersetzen.
Zwischenstand — Zusammenfassung
Vielleicht können wir das bisher Gesagte wie folgt zusammenfassen: Auf der Seite des Demagogen gilt: Ist der Agitator erst einmal bis zur emotionalen Ebene seines Gegenübers vorgedrungen, lanciert er nach Belieben destruktive, toxische Stereotypen und übernimmt — oftmals unbemerkt von seinem „Gesprächs-Partner“, seinem „Chat-Partner“ bzw. seinem „Twitter-Partner“ (Possesivpronomen beachten!) — dessen emotionales Erleben im Raum der eigenen Weltanschauung(en). So machen es die Granden der AfD, so agieren rechtsextreme Demagogen vom Schlage eines Björn Höckes, Lutz Bachmanns, et al. . Die Follower ihrerseits übernehmen freiwillig, wenn auch manipuliert bzw. indoktriniert, die weltanschaulichen Positionen der Demagogen — sei es, dass sie selbst nach „unerschütterlichen, endgültigen Wahrheiten“ suchen, um emotionalen Halt zu finden, sei es, dass sie sich unkritisch einlullen lassen, um einen „Standort“, eine „Position“ in der Welt zu finden, jenseits der eigenen „emotionalen Schwebe“, sei es, um eine wohlfeile Projektions-Fläche für den eigenen, angestauten, abgrundtief empfundenen Hass zu finden. Der Gründe und Motivationen sich freiwillig verführen zu lassen, sind viele. Zur Zeit dient der nationalistische, der rechtspopulistische sowie der rechtsextremistische Glaube weltweit als „Neues Opium“ fürs Volk. Ein „Pharmakón“ mit toxischen Folgen für die demokratisch-freiheitliche Gesellschaftsordnung in allen Teilen der Welt (vgl. nicht nur Europa, Amerika, sondern auch Asien: Hong Kong, Myanmar, etc.pp.).
Agitation, von welcher politischen Seite auch betrieben, ist stets kommunikative Indoktrination, d.h. politisch-toxische Narrative bilden innerhalb des offiziellen Staates die wortbasierte Grundlage zur Bildung von Gruppierungen, Gruppen, Netzwerken, kurz: von antidemokratischen Gemeinschaften. Dies kann zunächst sehr subtil in „vertraulichen Gesprächen“ bei „Stammtisch-Atmosphäre“ erfolgen (frühere AfD-Strategie), oder als öffentliche Rede geschehen (vgl. Kyffhäuser-Treffen, Identitären-Comments, Neonazi-Szenetreffen, u.ä.m.), oder über multimedial agierende „Plattformen“ und Tweets zum Aufbau von „ideologischen Netzwerken“ genutzt werden (vgl. Entstehung und Organisation der rechtsterroristischen „Gruppe S.“).
Konstruktion und mögliche Wirkungen von stereotypbasierten Feindbildern
Ein weiteres Standardelement politischer toxischer Stereotypen, das als strategische Gestaltungskomponente toxischer Narrative eingesetzt wird, sind Feindbilder. Denn Feindbilder bestechen durch ihre Verkürzung „auf das Wesentliche“, zumal dann, wenn sie auf bereits vorhandene, salonfähig gemachte Vorurteile treffen, daher leichtgläubig im Denken und Erleben der Anhänger*innen, der Gefolgsleute, der „Kameraden*innen“, etc.pp. verfangen, und dort als destruktive Kreativität selbst fortwährend schöpferisch wirksam werden. Die mögliche Folge davon: Neue, stets aggressiver ausgestaltete Feindbilder entstehen, die zum Handeln motivieren. So wird etwa mittels fanatischer Hetzparolen aus anfänglicher Empörung gesteigerter Hass. Hass und Fanatismus jedoch blenden das Denken und verschatten das Erleben ihrer Akteur*innen; vergiften deren innere Wahrnehmung und Wirklichkeit hinsichtlich der äußeren Realität. Ideologisch verwurzelter Hass, Hetze und Fanatismus dienen den Demagogen und Rädelsführern sozusagen als „ideologisches Skalpell“, mit welchem sie ganz gezielt, sehr präzise und systematisch soziale Strukturen durchtrennen und eine unüberbrückbare Kluft zwischen allgemeiner, gesellschaftlicher Realität und persönlich verankerter Weltanschauung schaffen. Gesellschaftliche Spaltung ist ihre Kernkompetenz. Das Gemeinwesen einer Gesellschaft, der soziale Zusammenhalt der „res publika“, wird auf diese Weise „seziert“ und fachgerecht — wie sich ein forensischer Mediziner voranarbeitet, der mit seinem Skalpell systematisch einen Körper obduziert, indem er Gewebeschicht um Gewebeschicht freilegt — vom freiheitlich-demokratischen Grundgerüst des Staates, das die Gemeinschaft trägt, „separiert“. Die mögliche Folge dieser seelischen Intoxikation, dieser rechtspopulistischen „Sezession“: man erlebt und lebt teils bedrohliche, teils destruktive „Schattenwelten“ als vermeintliche, äußere Realität, d.h.: die eigenen destruktiven Emotionen, die eigenen mörderischen Aggressionen werden nach außen gespiegelt, werden nach außen projiziert, und dort als „Realität“ fixiert. Mittels Hass-Projektionen werden nachfolgend einzelne „Feinde“/“Volksfeinde“ gekenn-zeichnet und gebranntmarkt und gegebenenfalls auch faktisch bekämpft (vgl. u.a. die Radikalisierung des Rechtsextremisten Stephan Ernst). Auf diese Weise lassen sich unterschiedlichste hasserfüllte Feindbild-Spiralen im Erleben der Anhänger*innen etablieren und dauerhaft in Gang setzen, sobald der Hass-Impuls einmal gesetzt wurde. Aus den reihum sich selbst bestätigenden Erzählungen entspringt nach und nach der emotionale Zwang zum „politischen Handeln“. Die Struktur: Aus kolportierten Worten werden zunächst hasserfüllte, fanatische Gesinnungen und aus diesen sodann die strategischen Anschlags- bzw. Attentats-Pläne krimineller Taten (vgl. u.a. das Sachbuch von Michael Kraske, „Tatworte„, das den Weg vom hasserfüllten Wort zur ideologischen Tat nachzeichnet). Als Folge hiervon sinkt die Hemmschwelle zu politisch motivierten Gewalttaten dramatisch ab. Aus anfänglichen Zuhörer*innen und Mitläufer*innen auf rechtsextremen Demonstrationen werden indoktrinierte Gesinnungs- und ideologisch-fanatisierte Glaubens-Genossen*innen und aus diesen Sympathisanten*innen letztlich Straftäter*innen (vgl. Werdegang des NSU, den kriminellen Hintergrund zur Causa Lübcke, die Hintergründe der rechtsextremistischen Attentate von Halle, Hanau). Die möglichen Folgen solch hasserfüllter Feindbild-Spiralen, nicht nur in Deutschland, sondern auch anderswo: Die Gefahr eines asymmetrischen Bürger-Krieges — ein bellum omnium contra omnes — wächst. Denn Umsturz und Schaffung von gesellschaftlichem Chaos sind dezidiert das politisch anvisierte Ziel, das Rechtspopulisten à la AfD (Gauland, Weidel, Chrupalla, Curio, Brandner, et al.), Rechtsextremisten à la Höcke sowie Rechtsterroristen à la Werner S., eint. Wie schnell aus Hass und Hetze reale Gewalt zu werden vermag, beweist das erneute Aufflammen des sog. „Nordirland-Konfliktes“: Ein seit Jahrhunderten etablierter und in entsprechende Feind-Bilder eingebetteter Hass, der nie verloschen sondern lediglich zeitweise kamoufliert gewesen ist, ist anhand der „Brexit“-Narrative erneut in Belfast als reale „Gewalt in den Straßen“ auf- und ausgebrochen. Hasserfüllte Feindbild-Narrative gleichen Minenfeldern: Zwar scheint die „Oberfläche“ bisweilen stabil und gefahrlos zu sein. Aber die kleinste Erschütterung kann ihre destruktiv-verheerende Sprengkraft auslösen…
Das Szenario eines asymmetrischen Bürger-Krieges in Deutschland scheint nun seinerseits einer „überzogenen Phantasie“ entsprungen zu sein und in die Fama der Verschwörungstheorien zu gehören. Leider zeigen seriöse Recherchen von investigativen Journalisten*innen bereits seit Jahren, dass dem nicht so ist (vgl. u.a. Causa Werner S. und Ziele der „Gruppe S.“; 2019f.). Vielmehr ist inzwischen Realität geworden, dass, wie bereits in den 1960er bis 1980er Jahren die linksextremistischen Terrorgruppen, heute rechtsextremistische (Terror-)Gruppierungen, zum Teil mit strategischer Unterstützung durch ehemalige SEK- bzw. LKA-Spezialisten, auf den „Tag X“ aufrüsten. Sei es, dass scharfe, panzerbrechende „Gefechtsmunition“ entwendet wird (siehe KSK-Skandale bei der Bundeswehr, SEK-Skandale der letzten Jahre), sei es, dass Waffen aus Asservatenbeständen „spurlos“ verschwinden oder an organisierte, militante Neonazigruppierungen verkauft werden (siehe Polizei- und LKA-Skandale der jüngsten Vergangenheit). Immerhin handelt es sich bei diesen Personen um Spezialkräfte, die die innere Sicherheit der Bundesrepublik gewährleisten sollen, mithin um Beamte*innen, die einen Eid auf die Verfassung abgelegt haben. Dennoch sind in all diesen realen Fällen aus Sympathisanten*innen bereits aktive Unterstützer*innen des Rechtsextremismus in Deutschland geworden. Sie vom Dienst zu suspendieren, ist ja nur die eine Seite der Medaille. Die andere, weitaus gefährlichere Seite ist, das zeigt der Fall Marko G., dass diese Spezialisten ihr Wissen und Können nach ihrer Suspendierung weiterhin der rechten Terror-Szene zur Verfügung stellen, etwa indem sie Rechtsterroristen*innen an der Waffe oder im Häuserkampf u.ä.m. ausbilden. Und so wirft sich erneut, wenn auch in völlig anderem Kontext, die alte Frage auf: Wer aber überwacht die Wächter? (vgl. Juvenal, Satiren, Satire VI, Vers 347f.)
— Fortsetzung folgt, Teil II,3 —
Die Welt der Stereotypen…
Feindbild- und Antisemitismus-Narrative
Quellen und Verweise in der Reihenfolge ihrer Nennung:
ZDF-Doku: „Wurzeln der Gewalt — Rechter Terror in Deutschland“
besagtes Weidel-Zitat auf 16:01 Minuten
SEK-Skandal in Sachsen, 30.03.2021
https://www.sueddeutsche.de/politik/sachsen-polizeiskandal-munition-1.5251722
Waffenschwund in Frankfurter Asservatenkammer, 20.03.2021
https://www.fnp.de/frankfurt/polizist-soll-mehr-als-100-waffen-entwendet-haben-90254463.html
Die Causa Marko G., Nov. 2019
https://www.sueddeutsche.de/politik/rechtsextremismus-prepper-nordkreuz-prozess-1.4701994
Causa Werner S., Kopf der rechtsterroristischen „Gruppe S.“
https://de.wikipedia.org/wiki/Gruppe_S.
Prozessbeginn gg. „Gruppe S.“ in Stuttgart, 13.04.2021
https://www.tagesschau.de/investigativ/monitor/gruppe-s-117.html