Spotlight on Yoga
12.07.2017
In seinem „Editorial“ Let’s celebrate the Spirit of Yoga* hebt Shreeguru Dr. Balaji També**, der Gründer des Atmasantulana Village in Karla, Indien, die integrative Kraft des Yogas hervor. Viele Richtungen und Schulen gibt es inzwischen im „modernen Yoga“ (z.B. „Hot Yoga“, „Power Yoga“, „Aerial Yoga“ und sogar „Dog Yoga“…), jedoch geht durch die völlige Vermarktung dieser alten indischen Erfahrungs-Wissenschaft, deren spiritueller, heilender „Kern“ mehr und mehr verloren. Yoga, das war bei Patañjali, in den Veden, der Bhagavadgita, etc.pp. sowie im praktischen Tun der authentischen Yogi-Meister stets eine tagtägliche Übung des Geistes, des Körpers sowie der Seele mit dem „Ziel“, die Zergliederung des Menschen in Körper, Geist und Seele sowie die Zerspaltungen innerhalb des jeweiligen Lebens-Bereiches in ein harmonisches Ganzes zu überführen. Der Körper gliedert sich etwa in die drei verschiedenen Konstitutions-Typen (doshas; vata, pitta, kapha), der Geist in eine unübersehbare Fülle aus Bewusstseins-Zuständen, wie z.B. Gedanken, die Gliederungen des „Ichs“, und die Seele umgreift den Körper und den Geist mit einem Bereich der spirituellen Wirklichkeit, den man seit alters her als „heilig“ kenn-zeichnet. Sinn und Zweck des authentischen Yoga sind die Gedanken, Bilder und „Gestalten“ des Geistes zur Ruhe kommen zu lassen und darin, in dieser Bilder- und Absichts-losen Ruhe, existentiellen Frieden zu erfahren.
Nun ist es in Zeiten der Globalisierung und der totalen Vermarktung allen Daseins durchaus legitim, die körperliche Seite des Yoga-Weges in immer neue Geschäfts-Modelle umzumünzen und Geld und „Gold“ daraus zu schlagen. Eine typische Win-Win-Geschäfts-Idee. Denn alles — es sei, was immer es sei, auch und gerade das Heilige und Allerheiligste — lässt sich in Zeiten wie diesen vortrefflich vermarkten und: prostituieren. Das heißt: für „kleinen Discounter-Preis“ als Tand verramschen. Und wer nur clever und smart genug ist, der lässt sich seine Yoga-Geschäfts-Idee als Service- oder Wortmarke registrieren, etwa als „win-win-YogaSM“ oder „win-win-Yoga®„. Denn man kann sowohl in der Breite der Fitness-Studios als auch auf dem weiten Feld der Manager-Seminare hiermit wirklich sehr viel Geld verdienen. Das ist heutzutage legitim.
Jedoch weist Dr. També in seiner etymologischen Erklärung zurecht auf die Sanskrit-Wurzeln des Wortes „Yoga“ hin. Dort bedeutet es soviel wie „anschirren“ (ans Joch), (ver-)binden, zusammen-bringen. Dann meint authentischer Yoga jedoch etwas gänzlich Anderes als es die Geschäfts-Idee uns suggeriert. Denn dann sind die existentiellen Bi-Polaritäten und Ambi-Valenzen unseres Mensch-Seins angesprochen. Diese gilt es zu erkennen, verstehen zu lernen und letztlich in einen gewissen, dynamischen Ausgleich zu-einander (d.i. die inzwischen bis zur Unkenntlichkeit umgedeutete „Balance“…) zu bringen. Authentischer Yoga übt am Körper den Geist und mittels des Geistes den Körper — und beide Übungs-Felder dienen der Seele zu einem aus-gleichenden, harmonischen Ganzen. So etwa die Integration der beiden bipolaren „Seiten“ allen Lebens: „Mann“- und „Frau“-Sein innerhalb unseres diese beiden Polaritäten umgreifenden Mensch-Seins. Jeder Mensch trägt sowohl „männliche“ als auch „weibliche“ Aspekte in sich. Je nach Sitte und Kultur werden diese als Leitbilder und / oder Rollenverständnis hervor-gebracht. Männer und Frauen funktionieren sodann als „Erwachsene“ gemäß ihres erlernten Rollenverständnisses. Nicht selten zu dem „Preis“, dass sie unglücklich mit ihrem Leben sind. Dagegen übt der authentische Yoga den Ausgleich der bipolaren Kräfte unseres Mensch-Seins: Trauer und Freude, Hoffnung und Sorge / Angst, Hass und Liebe, etc.pp. Was immer in unserem Leben eine Zwei-Wertigkeit (Ambi-Valenz) und/oder eine wechsel-seitige sich sowohl anziehende wie auch abstoßende Polarität anzunehmen vermag — all das versucht der Yoga aus-zu-gleichen, die „Kräfte“ daraus in einen „Einklang“ (Harmonie) zu „binden“. Mittels Körper-Übungen (Asanas und Pranayama), mittels Geistes-Übungen (Meditation), mittels spiritueller Übungen (Kontemplation).
Und auch dies arbeitet Dr. També sehr schön heraus: Überall dort, wo es im „Yoga“ um Konkurrenz, um Wett-Streit und Wett-Kampf geht und überall dort, wo es im „Yoga“ um Logik und wissenschaftliche Erklärung geht, überall dort ist der authentische Yoga bereits verloren gegangen. In diesen Bereichen wird anderes geübt und eingefordert — auch das ist legitim. Der authentische Yoga ist jedoch gänzlich frei von derartigem Denken und Einfordern. Vielmehr geht es ihm um das Erreichen von Absichtslosigkeit sowie der Übergabe des eigenen Lebens an das Numinose einer göttlichen Wirklichkeit bzw. Deïtät (vgl. „surrender“). Natürlich kann auch der authentische Yoga zum Gegenstand wissenschaftlicher Forschung werden z.B. im Bereich der wissenschaftlichen Soziologie, der wissenschaftlichen Philosophie wie auch der wissenschaftlichen Psychologie. Als existentielle, authentische Erfahrung ist er jedoch frei von aller Terminologie. Um es mit anderen Worten zu sagen: „Die Wissenschaft denkt nicht…“ (vgl. Martin Heidegger, Was heißt Denken?, in: Vorträge und Aufsätze, Pfullingen: Neske 51985, S. 123–137, hier: S. 127;). Dr. També verdeutlicht diesen qualitativen Unterschied anhand des Beispiels eines verliebten Pärchens: Natürlich kann man ihre Liebe zueinander soziologisch-gesellschaftlich erklären, man kann sie philosophisch und psychologisch erklären, man kann sie sogar naturwissenschaftlich-neuronal erklären. Aber was die existentielle Erfahrung dieser beiden Menschen ist, das können wir gerade nicht erklären, wohl aber aus eigener Erfahrung und Miterleben verstehen und beschreiben: „They just fall in love.“ (Echo, Seite 5)
Authentischer Yoga ist ein Übungs- und Erfahrungs-Weg menschlichen Lebens: mittels Körper-Übungen (asanas = Körper-Haltungen und pranayama = Atem-Übungen) und Geistes-Übungen (Geistes-Haltungen im Alltag, in der Meditation; Achtsamkeits-Schulung). Diese Körper-Übungen wirken ausgleichend auf den Geist, während die Geistes-Übungen ausgleichend auf die körperliche Verfasstheit und Körperzustände wirken. Sind Körper und Geist in ausgeglichener Ruhe, beginnt der Yoga-Weg der spirituellen Übungen, der Schulung unseres Selbst. Und die Erfahrung dieses Selbst ist, wie jene Seelen-Erfahrung auch, dann gleichsam alles. Hierin begegnen sich „Ost“ (Yoga, Buddhismus) und „West“ (z.B. jüdische, christliche, muslimische Mystik): Es ist die konkrete Erfahrung meines Selbst, meines „innersten Wesens“, als eine individuelle Wirklichkeit im umgreifenden Raume einer namen- und gestaltlosen Wirklichkeit, die mir Eins-Sein und Ganz-Sein gewährt. Je nach Kultur und Kultus (Religion, Glaube) wird diese existentielle Erfahrung in Worten differenziert beschrieben. Die Worte und Begriffe sind different, vielleicht sogar divergent. Aber als Erleben und Erfahrung ist diese uns umgreifende Wirklichkeit sowohl in Ost und West als auch in jedem einzelnen Menschen authentisch, „gleich“. Dieses Heil und diese Heiligkeit sollten wir allezeit vergegenwärtigen und präsent haben, wenn wir von Yoga sprechen und diesen möglichst authentisch üben. Gerade heute, in einer Zeit der Brüche und Umbrüche, der Spaltungen, der Zersplitterungen, der Vereinzelungen, der Individuen (vgl. lat: in-dividere), der Einzel-Gänger, die weder communio noch Gemeinschaft suchen oder kennen. Gerade heute, in der Epoche der totalen Vermarktung alles Seienden, da selbst das Heilige und Allerheiligste zugunsten des Marktes wie wertloser Tand verramscht wird.
* In: „Echo„, Year 22, Issue No. 2, 28th June 2017, Seite 4ff.; Zeitschrift des Atmasantulana Village, Karla, Indien
**zu Shreeguru Dr. Balaji També siehe:
http://www.ayu.de/front_content.php