Richard Webers erster Roman „Schmetterlinge im Schrank“. Erschienen bei eh books.
Kurzbeschreibung
Ein außergewöhnliches Buch über einen außergewöhnlichen Menschen, der alles andere sein möchte als außergewöhnlich. Franz Gruber kann sich an alles erinnern. Jeder Moment seines Lebens ist unauslöschlich in seinem Gedächtnis gespeichert. Sein sehnlichster Wunsch: Vergessen. Geht nicht. Sein zweit-sehnlichster Wunsch: seinem Schicksal entrinnen. Geht auch nicht. Der Schneeball ist schon längst zur Lawine geworden. Was tun? Die Aufgabe zu Ende bringen. Koste es was es wolle. Vielleicht kann er dann endlich vergessen … wenigstens den Schneeball. Sein Schneeball heißt Hanne und sie ist wirklich außergewöhnlich …
Richard Weber liebt es Geschichten zu erzählen. Zuerst mit seinem Körper. Er war Ballett Tänzer. Als das nicht mehr ging – die Knochen wollten nicht mehr so wie er – als Choreograf und heute ist er auch Theatermacher, Regisseur, Dozent und leitet die Schauspielschule Mainz. Bringt jetzt also anderen bei, Geschichten zu erzählen. Seine Geschichte „Schmetterlinge im Schrank“, die er in uns in Form eines Romans erzählt, gewann auf Anhieb den Martha Saalfeld Literaturförderpreis des Landes Rheinland Pfalz.
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Hier eine Leseprobe:
1 Der Rhein unter mir ist schwarz. Er gurgelt leise. Ein Ende eines Seils habe ich um einen Metallknubbel gebunden, an dem üblicher Weise Ausflugsschiffe festmachen. Das andere Ende des Seils ist um meine Hand gewickelt. Ich stehe auf einer kleinen Anlegebrücke am Rheinufer und der Fluss gurgelt in meinem Rücken. Die Lichter der Stadt flirren, und ich rutsche mit meinen Fersen über die Kante des Pontons. Das Seil spannt sich. Ich lehne weit über den Rhein. Es ist nicht einfach, das Gleichgewicht zu halten, wenn man sich mit einer Hand an einem Seil und mit der anderen Hand an einem Revolver festhält. Die Kante des Pontons drückt durch meine Schuhsohlen, und der Stahl des Revolvers an meiner Schläfe ist kühl. Wenn das Projektil den Schläfenlappen durchschlägt, lasse ich das Seil und den Revolver los und plumpse in den Fluss. Den Revolver wird man, wenn überhaupt, woanders als meine Leiche finden. Heute ist der 17. April und jetzt ist es 22 Uhr. Vor Sonnenaufgang um acht Uhr wird man mich nicht aus dem Wasser ziehen. Zehn Stunden Waschmaschine! Der Fluss, in dem ich wenigsten zehn Stunden treiben werde, spült mit Sicherheit die Schmauchspuren von meiner Hand. Um sicher zu gehen, habe ich die Hand mit Waschpulver eingerieben. Laut Werbung ist dieses Waschmittel besonders gut für verrußte Schornsteinfegerkleidung geeignet. Man darf keine Schmauchspuren an meiner Hand finden. Man wird rekonstruieren wollen, wo und wie es geschehen ist und, wenn überhaupt, nur einen Landungsponton mit einem Seil finden. Das ist nichts Ungewöhnliches, und nichts lässt darauf schließen, dass ich es selbst gemacht habe. Das ist sehr wichtig. Nur dann genügt es! Verschwinden genügt leider nicht. Ich muss tot sein. Mein Körper muss gefunden werden, und er darf keinerlei Anzeichen von „Eigeninitiative“ aufweisen. Deshalb auch das Waschpulver! Wenn ich auf eine Schiffsschraube treffe, ist vielleicht ein Schleudergang drin.
Erst wollte ich eines natürlichen Weges sterben. Scheidet aus Zeitmangel aus. Mit dem Kettenrauchen, das ich vor einer Woche anfing, habe ich wieder aufgehört. Ist Blödsinn. Blieb der Unfalltod: „… vor einen Lkw laufen …“ oder „… ausrutschen und unglücklich über das Geländer einer Brücke fallen …“ ist komplizierter als es scheint, wenn es wie ein Unfall aussehen soll. Man braucht Zeugen, wenn man vor einen Lkw laufen oder über ein Geländer fallen möchte. Passanten, die bestätigen können, dass es ein Unfall war. Um keine Zweifel an meinem Unfalltod aufkommen zu lassen, wollte ich während des Unfalls einen unmissverständlichen Text von mir geben. Wie hätte ich „Hoppla, das ist aber ärgerlich!“ betonen sollen? Dramatisch oder eher beiläufig? Ganz zu schweigen von der Schwierigkeit die Aktion mit dem Text zu koordinieren. Die Schauspieler sprechen dabei vom „Timing“. Man braucht ein darstellerisches Talent, um glaubwürdig vor einen Lkw zu laufen oder über ein Geländer zu fallen. Zu schwer für jemanden ohne schauspielerische Ausbildung bei nur einer Klappe. Eine zweite Klappe hat man bei solchen Unternehmungen meist nicht. Blieb mir nur noch meine Ermordung. Aber wo findet man einen Mörder? Im Internet?