Richtigstellung der Begriffe


Richtigstellung der Begriffe

14.12.2015

Im Werk des Kung-Tse, dem sog. “Lun Yü“ (Gespräche des Meisters Kung), findet sich im 13. Buch, das sich mit der Staatsführung befasst, u.a. ein Gespräch mit seinem Schüler DsïLu, worin dieser von Kung-Tse wissen möchte, was wohl das Wichtigste im Staate sei. Meister Kung antwortete: “Die Richtigstellung der Begriffe“ (vgl. “Gespräche…“, XIII,3, dtv klassik, 1985). Danach folgt sein Lehrsatz, der sinngemäß folgendes besagt: Sind die “Begriffe“, “Bezeichnungen“, “Namen“, “Titel“, etc. nicht richtiggestellt, d.h. stimmen das Schrift-Zeichen und der Wort-Inhalt nicht überein, so entspricht das, was man sagt, nicht mit den beschriebenen Tatsachen, der Realität, überein. Tatsache und Schrift-Zeichen sind zweierlei, sind verschieden zu einander. Entspricht das, was man sagt, jedoch nicht den Tatsachen, dann werden die Handlungen der Regierung ohne Erfolg bleiben. Ist dem so, dann verlieren die Normen (der Riten wie auch die Ritualmusik) ihre Wirkung, d.h. die inhärenten Kräfte in Staat und Gesellschaft — Ethik und Moral — die beides zusammenhalten, werden aufgehoben. Es entsteht “Autonomie“ (von gr. autós und nómos;) u.z. dergestalt, dass ein Jeder sich selbst sein eigenes “Recht“ macht. Ein Jeder gibt sich selbst, nach eigenem Gutdünken und Neigung,sein “Gesetz“. Verlieren die staats- und gesellschaftstragenden Normen jedoch ihre Wirkkraft, dann werden Strafen ohne jegliches Maß ausgesprochen. Dies hat zur Folge, dass die staatliche Macht auf der einen Seite “tyrannisch“ wird, während auf der anderen Seite die “Macht des Volkes“ anarchisch wird. Erteilt die Staatsmacht jedoch maß-los Strafen, so weiß das Volk nicht mehr ein noch aus. Es beginnt gegen die Herrschenden zu rebellieren, oder aber versinkt im Bürgerkrieg eines homo homini lupus. Wobei man dem Wolf hierbei unrecht tut, denn er ist von Natur aus weitaus “sozialer“ als der Mensch.

Versetzen wir uns für einen Augenblick in die historische Zeit des Kung-Tse (551-479 v. Chr.). Zahlreiche (Stammes-)Fürsten und “Könige“ stritten um die Hegemonie im “Reich der Mitte“, das zu dieser Zeit wohl aus vier Königreichen bestand (We, Zhao,Han, und Chu). Ständig kam es zu wechselnden Bündnissen. Wortbruch (der Vassallen bzw. Verbündeten) und Meineid gehörten zur Tagesordnung. Wer konnte wem noch vertrauen? Ja, wer konnte in einer solchen Situation überhaupt noch Vertrauen aufbauen — zu seinem Nächsten, dem Verwandten, dem Nachbarn, dem Fürsten, den Herrschenden (Adelsfamilien, “Eliten“), dem König? In dieser Situation fragt nun der Schüler seinen Meister, seinen Lehrer (Shi), was er als Beamter des Fürsten von We als erstes tun würde. Und Kung zögert nicht, das eigentliche Übel beim Namen zu nennen und zu begründen, warum es für Staat und Volk existentielll wichtig ist, dass die Schrift-Zeichen mit den Wort-Inhalten und diese mit den Handlungen bzw. der Realität übereinstimmen müssen, sofern “Ordnung“ entstehen und bewahrt werden solle. Da Staat und Gesellschaft hierarchisch gegliedert waren, genügte es, das Beispiel am Staat zu verdeutlichen. Jeder Gebildete, jeder “Edle“, verstand ad hoc, was dies für seinen Lebens-Bereich zu bedeuten hatte.

Schrift-Zeichen und Bezeichnung sollten übereinstimmen — so Kungs Forderung. Und heute? 2.500 Jahre nach Kungs Lehrgespräch müssen wir erneut fragen, ob nicht abermals die “Begriffe“, die “Bezeichnungen“ richtiggestellt werden müssen. So etwa, wenn man sich in Konzernen zwar eine “Corporate Governance“ gibt, oder aber immer wieder neue (Verhaltens-)“Kodizes“ auflegt, aber nicht, damit sich der Vorstand, die “leitenden Angestellten“, etc. pp. hieran halten (siehe etwa Standort-Abwicklung “Köln“ bei der Deutschen Lufthansa), sondern weil beides — der Kodex und die CG — als Instrument der Public Relation bzw. der Investor Relations den Markt-Wert des Konzerns nach oben treiben. Denn: sozial zu scheinen lässt sich gut vermarkten. So auch bei sog. “Markenartiklern“ im Bereich der Textilien-Produktion (vgl. Brand in der Textilfabrik von Ali Enterprises, Karatschi, Pakistan, Sept. 2012; Unfall in der Textilfabrik von Sabhar, Bangladesh, April 2013;). Oder etwa, wenn Konzerne wie Nestlé oder Mars sich selbst zwar “zertifizieren“ (UTZ, ICI) und den VerbraucherInnen vorgaukeln, dass sie “nachhaltig“ und “menschenwürdig“ produzieren, de facto jedoch mit Konzernen wie Monsanto in der Gen-Technik-Branche zusammenarbeiten (Nestlé: Kakao- und Kaffee-Pflanzen) und auf den Kakao-Plantagen Afrikas Kindersklaverei stillschweigend akzeptieren (u.a. Mars, Mondeléz, Nestlé, Cargill u.a.m.; vgl. Dokus Schmutzige Schokolade I II, 2010 u. 2012;) .

Aber nicht nur im Bereich der “Globalisierung“ (der Ökonomie) wirft sich die Frage nach der “Richtigstellung der Begriffe“ auf, sondern auch in der heutigen Politik. Sind nicht die Geheimverhandlungen zu TTIP aufgrund ihrer Intransparenz per se “undemokratisch“? Wie kann es denn möglich sein, dass amerikanische Konzerne vorab bestimmen können, dass weder ein Parlament noch irgendeine Judikative das Recht erhält, den Vertrags-Text einzusehen, geschweige denn zu diskutieren? Und weiter: wie kann es möglich sein, dass Regierungs-Stellen wie etwa die amerikanische NSA, der deutsche BND, etc.pp. uns BürgerInnen aktiv ausspionieren und, hierüber zur Rede gestellt, keinerlei Offenlegung ihrer Machenschaften erlaubt, unter dem Hinweis, dass dies die “nationale Sicherheit“ gefährden würde. Ist nicht auch diese politische Intransparenz zutiefst undemokratisch? Und umgekehrt: Müssen wir BürgerInnen nicht viel mehr wie investigative Journalisten/-innen bei allem, was uns von Politik und Wirtschaft angeboten wird, zuerst einmal fragen: cui bono…—?! Wem nutzt zuerst ein “Kodex“, an den sich im Ernstfall sodann niemand hält? Wem nutzt zuerst ein beliebiges “Zertifikat“, wenn die Konzerne moderne Skalvenarbeit zulassen — sei es nun in der Mobile-Tech-Branche Asiens und Chinas, sei es in der Pharma-Branche in Indien, sei es in der Textil-Industrie der sog. Schwellenländer, oder aber im Plantagen-Sektor Afrikas? Anders gefragt: Bedeutet “nachhaltig produziert“, dass der Artikel ökologisch und CO2-neutral hergestellt wurde? Besagt ein “fair Trade“-Zertifikat tatsächlich, dass etwa das indonesische Palmöl, der Kakao von der Elfenbeinküste, der peruanische Kaffee, oder das Baumwoll T-Shirt ökologisch und sozial verträglich hergestellt wurden…—? Fragen wir VerbraucherInnen uns denn wirklich, wer in aller Welt den “wahren Preis“ dafür bezahlen muss, dass wir “alles sofort und jederzeit“ kaufen oder doch wenigstens bestellen können, dass wir alles “gut und günstig“ haben können, dass unser asoziales Verhalten des “Geiz ist geil“ die Ursache dafür ist, dass die Armen in aller Welt ausgebeutet werden können…—? Wann werden wir VerbraucherInnen wach und werden verstehen, dass unser konkretes Verhalten, dass unsere “Bezeichnungen“, dass unser “Lifestyle“ maßgeblich die Realität der Menschen weltweit beeinflusst…—? Wann werden wir endlich Verantwortung für unseren Lebensstil übernehmen und die soziale Ungerechtigkeit “richtigstellen“ — wenigstens versuchs-weise…—? Konfuzius‘ Anliegen ist selbst nach 2.500 Jahren Menschheits-Geschichte so brisant wie ehedem.

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