Bernhard Ruppert
Rezension zu Thomas Bergers Vortrag:
Gutenberg und die Reformation. Ein folgenreiches Bündnis
Der Vortrag von Thomas Berger Gutenberg und die Reformation. Ein folgenreiches Bündnis, gehalten am Reformationstag 2018 in der Protestantischen Heilig-Geist-Kirche, bildet den Auftakt zur Reihe V des Frankfurter Verlages edition federleicht. In dieser Reihe sollen ausgewählte Vorträge zu literarischen, philosophischen sowie theologischen Themen veröffentlicht werden.
Kenntnisreich und detailliert schildert Thomas Berger in seinem Vortrag die vielfältigen und wechselseitigen Einflüsse zu Beginn der Neuzeit aus technischer Innovation, etwa dem beginnenden Buchdruck mit beweglichen Lettern einerseits, sowie der rasanten Verbreitung geistig-geistlicher Gedanken, Meinungen und antagonistischer Glaubenspositionen: Reformation versus römisch-katholischer Kirche, andererseits. Als Protagonisten dienen ihm dabei der Mainzer Patrizier und Erfinder Johannes Gensfleisch zum Gutenberg (um 1400-1468) sowie der wohl bekannteste Reformator Martin Luther (1483-1546). Eine typische Win-Win-Situation, wie wir heute sagen würden: Auf der einen Seite der tüftelnde Erfinder und Kaufmann, Johannes Gutenberg, der die Erstellung und Reproduktion von Texten revolutioniert und damit innerhalb der Epoche der Renaissance eine zeitenstürzende, mechanische Wende herbeiführt − die Skriptorien der Klöster und Übersetzer-Schulen werden reichs- und europaweit binnen weniger Jahrzehnte durch Druckerwerkstätten ersetzt. Seine revolutionäre Erfindung, der Buchdruck mit beweglichen, austauschbaren Lettern, die sowohl in verschiedenen Materialien produzierbar als auch in beliebigen Mengen reproduzierbar sind, ist auf alle bekannten Schrift-Sprachen ad hoc übertragbar, da jeder einzelne Buchstabe individuell mit dem Stichel gestaltet werden kann. Auf diese Weise erhält bei Gutenberg jede literarische „Gattung“ (Dichtung, Ablassbriefe, Kalender, die Bibelübersetzungen etc.) ihre je eigene, unverwechselbare Type. (S. 20) Wurden zuvor die Buchstaben bzw. Wörter noch in mühevoller Handarbeit in Buchen-Holzblöcke geschnitzt, so werden sie zu Beginn der Gutenberg-Revolution zunächst in weiches Blei und später in härtere Metalllegierungen graviert und zuletzt in einem kombinierten Matrizen-Gussverfahren hergestellt. (S. 18) Aus einstmals handgefertigten Unikaten werden nach und nach in beliebiger Menge reproduzierbare Einzelbuchstaben, je nachdem, wie viel Konsonanten und Vokale der ausgewählte und zu druckende Text benötigt. Diese Einzelbuchstaben werden sodann auf dem sog. „Winkelhaken“ / „Kelle“ der Setzer zu einzelnen Wörtern und diese Wörter zu Satz-Zeilen aneinandergefügt. So besteht etwa die „Gutenberg-Bibel“ aus „jeweils 42 Zeilen in zwei Kolumnen mit 299 unterschiedlichen Zeichen einer speziellen Type, die sich durch gotische, nach oben strebende, Elemente auszeichnete.“ (S. 20) Andere Druckerzeugnisse erhielten entsprechend andere Formate. Zudem funktioniert dieses Setz- und Druckverfahren mit beweglichen Druckstöcken ebenso gut auf Papierbögen („Bütten“) wie auf Pergament. Wie weitreichend diese Handsatz- bzw. Druck-Revolution war, zeigt sich u.a. daran, dass sie erst im späten 20. Jahrhundert durch den „Offset-Druck“ und erst im 21. Jahrhundert durch digitalisierte Schrift-Typen und Druck-Verfahren ersetzt werden konnte.
Auf der anderen Seite ein Augustiner-Mönch, ein „Vogelfreier“ auf der Flucht, ein Bibel-Übersetzer, ein Pastor, der Reformator, Martin Luther, der kongenial ebendiese Technik für die Verbreitung seiner eigenen Ideen und Gedanken zu nutzen weiß. Dieser liefert mit seinen Thesen, Traktaten, diversen Übersetzungen, aber auch mit biblischen Szenen und Bildern, ununterbrochen Nachschub für die Druckstöcke des Reiches, während Gutenberg und seine Nachfolger (vgl. u.a. die Werkstatt Lucas Cranachs) in bis dato unvorstellbarer Geschwindigkeit und Fülle diese Schriften veröffentlichen und sie sowohl dem gebildeten, wissbegierigen Adel, als auch der weltoffenen, sich emanzipierenden Bürgerschaft zugänglich machen. (S. 43f.) Dem „einfachen Volk“, das weder lesen noch schreiben kann, helfen bildhafte Darstellungen, sowohl die Anliegen der Reformatoren als auch die Umwälzungen der Epoche zu verstehen.
Berger verweist darauf, dass erst der moderne Schriftsatz und mechanische Buchdruck die Basis für Öffentlichkeit und öffentlichen Diskurs zu beliebigen Themen ermöglichten. Denn was den „Reformatoren“ recht war, das war der „Gegenreformation“ nur billig. Position und Gegenposition heizten über den Buchdruck das öffentliche Klima an. (S. 44f.)
Pointiert gesagt: Wer die Druckerpressen mit seinen Schriften zu besetzen vermochte, der konnte darüber maßgeblich die allgemeine, die „öffentliche Meinung“ im Reich wie auch in Europa bestimmen − quasi analog-mechanische „Twitter“-Technologie während der Renaissance. Aber auch die aufstrebenden Universitäten, die Wissensvermittlung ganz allgemein, profitierte von dieser neuen Technologie.
Als das weltweit wohl berühmteste Werk Luthers dürfte seine Bibelübersetzung aus dem Lateinischen (Vulgata) sowie dem Griechischen (zusammen mit Philipp Melanchthon) ins Deutsche gelten, in der Drucklegung als „Gutenberg-Bibel“ bekannt.
Nur kurz streift Berger in seinem Vortrag die epochalen Umwälzungen des frühen 15. bis späten 16. Jahrhunderts und benennt, stellvertretend für viele andere, einige der herausragenden Persönlichkeiten: die Entdecker Kolumbus, Vasco da Gama, Magellan, den Staatstheoretiker Macchiavelli sowie den Astronom Kopernikus … Ein jeder Einzelne auf seinem Gebiet ein Umstürzler jahrhunderte alter Weltbilder, alter Weltanschauungen, alter Glaubenswahrheiten. Auf diese Weise stellt Berger Gutenberg und Luther in ihren zeitlich-historischen Horizont. (S. 27f.)
Das Bändchen umfasst 65 Seiten. Neben dem Vortrag enthält es einen Quellennachweis, eine Biobibliographie sowie ausgewählte Buchveröffentlichungen des Autors. Preis: 6,50 €
https://www.edition-federleicht.de/produkt/thomas-berger-gutenberg-und-die-reformation