Reisen mit ungewissem Ausgang, 2. Teil


Reisen mit ungewissem Ausgang, 2. Teil

Man stelle sich folgendes vor: Eine Frau, nennen wir sie M, hat viel Schönes über Venedig gelesen, gehört, und in Filmen gesehen. Ihr größter Wunsch ist es, diese Stadt persönlich kennen zu lernen, all das Schöne mit eigenen Augen zu sehen. M. reist alleine, es ist Ende Februar. Nehmen wir an, M. ist aus Köln angereist. Ihr Flug sollte ursprünglich am frühen Morgen starten, wurde dann aber mehrfach wegen schlechten Wetters in Köln und in den Alpen verschoben. M.lässt sich aber so leicht nicht unterkriegen, sie ist trotz der späten Ankunft, des schlechten Wetters, glücklich in Venedig zu sein. Vom Boot aus sieht sie das schwarzglänzende Wasser, die romantischen Lampen entlang der Riva Schiavoni, die die alten Palazzi, San Marco, wie eine Stadt aus einem Traum erscheinen lassen, und kann es kaum erwarten, von Bord zu gehen. M. steigt an der Anlegestelle San Marco aus. Sie geht über den schmalen, schwankenden Steg an Land. Von hier aus sehen die Lampen spärlicher aus, als von weitem, es ist ziemlich dunkel um sie herum, ein feiner Nieselregen tut seines dazu. M. hat keinen Schirm, sie hat auch keine genaue Vorstellung davon, in welche Richtung sie gehen muss, um ihr Hotel zu finden. All das hat sie sich zu Hause zwar genauestens eingeprägt, es sah so leicht aus, an Ort und Stelle aber ist nichts einfach, dazu kommt die Aufregung, all das Fremde, die Tatsache, dass M. nicht italienisch spricht, die Dunkelheit, die jede Orientierung erschwert, und nicht zuletzt der Regen, mit dem sie nicht gerechnet hat, denn alle Bilder, die sie von Venedig gesehen hat, zeigten eine im Sonnenlicht strahlende Stadt. Ms. Reiseunterlagen befinden sich in ihrem Koffer, und den bei diesem Regen zu öffnen, um nach den Unterlagen zu suchen, erscheint ihr wenig sinnvoll. Sie sieht sich also suchend um, versucht sich zu erinnern, neu zu orientieren.

Eine andere Person, nennen wir sie Z. kennt solche Situationen. Im Schutz eines Hauseingangs verborgen, beobachtet Z. die Szene, die sich vor ihm abspielt, lange genug, um den richtigen Moment seines Auftritts zu bestimmen. Dann löst er sich aus dem Dunkeln, schlendert auf M. zu, bleibt stehen, fragt freundlich, ob er irgendwie behilflich sein kann. Er spricht erst italienisch, dann englisch, zuletzt deutsch, lacht ab und an ein wenig verlegen, er gibt vor, die Situation, in der sich M. befindet, aus eigener Erfahrung gut zu kennen.  Zwischen beiden Personen entwickelt sich ein lockeres Gespräch. M., anfangs zurückhaltend, findet Z. zunehmend sympathischer. Er sagt, er lebe seit gut einem Jahr in Venedig, studiere hier Kunst und Geschichte, nebenbei arbeite er in einer Galleria dell‘ Arte, von dort komme er gerade. Er übergibt ihr eine Geschäftskarte der Galerie, lädt M. ein, ihn dort in den nächsten Tagen einmal zu besuchen. M. überwältigt von so viel freundlicher Hilfsbereitschaft, dankt Z. und fragt ihn, wie sie am besten zu ihrem Hotel B. finde. Z. erklärt daraufhin, selbstverständlich begleite er sie zu ihrem Hotel, es läge ohnehin an seinem Weg, und wenn es nicht dunkel wäre, könnte man es von ihrem Standort aus auch bereits sehen. M. ist erleichtert. Z. nimmt ihren Koffer an sich, schließlich ist er ein Kavalier. Freundlich plaudernd setzt man den weiteren Weg gemeinsam fort. Im Hotel B. allerdings kommt M. weder an diesem Abend noch an einem anderen Tag an.

 

Ich erreichte auf meiner Reise mein Hotel ziemlich durchnässt. Der Portier begrüßte mich höflich. Zum Wetter kam nicht ein einziges Wort von ihm, aber nachdem alle Formalitäten erledigt waren, bemerkte er wie nebenbei, am besten sei es wohl, im Restaurant des Hauses noch einen guten Wein zu trinken, auch eine Kleinigkeit zu essen, falls mir danach stand, er werde unterdessen meinen Koffer aufs Zimmer bringen lassen, das Wetter spiele gegenwärtig  in Venedig ziemlich verrückt.

Seinem Rat folgend begab ich mich in den Speisesaal, suchte mir einen Platz am Fenster, beeindruckt von dem Blick auf den nächtlich erleuchteten Canale di San Marco, San Giorgio, Santa Maria della Salute und zu anderen Seite hinunter bis zum Lido. Ein freundlicher Kellner servierte mir Sarde in Saor, gegrillte Dorade, venezianische Polenta. Dazu trank ich einen Prosecco Frizzante aus dem Veneto. Wir unterhielten uns ein wenig über Venedig, den neuesten Klatsch und Tratsch, darüber, welche Geschäfte und Restaurants seit meinem letzten Besuch geschlossen worden waren. Als ich später auf mein Zimmer ging, war es gemütlich warm und mein Koffer wartete bereits auf mich. Man hatte die Gardinen vor dem Fenster soweit zur Seite gezogen, dass ich einen grandiosen Blick über die Lagune und den nächtlichen Lido hatte und ich staunend wie ein Kind eine ganze Weile am Fenster stand.

 

Nehmen wir an, unsere erwartungsvolle Reisende M. hätte bei ihrer Ankunft niemanden getroffen, der ihr Übel wollte. Nehmen wir weiter an, sie wäre wohlbehalten an ihrem Hotel B. angekommen und mit ihr all die Bilder, die sie nach Venedig geführt hatten. Sie ist müde vom vielen Warten und der Anspannung, die die Flugverschiebungen und die Fahrt auf dem Boot in die Stadt mit sich brachten. Nehmen wir ferner an, das Hotel B., das sie über das Internet gebucht hatte, sieht von außen im milden rosafarbenen Lampenlicht einladend und gastfreundlich aus, und hinfort ist alle Müdigkeit, sie nimmt sich trotz Nieselregen vor, gleich nach dem Einchecken noch einen Spaziergang zur Piazza San Marco zu unternehmen, hat sie doch gelesen, bei Nacht sei die Piazza am schönsten.

Dann aber findet sich M. in einer dunklen Hotelhalle wieder, und vor einem Portier, der müde ist von einem langen Arbeitstag und den vielen Fragen ungeduldiger Touristen, die nicht verstehen können, warum in Venedig Wasserbusse streiken, Sehenswürdigkeiten wegen dringender Renovierungsarbeiten nicht besichtigt werden können, in Restaurants immer auch ein Coperto anfällt, und man sich im Labyrinth venezianischer Calli und Sotoporteghi auch mit dem besten Stadtplan hoffnungslos verlaufen kann. Der Portier schaut auf seine Uhr, schließlich hat  er noch eine längere Heimreise nach Hause. Das Einchecken erledigt er professionell und sehr zügig, für Erklärungen ist er an diesem Abend nicht mehr zu haben.

Ihr Zimmer, muss sie wenig später erkennen, es entspricht nicht einmal annähernd dem, was sie ihrer Meinung nach gebucht hat. Es ist winzig, das Bad in einer Nische, für die M. zu groß ist, sie wird im Sitzen duschen müssen. M. denkt daran, was sie für dieses Zimmer bezahlt hat, sie denkt an ihre gemütliche Wohnung zu Hause, an ihr schönes und bequemeres Bett, während dieses im Hotel B. ihr eine schlaflose Nacht voraussagt.

Und als M. meint, sich beschweren und ein anderes Zimmer fordern zu müssen, sieht sie sich italienischer Redekunst gegenüber, halb in deutscher, halb in italienischer Sprache wird ihr vor Augen geführt, wie im Handumdrehen aus einem durchschnittlichen venezianischen Zimmer in einem durchschnittlichen venezianischen Hotel ein Ort der Geschichte wird, der voller Geheimisse steckt und den eine Schönheit umgibt, die nur der sehen kann, der Schönes zu schätzen weiß.

Der Portier, es ist inzwischen ein anderer,  hört sich Ms Beschwerden an, er lächelt und redet sie hinfort,  er macht sie auf die Lampen aus Muranoglas aufmerksam, auf berühmte Gäste, die in ihrem Zimmer bereits übernachtet haben, nicht nur einmal, wie der Portier betont. Er sagt ihr, das Hotel stamme aus dem 16. Jahrhundert, die Lampen aus der ältesten fabbrica lampadaridi Murano. Er könne, lässt der Portier einfließen, ihr eine private Besichtigung vermitteln, auch eine preisgünstige Gondelfahrt, für sie, die Hübsche, gäbe es sogar einen extra günstigen Preis, und dann wird er M. für die Tapeten im Stil des Art Déco von Fortuny in ihrem Zimmer zu gewinnen suchen.  Königs- und Adelshäuser seien mit Tapeten von Fortuny  ausgestattet, und dann der Holzboden, aus der Zeit Casanovas, der in diesem Zimmer ebenfalls übernachtet habe, nach seiner Flucht aus dem Verlies des Palazzo Ducale, von engsten Freunden geschützt. Auch Lord Byron habe in diesem Zimmer genächtigt, nachdem er den Canal vom Lido kommend durchschwommen habe. Seine Geliebte habe im Bett auf ihn gewartet, eine Nonne und Dame aus vornehmem Haus, die man ins Kloster gegeben habe, wie das der damaligen Zeit entsprach.

Wird M. ihr Zimmer von jetzt an mit anderen Augen sehen? Wird ihr das Geld, das sie dafür bezahlt hat, mit einem Mal egal sein? Wird sie noch ihren Spaziergang machen?

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