Regelungen kirchlicher Feiertage


Behördliche Regelungen kirchlicher Feiertage an der Bergstraße

in den Jahren 1945-1952

 

Teil 1

 

Am 18. September 1945 erging von der „Deutschen Regierung des Landes Hes­sen“ in Darmstadt eine Anweisung an „die Oberbürgermeister, die Landräte und Polizeidirektionen“, wonach „die Verordnung über den Schutz der Sonn- und Fei­ertage vom 16. März 1934“ zu beachten sei. „Danach sind an diesen Tagen alle öffentlich bemerkbaren Arbeiten, die geeignet sind, die äußere Ruhe des Tages zu beeinträchtigen, verboten.“ Ausnahmen bestünden „für unaufschiebbare Ar­beiten, die zur Befriedigung häuslicher oder landwirtschaftlicher Bedürfnisse, zur Abwendung eines erheblichen Schadens an Gesundheit oder Eigentum, im Inte­resse öffentlicher Einrichtungen oder Anstalten, zur Verhütung eines Notstandes oder zur Vorbereitung der am folgenden Tage stattfindenden Märkte erforderlich“ seien; „ferner für leichtere Arbeiten in Hausgärten oder diesen gleichzuachtenden Gärten, die von den Besitzern selbst oder ihren Angehörigen vorgenommen“ würden. Diese Vorschriften müssten „nun wieder durchgeführt werden.“

Was die gesetzlichen Feiertage betreffe, so sei der Rechtszustand wieder herzu­stellen, „der vor dem nationalsozialistischen Regime bestand.“ Demnach seien Feiertage:

 

„1) in den überwiegend evangelischen Orten:

Neujahrstag,

Karfreitag,

Ostermontag,

Christi Himmelfahrtstag,

Pfingstmontag und

der erste und zweite Weihnachtstag;

 

2) in den überwiegend katholischen Orten:

Neujahrstag,

Ostermontag,

Christi Himmelfahrtstag,

Pfingstmontag,

Fronleichnamstag,

Mariä Himmelfahrtstag,

Allerheiligentag und

der erste und zweite Weihnachtstag.“

 

Die unterstellten Dienststellen seien entsprechend anzuweisen. – Das liest sich, nicht einmal ein halbes Jahr nach Ende des Zweiten Weltkriegs, schon wie eine endgültige Regelung der Sonn- und Feiertagsordnung, aber die Akte „H2 Bergstrasse Nr. 3928“ des Staatsarchivs Darmstadt, dem das vorstehende wie alle folgenden Zitate entnommen sind, zeigt, wie umstritten manche Regelungen gewesen sind und wie sehr die beteiligten gesellschaftlichen Gruppen ihre Inte­ressen zu wahren suchten. Die Behörden auf Bürgermeister-, Landrats- und hes­sischen Ministerebene des Innern gaben Verordnungen bekannt, reagierten auf Eingaben der beiden Kirchen, der Wirtschaft oder von Privatpersonen und stritten sich zuweilen auch untereinander um die richtige Vorgehensweise; die evangeli­sche und katholische Kirche wollte einer Aufweichung der strikten Sonn- und Feiertagsbeachtung entgegen wirken; manche Gruppen oder Privatpersonen wandten sich an die Behörden mit dem gleichen Anliegen; andere ersuchten um eine Lockerung der bestehenden Vorgaben, weil sie eine Verdienstmöglichkeit als Gastwirte und Tanzveranstalter nutzen wollten. Schließlich liegen noch Fir­men-Briefe vor, in denen Klage geführt wird über geschäftliche Benachteiligun­gen durch unterschiedliche Feiertagsregelungen in benachbarten Gebieten.

 

Eingaben der evangelischen und katholischen Kirche

 

Eine klare Einstellung zur „Sonntagsheiligung“ formuliert das Evangelische De­kanat Zwingenberg in einem Schreiben vom 2. März 1949 an die Kirchenleitung in Darmstadt: „Wir müssen in unserem Dekanat wie ja wohl allerwärts die bedau­erliche Feststellung machen, daß die Sonntagsheiligung aufs äußerste gelitten hat. Lärmende Arbeiten (Holzsägen u. -hacken), Dungausfahren während der gottesdienstlichen Zeit sind keine Seltenheiten.“ Das Dekanat bittet die Kirchen­leitung, bei den „beiden für uns zuständigen Landräten in Heppenheim und Darmstadt“ vorstellig zu werden, damit „die Bürgermeistereien der Kreise auf diese Missstände aufmerksam“ gemacht würden „und um ihre Abstellung Sorge tragen“ wollten. Wie ernst es dem Dekanat Zwingenberg gewesen sein muss, wird deutlich im letzten Satz, wo „gegebenenfalls“ darum gebeten wird, „unseren Antrag der Kirchenleitung in Wiesbaden zustellen zu wollen.“

Am selben Tag verfasste das evangelische Dekanat Zwingenberg noch einen zweiten Antrag an das Verwaltungsamt der Kirchenleitung Darm­stadt, worin es seiner Befürchtung Ausdruck verlieh, dass „die Passionszeit nicht frei von Tanzbelustigungen bleiben“ werde. Einleitend zu dieser Bemerkung wurde missbilligend angeführt, dass „das karnevalistische Treiben an der Berg­straße und in den Odenwaldgemeinden […] trotz der Not der Zeit Ausmaße an­genommen“ habe, „die früher hier unbekannt waren.“ Auch der Schlusssatz des Schreibens ist von moralischem Impetus getragen, wenn die Bitte vorgetragen wird, „einer alten guten Sitte fol­gend Genehmigungen für Tanzerlaubnis in der Passionszeit zu versagen.“

Die Kirchenleitung der evangelischen Kirche in Hessen und Nassau schloss sich in einem Brief vom 19. März 1949 an „den Herrn Landrat des Kreises Berg­straße“[1] dem Anliegen des Evangelischen Dekanats Zwingenberg betreffs „Tanz­vergnügen während der Passionszeit“ „mit allem Nachdruck“ an und argumen­tierte ebenfalls auf moralischer Ebene: „Nach dem der Lage des Deutschen Vol­kes in keiner Weise entsprechenden und im Hinblick auf die erschütternde Not weiter Volkskreise beschämenden Treiben der Karnevalszeit, wäre eine weitge­hende Einschränkung der Tanzbelustigungen und sonstiger dem Charakter der Passionszeit nicht entsprechender öffentlicher Lustbarkeiten dringend zu wün­schen, zumal das Vergnügungstreiben in Deutschland ohnehin das deutsche An­sehen schwer schädigt.“ Eingeleitet wurde diese Bemerkung mit dem Suggestiv-Satz: „Wir wissen, daß wir in dieser Sache bei Ihnen Verständnis finden werden, zumal auch eine ganze Reihe von anderen Landkreisen entsprechende Anord­nungen getroffen haben.“ Der Schluss des Briefes drängt den Landrat zu einer eindeutigen Entscheidung und erwartet in höflicher Weise eine Art Vollzugsmeldung: „Wir bitten Sie daher, entsprechende Maßnahmen für den Landkreis Bergstraße zu treffen. Wir wären Ihnen für eine Mitteilung über das von Ihnen etwa Veranlaßte sehr dankbar.“

Diese „Mitteilung“ konnte der Landrat aus juristischen Erwägungen heraus nicht sogleich geben, auch wenn er am 28. März 1949 ein Brief-Konzept an das „Kir­chenleitungs-Verwaltungsamt“ in Darmstadt erstellen ließ, worin er mit dem vor­getragenen Anliegen d´accord ging und sich dabei der Unterstützung „aller politi­schen Parteien“ des Kreisausschusses sicher war?. Das Tanzverbot während der Passionszeit bestünde auch in seinem Kreis, und er sehe „keinerlei Veran­lassung“ zur Aufhebung. Zur Begründung führte der Landrat an, dass „in der Zeit vom 11.11. bis zum Aschermittwoch […] viele Veranstaltungen stattgefunden“ hätten; außerdem müsste besonders berücksichtigt werden „die Not weiter Volkskreise“ sowie die Tatsache, „daß noch zahlreiche Familien auf die Rückkehr ihrer Angehörigen aus der Gefangenschaft warten“.

Wohl zur Erinnerung an die noch ausstehende Antwort des Landrats schrieb die evangelische Kirchenleitung im Verwaltungsamt Darmstadt am 6. April 1949 ei­nen zweiten Brief und bezog sich diesmal auf die „Eingabe des Evangel. Deka­nats Zwingenberg“ zur „Sonntagsheiligung“. Sie berichtet von einem persönlichen Gespräch „mit dem Herrn Landrat des Landkreises Darmstadt“. Dieser habe in Aussicht gestellt, „im nächsten Amtsblatt auf die Notwendigkeit der Beachtung der zum Schutz der Sonn = und Feiertage erlassenen Vorschriften nachdrücklich hinzuweisen.“ Eine Empfehlung und ein Drängen zum Handeln drückt sich aus in den Sätzen: „Vielleicht ist dies ein geeignetes Mittel, den zweifellos bestehenden Mißständen zu begegnen. Wir wären Ihnen sehr dankbar, wenn Sie auch Ihrer­seits in Erwägung ziehen würden, ob und in welcher Weise den berechtigten An­liegen des Dekanats Zwingenberg Rechnung getragen werden kann.“

Welche juristischen Bedenken hinderten den Landrat des Kreises Bergstraße am Handeln im Sinne der evangelischen Kirchenleitung des Verwaltungsamtes Darmstadt? In einem Brief vom 9. Mai 1949 an den Regierungspräsidenten in Darmstadt erläuterte er seine Bedenken dahingehend, dass „besondere Vor­schriften über den Schutz der Sonn- und Feiertage z.Zt. nicht bestehen.“ Weiter führte er aus: „Das Gesetz über die Feiertage vom 10.1.1946 (Gesetz-u.VO.Blatt S. 72) besagt zwar, dass der Minister des Innern Vorschriften über den Schutz der Sonn- und Feiertage erlassen kann, jedoch sind solche Vorschriften bis jetzt noch nicht erschienen. Durch § 7 des o.a. Gesetzes wird das Gesetz über die Feiertage vom 27.2.1934 (RGBl.I S. 129) außer Kraft gesetzt. Demzufolge ist auch die Verordnung über den Schutz der Sonn- und Feiertage vom 16.3.1934 (RGBl.I S. 199), die sich auf das Gesetz vom 27.2.1934 stützt, als aufgehoben anzusehen.“ Der Landrat ging davon aus, „der Bitte der Ev. Kirchenleitung so­lange nicht […] entsprechen“ zu können, „als nicht von Seiten des Ministers des Innern auf Grund des § 6 des Gesetzes vom 10.1.1946 besondere Vorschriften erlassen worden sind.“ Auch gegen die Störer der Sonntagsruhe könne nicht vorgegangen werden, „da die Voraussetzungen für die strafbare Handlung, näm­lich die Zuwiderhandlung gegen eine erlassene Anordnung, fehlt.“ Er bat des­halb, „bei dem Minister des Innern vorstellig zu werden, damit möglichst bald auf Grund des § 6 des Gesetzes von 1946 eine Verordnung erlassen wird.“

Ohne diese juristische Diskussion weiter zu vertiefen (der Landrat des Kreises Bergstraße widersprach der Anordnung des Regierungspräsidenten Darmstadt, „bis auf weiteres wieder die früheren landesrechtlichen Vorschriften des Hess. Polizeistrafgesetzes anzuwenden“) – am 12. September 1950 erging vom hessi­schen Minister des Innern ein Erlass an die „Herren Regierungspräsidenten Darmstadt, Kassel und Wiesbaden mit Nebenabdrucken für die Herren Oberbür­germeister und Landräte“ über die „Weitergeltung der Verordnung über den Schutz der Sonn- und Feiertage vom 16.3.1934“, die, „nach allgemeinen Rechtsgrundsätzen in Kraft geblieben“ sei. Abschließend heißt es: „Entsprechend dieser Rechtslage und im Hinblick auf geltend gemachte Mißstände bitte ich, dafür Sorge zu tragen, daß die in der Verordnung vom 16.3.1934 enthaltenen Schutzbestimmungen beachtet werden.“[2]

 

Auf katholischer Seite findet sich in der Akte eine ganz bodenständige Auseinan­dersetzung zwischen dem Pfarramt in Bensheim am Marktplatz und dem Gast­stätten-Betreiber August G.[3] in der Augartenstraße 21. Am 15. Juli 1950 be­schwerte sich Stadtpfarrer Ludwig Karl Haenlein[4] bei Landrat Wilhelm Dengler über den Tanzbetrieb in der Gaststätte August G.s; samstags und sonntags werde dort „öffentlich Tanzmusik abgehalten (20.00 bis 22.00)“. Der Landrat wurde gebeten, „dem genannten Betrieb wenigstens insofern Beschrän­kungen aufzuerlegen, daß die in Artikel 4 Abs. 1. und 2. des Bonner Grundgeset­zes der Kirche gewährten Rechte auch gegeben“[5] seien. Den Hinweis auf den Grundgesetz-Artikel griff der Landrat sowohl in einem Schreiben an Bürgermeis­ter Joseph Treffert[6], als auch den Gaststättenbesitzer August G. auf. Beim Bürgermeister erkundigte er sich, „ob tatsächlich in diesem Falle der Gottesdienst durch die Tanzmusik gestört“ werde und kam zu dem Schluss: „Gegen den Inha­ber des Betriebes kann nach § 360 (11) StGB. Strafanzeige erhoben werden, je­doch erst dann, wenn ihm nachgewiesen wird, daß er die Nachbarschaft in er­heblichem Maße durch ruhestörenden Lärm störte.“ Ferner bat er den Bürger­meister „nach Rücksprache mit dem katholischen Pfarramt Bensheim“ festzu­stellen, „ob Gottesdienste an Samstagen und Sonntagen in den Abendstunden regelmäßig stattfinden sollen oder nur ausnahmsweise am Samstag, den 12. und Sonntag, den 13. August 1950.“[7]

Das Schreiben des Bürgermeisters ging dem Landrat am 26. Juli zu und bestä­tigte die Beschwerde des Stadtpfarrers Ludwig Karl Haenlein. Ganz besonders, wenn der Tanz im Freien stattfinde „oder im Lokal bei offenem Fenster“, sei der Gottesdienst „erheblich gestört“. Auch die angrenzende Nachbarschaft fühle sich „durch derartige Veranstaltungen stark belästigt“. G.s Lokal sei „nur für ei­nen normalen Gaststättenbetrieb geeignet, da diese Straße in einer ruhigen Ge­gend der Stadt liegt.“ Das katholische Pfarramt Bensheim habe bestätigt, dass „an Samstagen in der Zeit von 20,00-22,00 Uhr Beichtgelegenheit und an Sonn­tagen von 20,00-21,00 Uhr Abendandachten in der kath. Pfarrkirche“ stattfänden.

Der Gaststättenbesitzer August G. musste sich folgenden Maßnahmen seitens des Landrates beugen, die ihm „mittels Zustellungsurkunde durch den Bürgermeister der Stadt Bensheim“ ausgehändigt wurden: Tanzveranstaltungen durfte er nur noch „innerhalb“ seiner Gaststättenräume „bei geschlossenen Fenstern und Türen“ stattfinden lassen, nicht mehr „im Freien, auf Terassen [!], im Garten usw.“; die Tanzveranstaltungen durften „an Samstagen erst ab 22.00 Uhr und an Sonntagen erst ab 21.00 beginnen.“ Zudem war im Lokal „lärmende Musik (Blaskapelle) untersagt“ und musste „durch gedämpfte Musik (z.B. Streichorchester)“ ersetzt werden.

 

 

 

[1] Wilhelm Dengler (1889-1951), SPD, Landrat des Kreises Bergstraße von 1945-1946 und von 1948-1951.

[2] Eine Beschwerde der evangelischen Kirchenleitung von Hessen und Nassau „an den Herrn Minister des Innern“ bestimmte den Regierungspräsidenten in Darmstadt am 23. November 1949 zu einem Rundschreiben an die Magistrate, Oberbürgermeister, Polizeipräsidenten, Polizeidirektoren, Landräte und Bürgermeister. Es handelte sich darum, „daß in zahlreichen Orten des Landes Hessen während der ‚Kerb’ kirchliche Einrichtungen und Gebräuche öffentlich verächtlich gemacht worden seien. Bei dem ‚Begräbnis der Kerb’ habe man sich der Symbole der Christenheit, wie Kreuz und Kruzifix, oft in verzerrter Form, bedient und der Pfarrer wurde in humoristischer Weise dargestellt.“ Der Regierungspräsident erinnerte an die strafrechtliche Relevanz eines solchen Verhaltens und erinnerte die Polizei daran, dass „jede Duldung von Gesetzesverletzung als Dienstvergehen disziplinarisch geahndet wird.“

[3] Name aus Datenschutzgründen anonymisiert.

[4] Ludwig Karl Haenlein (1904-1977), Priesterweihe am 16.03.1929 in Mainz (Bischof Hugo), 15.05.1949 Pfarrer in Bensheim.

[5] Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland, Artikel 4, Abs. 1: „Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sind unverletzlich.“ Abs. 2: „Die ungestörte Religionsausübung wird gewährleistet.“

[6] Joseph Treffert (1883-1963), CDU, Bürgermeister von Bensheim 1946-1954.

[7] An diesem Wochenende fanden Feiern in Anwesenheit Bischof Albert Stohrs von Mainz statt, weil die kriegszerstörte Stadtkirche wieder hergestellt worden war und dem Gottesdienst übergeben wurde.

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