Neujahrskonzert mit Nikolaus Harnoncourt und den Wienern Philharmonikern


Neujahrskonzert mit Nikolaus Harnoncourt und den Wienern Philharmonikern,

Tagebuch-Eintrag von Neujahr 2003; veröffentlicht anlässlich des Todes von N. H.

 

Gestern Mittag dirigierte Nikolaus Harnoncourt die Wiener Philharmoniker. Es war ein mitreißendes Konzert aus Walzer-Melodien. Zuletzt gab es die obligatorischen Blumen-Grüße für den Maestro, die Harnoncourt bewegt entgegennahm. Einen riesigen Strauß weißer Rosen. Er brach daraus eine ab und — gab sie stellvertretend für alle, an den ersten Geiger weiter. Eine wunderschöne Geste der Anerkennung wie auch der Dankbarkeit. Und da wurde mir bewusst: Ein Dirigent ist immer nur so gut und erfolgreich wie sein Orchester, ja ohne Orchester ist er gleichsam ein Nichts. Stellen wir uns einen Dirigenten ohne Orchester vor: Seine Bewegungen bleiben die selben — aber es gibt keine Melodie, keine Ausstrahlung, keinen Ausgriff auf das Publikum. Er könnte ein Hampelmann auf der Bühne sein. Nicht mehr. Wie Aristoteles das Zusammenspiel von Pferd und Reiter charakterisierte: Ein Reiter ohne Pferd ist ein Fußgänger. Und ein Dirigent ohne Orchester?

Aber auch umgekehrt: Was ist ein Orchester ohne seinen Dirigenten? Eine Ansammlung von instrumentaler Solisten. Unfähig zusammmen-zu-finden, also Harmonie entstehen zu lassen. So wie der Dirigent seine Solisten braucht, um das Getrennte zusammen zu führen, so braucht auch das Getrennte einen Dirigenten, um Harmonie entstehen lassen zu können. Beide Können sind unaufhebbar miteinander verschränkt, weil sie unaufhebbar aufeinander bezogen und angewiesen sind.

Finden jedoch Dirigent und Orchester zueinander, so entstehen Harmonien, die begeistern, die bezwingen, die beglücken…— Dann strahlt eine universale Sprache über alle Grenzen von Raum und Zeit aus und berührt die Menschen in ihren Herzen, ja in ihrer Existenz.

Aber auch das: Im Orchester hat jeder Solist, jedes Instrument seinen „Ort“, seinen „Raum“. Es herrscht „Ortung“ und „Ordnung“. Niemals werden etwa die Geigen hinter den Holzblasinstrumenten oder diese vor den Bratschen sitzen, oder etwa die Kessel-Pauken vor den Blechbläsern. Nein, hier hat alles seine Ordnung und diese geht von den „Stimmen“ weiter über die Akkorde bis hinunter zu den einzelnen Takten und Noten. Alles hat hier seinen Ort und seinen geordneten Raum. So erst entsteht eine „Harmonia mundi“ — ein Ein-Klang als Abbild der Welt. Und doch ist’s der Dirigent, der jede Note, jeden Takt, jede „Stimme“, jede Instrumenten-Gruppe punktgenau zur großen „Stimmung“, zum Ein-Klang, zur Harmonie, zu einem Ganzen zusammen-führt. Selbst ein eingespieltes Orchester, das zudem den Namen als Programm trägt: Phil-Harmonie — also Menschen, die den Ein-Klang lieben —, vermag nichts ohne seinen Dirigenten. Beide zusammen jedoch vermögen uns zu bezaubern…

Und gerade so, wie die eine Rose aus der Hand des Maestro der „Lohn“ für harte Arbeit war, so war und ist der Applaus der Lohn eines jeden Künstlers. Sei er, was er wolle. Nie ging es den Kapell-Meistern einzig um ihr „Gehalt“ oder ihre „Apanage“ (von lat. appanare, mit Brot versorgen). Es ist der frenetische Applaus, der den eigentlichen Lohn der Mühen darstellt. Denn dieser Lohn bereichert die Seele des Künstlers, bedankt sich bei ihm für seine Existenz und sein Können. Und das weiß der Straßen-Musikant genauso zu schätzen wie ein international gefeierter Star. Sicher, manche Musiker spielten bis zu ihrem Lebens-Ende um des Geldes wegen, das sie schneller ausgaben, als sie es verdienen konnten, und das, obschon sie horente Summen verdienten. Aber Genies — wie etwa ein Bach oder ein Beethoven — spielten zuletzt einzig um der Musik willen. Denn dort waren sie in ihrem Pantheon — Gleiche unter Gleichen.

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