Nachruf auf Prof. Dr. Wisser


Nachruf auf

 

Prof. Dr. Richard Wisser

* 05.01.1927 und † 12.03. 2019 in Worms

 

Professor Dr. Richard Wisser ist tot. Er starb im Alter von 92 Jahren in seiner Heimatstadt Worms. Als 16-Jähriger in den II. Weltkrieg eingezogen, als 18-Jähriger in amerikanische Kriegsgefangenschaft geraten und in Nizza interniert, als 20-Jähriger wieder zu Hause in Worms. Nach dem Notabitur führte ihn sein Weg zur Philosophie und zu Prof. Fritz-Joachim von Rintelen an die Mainzer Johannes Gutenberg-Universität, wo er von 1971–1998 als „ordentlicher Professor“ tätig war. Er, der Spross aus einer altehrwürdigen Wormser Doktorenfamilie. Schon damals „Schwarzes Schaf“, Querdenker, Quertreiber, in der Zeit quer zur Zeit unterwegs, stets für eine Überraschung gut. Nach eigenem Bekunden brachte ihn der Widerspruch, dass es sich bei Friedrich Nietzsches Demenz um eine Strafe Gottes handele, ins kindliche Fragen, ins bohrende Wissen-Wollen, ins spätere philosophische In-Frage-Stellen. Wisser kannte die „Großen Philosophen“ des 20. Jahrhunderts noch persönlich: so etwa den Fundamentalontologen Martin Heidegger, den Periechontologen Karl Jaspers, den Hermeneutiker Hans Georg Gadamer, den visionären Marxisten Ernst Bloch, Emmanuel Levinas und viele andere mehr, die wir Jüngeren nicht einmal mehr ihrem Namen nach kennen, geschweige denn ihrem Spezialgebiet innerhalb der Philosophie zuordnen könnten. Als Professor machte Wisser seinen Weg an verschiedenen Universitäten in der Türkei, Japan, etc., wo er zahlreiche Gastprofessuren innehatte. Hier galt sein Motto: „unterwegs in der Welt, zu Hause in Worms“. Als Philosoph brachte er den Terminus der sog. „Kritisch-Krisischen-Grundbefindlichkeit“ in die Philosophie ein.

 

Der Mensch Richard Wisser lebte bescheiden, obschon er mit zahlreichen Ehrenpreisen hoch dekoriert wurde. So etwa mit dem „Bundesverdienstkreuz Erster Klasse“, dem „Ehrenring der Stadt Worms“ oder dem 2017 verliehenen höchsten kroatischen Staatsorden für seine humanitäre Hilfe vor, während und nach dem letzten Balkankrieg. Nicht nur Worms, sondern auch die kroatische Stadt Dubrovnik lagen Wisser gleichermaßen am Herzen. Als Philosoph und Mensch war Wisser ein „Macher“ — weder der „philosophische Elfenbeinturm“ noch ein „lyrisches Arkadien“ waren sein Reich.

Warum führe ich all diese Details an dieser Stelle aus? Nun, Richard Wisser war sehr wohl ein „Professor“ alten Schlags, wie er gleichzeitig auch Philosoph war. Aber sein Horizont war noch viel weiter gesteckt als dieser einseitige Bereich. Wisser war beides: Denker undDichter. Sein dichterisches Werk, das von unserem Co-Autoren, Herrn Johannes Chwalek, kontinuierlich vorgestellt wird, umfasst antike Lyrik-Formen der Anakreontik ebenso wie die japanischen Kurzformen des waka und Haiku. So machte sich Wisser u. a. um den anakreontischen Dichter Johann Nikolaus Götz (1721-1781), ebenfalls ein Wormser, verdient, indem er dessen Werk vor der Vergessenheit rettete. Wer jedoch den Philosophen Richard Wisser etwas näher kennt, der kann in seinen hier im Blog veröffentlichten Gedichten immer wieder Anspielungen und verschlüsselte Hinweise auf Philosophen und ganze Philosophien finden, die er brillant und eloquent ins Wort und damit ins Denken setzt. Manches mag beim flüchtigen Lesen seiner Zeilen alltäglich, banal, wie Wortgeklingel oder Phrasendrescherei erscheinen. Allein, wer Wissers lyrisches Werk so liest, der hat nichts von dessen Tiefendimension erfahren, erfasst, begriffen. Und was Herr Chwalek in unserem Blog bis dato veröffentlicht hat (161 Gedichte), ist ja nur ein Bruchteil dessen, was Richard Wisser seit seiner Kindheit ediert und im privaten Fundus, quasi als literarisch-philosophischer „Nibelungen-Schatz“, gehortet hat. Nur wenige dieser Gedichtbände wurden, ebenfalls auf Initiative Herrn Chwaleks, in den letzten Jahren der Öffentlichkeit zugänglich gemacht: so etwa im Hager-Verlag „Übergänge — Wege zum Wesen in Gedichten“ (2012), „Wortschwall und Schweigen — Klang und Gehör“ (2009) sowie „Halt ohne Anhalt. Gedichte, die zu denken geben.“ (2004).

Richard Wissers Denken, Dichten und Leben trug viele Facetten. Man könnte nun geneigt sein, zumal als „Nachruf“, dieses denkende Dichten und dichterische Denken mit Hölderlins Wort: „Voll Verdienst, doch dichterisch/wohnet der Mensch auf dieser Erde.“ (In lieblicher Bläue) umfassen und gleichsam „auf den Punkt bringen“ zu wollen. Allein, Richard Wisser schrieb in einem „offenen Horizont“ (Jaspers), der keinen endgültigen „Punkt“ duldete. Als Autor unter anderen Autorinnen und Autoren haben wir einen eloquenten „Schrift-Steller“ (Heidegger) verloren. Wer Richard Wisser jedoch als Menschen persönlich kennenlernen durfte, hat weitaus mehr als dies verloren. Beide Personengruppen eint, dass wir ihn zwar nicht auf Dauer, wohl aber für kurze Zeit als Weg-Gefährten an unserer Seite erleben, dass wir ihm in Wort, Schrift und Tat begegnen durften. Requiescat in pacem!