Mia packt ihre Sachen
Heute hat Mia sich fest vorgenommen, es alleine zu schaffen, ohne fremde Hilfe! Schließlich ist sie ja schon sechs geworden und kann schon schreiben und rechnen. Von der Terrasse aus wirkt die Schaukel eigentlich klein und ungefährlich. Jetzt fragt sich Mia, warum sie überhaupt Angst hat? Entschlossen macht sie sich auf den Weg. Ihre Hände bewegen sich im Rhythmus mit ihrem Körper, das Kleidchen wird vom Wind von einer Seite zur andern geweht. Sie pfeift und summt wie die Biene und kommt immer näher ans Ziel. Aber je näher sie am Ziel ist, umso stärker schlägt ihr Herz. Und sie wirkt immer kleiner und kleiner, bis sie vor der Schaukel steht und hoch schaut. Sie greift mit einer Hand an den Sitz und schwingt die Schaukel über ihren Kopf.
„Soll ich jetzt wirklich versuchen, da hoch zu kommen?“
„Nein, mach das nicht, das ist viel zu gefährlich“, ruft plötzlich eine leise Stimme. Mia erschreckt sich und schaut in alle Richtungen.
„Wer spricht da?“
„Ich bin hier unten neben dem Busch.“
Mia sucht mit ihren Augen den Busch ab und sieht plötzlich ein kleines Wollknäuel vor sich. So groß wie ein Laib Brot, mit großen Ohren und schwarzen Glubschaugen. Das Fell ist überwiegend schwarz. Unter dem Kinn verläuft ein weiterer weißer Strich, weiter unten an den Pfoten ist alles braun.
„Nanu, du bist ja so goldig!“, sagt Mia. „Wer bist du und woher kommst du?“
„Weiß nicht, aber ich bin schon so lange unterwegs, bin müde und habe Hunger.“
Mia zögert nicht lange, schnappt das kleine Wollknäul und läuft mit ihr ins Haus rein. Hier bewegt sie sich ganz leise auf Fußspitzten, damit ihre Mutter es nicht mitbekommt, welchen Besuch sie haben. Sie schleicht sich in die Küche und schließt die Tür hinter sich. Das Wollknäul setzt sie auf den Tisch und bringt ein Schälchen Wasser. Das kleine süße Ding fängt schnell an zu trinken. Mia schaut in der Zwischenzeit, was sie ihrem Gast zum Essen anbieten könnte. Dafür stellt sie einen Stuhl vor den Kühlschrank und krabbelt drauf.
„Hier gibt es Käse, Marmelade, Suppe und gekochte Eier. Dann gibt es hier noch Reste vom Mittagsessen; Lachs mit Kartoffeln. Was möchtest du?“
Mia schaut zu ihrem Besuch.
„Ach, weißt du was, ich stelle einfach alles hin und du kannst von jedem soviel probieren, wie du möchtest “.
Ihr kleiner Besuch stopft sich ordentlich Essen in den Mund, immer schneller und schneller, bis irgendwann nichts mehr reinpasst und er aufhört. Nun liegt er mit vollem Bauch auf dem Küchenteppich. Mia sitzt währenddessen gegenüber und schaut freudig zu. Plötzlich hört sie im Gang Schritte immer näher kommen. Schnell holt Mia ihren kleinen Besuch auf den Arm, versteckt sich hinter der Tür und passt einen guten Moment ab, um in ihr Zimmer zu laufen. Dort liegen beide auf ihrem Bett. Mia streichelt den Wuschel am Bäuchlein, der seine Viere von sich streckt.
„Möchtest du hier mit mir leben?“, fragt Mia. „Wenn ich darf“, erwidert ihr Besuch. „Dann müssen wir dir einen Namen aussuchen.“
Mia überlegt; Blacky, Susi, Goldchen, so heißen die Tiere der Nachbarskinder. Aber Mia gefallen diese Namen nicht.
„Ich hab’s! Bony! Was meinst du? Gefällt dir der Name?“
In diesem Moment hat Mias Mama das Chaos in der Küche entdeckt. Die Hände über den Kopf geschlagen, ruft sie nach Mia.
„Schnell, versteck dich, Bony, ich glaube, meine Mama kommt.“
Bony krabbelt unter die Decke, und da kommt auch schon Mias Mama rein.
„Mia, das ist inakzeptabel, dass du hier streunende Tiere reinbringst, überall sind Haare und das ganze Essen ist in der Küche verteilt!“
„Aber Mama, es….“
„Nein, Schluss jetzt, Mia, ich möchte nichts mehr hören. Deine Mama hat schon genug zu tun! Ich werde jetzt die Küche aufräumen. Wenn du das Tier noch irgendwo versteckt hast, dann hast du jetzt eine Stunde Zeit, um es nach draußen zu bringen. Später werde ich dich zu Großmutter bringen, du bleibst das Wochenende dort.“
Als Mia wieder alleine im Zimmer ist, fängt sie ganz furchtbar an zu weinen. Nie wieder wird sie Bony, ihre beste Freundin, hergeben. So beschließt sie, ihre Sachen zu packen und gemeinsam mit Bony wegzugehen. Sie holt ihren Rucksack, packt ein paar Kleider, Schuhe, zwei Decken, ihre Spardose ein und schreibt ihren Eltern einen Brief:
„Liebe Mama und lieber Papa,
ich habe meine Sachen gepackt und gehe mit Bony weg. Macht euch um mich keine Sorgen.
Eure Mia.“
Nun läuft sie schnell in die Küche, während ihre Mama in den Keller geht, um den Staubsauger zu holen, und nimmt Brot, Käse und Wasser mit. Dann brechen die beiden Freundinnen auf. Raus aus der Stadt, über eine Brücke entlang am Fluss durch eine bunte Wiese, wo sie beschließen, ein Picknick zu halten. Plötzlich hören sie ein Rauschen in einem Busch. Mia versteckt Bony hinter ihrem Rücken.
„Wer ist da, komme raus und zeig dich!“
Es ist beängstigend ruhig, der Busch bewegt sich jetzt nicht mehr. Doch Mia weiß, dass dort jemand ist. Langsam geht sie auf den Busch zu, der voll mit gelb-roten Blumen bedeckt ist. Plötzlich kommt ein Kaninchen rausgesprungen und springt Mia in die Hände und hinter ihm ein Hund. Der Hund springt hin und her und versucht nach dem Kaninchen zu schnappen.
„Stopp, was machst du?“
„Lass es los, lass los, ich möchte es fangen!“, sagt der Hund.
„Nein, lass es in Ruhe!“
Mia geht zurück auf ihre Decke und gibt dem Kaninchen etwas zu trinken. Drüben am Busch sitzt der Hund mit gesenkten Ohren.
„Möchtest du zu uns kommen? Wir haben hier auch etwas zum Essen und Trinken. Wie heißt du eigentlich?“
„Ich heiße Timo“, antwortet er und kommt zu den andern. Mia gibt ihm ein Stück Brot und Käse. „Warum hast du das Kaninchen gejagt?“, fragt sie. „Ich bin ein Jagdhund, ich muss das machen“, antwortet er. Wer seid ihr und wohin geht ihr?“
Timo sieht Bony ähnlich. Sein Fell ist auch überwiegend schwarz, an den Pfoten, unten am Kinn und Bauch ist er braun. Aber er ist doppelt so groß wie sie, die ihm nun antwortet.
„Wir sind weggelaufen und suchen ein neues Zuhause.“
Timo springt in die Luft, „da habe ich etwas für euch! Ich wohne in einem großen Haus ganz alleine. Wir müssen quer über den Hügel, dann über den Regenbogen zum anderen Ende.“
So brechen die vier Freunde auf in ihr neues Zuhause.
In der Zwischenzeit haben Mias Eltern ihren Brief gefunden und machen sich große Sorgen.
„Was machen wir nun?“, weint ihre Mama.
„Warum hast du ihr verboten, das Tierchen zu behalten? Kinder müssen mit Tieren aufwachsen“, sagt ihr Vater.
So streiten sich die beiden, wer Recht und Unrecht hat. Und was meinst du, der du die Geschichte liest? Hat Mia Recht, dass sie mit Bony ausgezogen ist?
Die Eltern geben eine Eilmeldung raus:
„Gesucht wird Mia, ein kleines Mädchen mit braunen lockigen Haaren und grünen Augen. Vermutlich ist sie mit einem kleinen Tierchen unterwegs. Die Belohnung ist ein Kinderflugzeug, mit dem man in den Kindergarten oder in die Grundschule fliegen kann.“
Die Eilmeldung verbreitet sich schnell in der ganzen Stadt, im Radio, den fliegenden Zeitschriften, den selbstklebenden Postern, die sich an den Bäumen, an Bänken und Spielplätzen befestigen. Mia und ihre Freunde, die mittlerweile in ihrem neuen Haus angekommen sind, bekommen von all dem nichts mit. Die Vier machen sich an die Arbeit. Das Kaninchen Peterchen buddelt Löcher und säht Obst und Gemüse, Mia streicht die Wände; die Küche hellgrün und das Wohnzimmer hell-blau, gelb und hell- violett. Timo und Bony kochen eine leckere Gemüsesuppe, als sie plötzlich einen Schatten vor dem Fenster merken. Ganz nervös bewegt der dunkle Schatten sich hin und her und klopft plötzlich am Fenster.
„Wer ist da?“, fragt Bony.
„Ich bin ein Briefbote und bringe eine Eilmeldung.“ Er wirft einen Zettel in den Briefkasten und fliegt davon. Mia möchte gerade den Zettel aufheben, als dieser plötzlich hochfliegt, sich aufschlägt und anfängt vorzulesen:
„Gesucht wird Mia, ein kleines Mädchen mit braunen lockigen Haaren und grünen Augen. Vermutlich ist sie mit einem kleinen Tierchen unterwegs. Die Belohnung ist ein Kinderflugzeug, mit dem man in den Kindergarten oder zur Grundschule fliegen kann.“
„Ach Gott, meine Eltern machen sich Sorgen. Ich schreibe ihnen lieber einen Brief.“
Sie nimmt schnell einen Stift und ein Blatt und fängt an zu schreiben:
„Liebe Mama und lieber Papa,
uns geht es hier gut. Wir leben am anderen Ende des Regenbogens, haben ein großes Haus, und Timo und Peterchen sind unsere neuen Freunde.“
Auf einmal fängt es wie aus Eimern an zu regnen. Mia schmeißt den Stift hin und läuft raus, da die Wäsche draußen hängt. Da kommt Peterchen angehüpft, liest den Brief und schreibt weiter:
„Als Timo mich gejagt hat, hat er mich am Schwanz erwischt. Es hat nicht weh getan, aber nun fehlt an dieser Stelle Fell.“
Er schaut aus dem Fenster und sieht, wie Mia gegen den Regen kämpft und hoppelt ihr zu Hilfe.
Jetzt kommt Timo und liest den Brief, nimmt den Stift und schreibt weiter:
„Aber weil ich ein Jäger bin, kann ich nichts dafür. Wenn sich etwas bewegt, muss ich es jagen.“
Plötzlich fliegt Wäsche gegen das Fenster und Timo sieht, wie Mia und Peterchen die Wäsche wegfliegt. Schnell eilt er ihnen zu Hilfe. Bony ist inzwischen mit dem Kochen fertig und möchte den Tisch decken, als sie den Brief findet. Sie liest ihn und beschließt ihn zu Ende zu schreiben:
„Mein Fell ist besonders am Kopf rau und grau geworden.“
Als die Eltern Mias Brief bekommen, freuen sie sich. Doch als Vater den Brief anfängt zu lesen, fällt er in Ohnmacht:
„Liebe Mama und Papa,
uns geht es hier gut. Wir leben am anderen Ende des Regenbogens, haben ein großes Haus, und Timo und Peterchen sind unsere neuen Freunde. Als Timo mich gejagt hat, hat er mich am Schwanz erwischt. Es hat nicht weh getan, aber nun fehlt an dieser Stelle Fell. Aber weil ich ein Jäger bin, kann ich nichts dafür. Wenn sich etwas bewegt, muss ich es jagen. Mein Fell ist besonders am Kopf rau und grau geworden.“
Ihre Tochter hat nun Haare am ganzen Körper? Schell machen sie sich auf den Weg zum anderen Ende des Regenbogens.
Mia liegt krank im Bett, weil sie zu lange draußen im Regen war. Alle ihre Freunde sitzen um sie herum. Bony gibt Mia heiße Milch mit Honig, Peterchen massiert sie an den Beinen, weil sie kalt sind, und Timo hält Wache. Da klopft jemand an die Tür.
„Wer da?“, fragt Bony.
„Wir sind es, Papa und Mama.“
Timo macht die Tür auf, und Mia freut sich riesig, ihre Eltern wieder zu sehen. Nun packen alle ihre Sachen und fahren gemeinsam in die Stadt nach Hause. Und ins Regenbogenhaus kommen sie alle zusammen in den Ferien.