Beitrag aus: HERBSTBLÄTTER. Lesenswertes für die ältere Generation
Kelkheim, Nr. 38 / 2018
MENSCH UND HUND
Eine kleine Kulturgeschichte
Hunde sind ein beträchtlicher Teil unserer Lebenswirklichkeit. Wir begegnen ihnen allerorten und mittlerweile auf allen Kontinenten. Wer in Kelkheim unterwegs ist, trifft stets auch Menschen in Begleitung ihrer Hunde. Allein in Deutschland leben Schätzungen zufolge 6 bis 8 Millionen dieser Haustiere. Davon sind ungefähr 69 Prozent Rassehunde und 31 Prozent Mischlinge. Mehr als 350 Hunderassen gibt es im Land.
Da wundert es nicht, dass Hunde auch einen besonderen Platz beispielsweise in der Literatur und im Film einnehmen. Denken wir etwa an Thomas Manns 1919 erschienene Idylle „Herr und Hund“, an Franz Kafkas Erzählung „Forschungen eines Hundes“, entstanden 1922, oder an die Sherlock Holmes Geschichte „Der Hund von Baskerville“, die Arthur Conan Doyle 1902 als Buch veröffentlichte.
Zu ausgesprochenen Filmstars wurden neben anderen der Deutsche Schäferhund Rin Tin Tin, der in den USA in den 1920er Jahren in mehreren Produktionen auftrat, der Langhaarcollie Lassie, den wir aus zahlreichen US-amerikanischen Filmen und aus der gleichnamigen Fernsehserie kennen, und der Deutsche Schäferhund Rex, den die Fernsehzuschauer in der österreichischen Krimiserie „Kommissar Rex“ bestaunen können.
Entwicklungsgeschichte
Wie begann eigentlich die Erfolgsgeschichte des beliebten Haustieres, und wie verlief sie?
Nach heutigem Forschungsstand können wir davon ausgehen, dass der Ur-Hund vom Wolf abstammte. Die Analyse von Wolfs- und Hundeknochen gibt Aufschluss über das Werden des Hundes, die Domestizierung des Wolfes. Untersuchungen eines Oberkasseler Steinzeitgrabes, in dem ein Menschenpaar und ein Hund bestattet worden waren, führten zu dem Ergebnis, dass es den Hund auf jeden Fall schon vor 14.700 Jahren gab. Nach Erbgutanalysen soll der Ur-Hund bereits vor 135.000 Jahren geboren worden sein. Schon vor 500.000Jahren gingen Menschen und Wölfe, getrennt voneinander und jeweils in Gruppen, auf die Jagd. In Jäger-und-Sammler-Gesellschaften fanden später vermutlich die ersten Domestikationsversuche statt. Man züchtete Wolfswelpen für Jagdzwecke.
Um das Jahr 3000 v. Chr.Waren Hunde in Ägypten das beliebteste Haustier. Anubis, der Gott der Totenriten, wurde einesteils als Hund oder Schakal, andernteils als Mensch mit Hunde- oder Schakalkopf dargestellt. Die Ägypter züchteten viele Rassen.
In Griechenland erscheint in Homers „Odyssee“ Argos, der Hund des Odysseus. Nur Argos erkennt den nach 20 Jahren vom Trojanischen Krieg nach Ithaka Zurückgekehrten wieder.
Im 6. Jahrhundert jagten Kelten mit Windhunden und brachten sie später nach Spanien.
Die alten Römer setzten Hunde als Hirtenhunde und Jagdhunde ein. Die bekannte Warnung „Cave canem“ (hüte dich vor dem Hund) belegt, dass sie Hunde auch als Wachhunde hielten. Doggen nahmen sie in ihre militärischen Kämpfe mit.
Etwa 200 v.Chr. züchtete man in China Pekinesen, denen dann zwischen dem 17. Jahrhundert und dem Beginn des 20. Jahrhunderts große Beachtung in dem Land zuteilwurde. Auch Chow-Chows wurden dort gezüchtet.
Ihre Blütezeit erreichte die Hundezucht im Mittelalter. Zahlreiche Rassen entstanden. Wolfshunde unterstützten die Jagd auf Wild und Wölfe. Mit einem Vorläufer des Windhundes jagten die Menschen Rehe.
Als berühmteste Beschreibung der mittelalterlichen Jagd gilt das Buch „Le Livrede la Chasse“ (Buch von der Jagd) des Grafen von Foix, Gaston III.,geschrieben am Ende des 14. Jahrhunderts. Hunde werden darin – neben anderen Tiergattungen – ausführlich behandelt.
Von Mönchen auf dem Großen St. Bernhard, dem Pass in den Walliser Alpen, sollen von Vorfahren der heutigen Sennhunde Bernhardiner gezüchtete worden sein. Diese Hunde wurden ausgebildet, um im winterlichen Gebirge Verirrte zu retten.
Bis ins 16. Jahrhundert reicht die Geschichte der Deutschen Dogge zurück. Aus England wurden Doggen eingeführt, die aus einer Kreuzung des Mastiffs mit dem irischen Wolfshund stammten. Ab dem 17. Jahrhundert züchtete man auch in Deutschland Doggen.
Die französische Mätresse Madame de Pompadour besaß als Schoßhund einen Malteser. Diese Hunderasse war schon bei den griechischen Frauen im antiken Athen beliebt und blieb bis ins 19. Jahrhundert der Lieblingshund der Damen.
Im 18. Jahrhundert sind in allen Schichten der Bevölkerung Hunde vorhanden, Jagdhunde allerdings nur beim Adel. Die Fuchsjagd spielt eine bedeutende Rolle.
Der Mops galt den Mitgliedern des wohl um 1740 in Frankreich gegründeten Mops-Ordens als Symbol der Treue und Verlässlichkeit.
Seit dem Ende des 18. Jahrhunderts werden Hunde als Blindenführer ausgebildet.
In England war der Dalmatiner im 18./19. Jahrhundert als Kutschenhund und bei den Pferdewagen der Feuerwehr im Einsatz.
Im 19. Jahrhundert gelangten Chow-Chows und Pekinesen aus China nach England. An der Wende zum 20. Jahrhundert kamen erstmals Pekinesen nach Deutschland.
Kurz vorher hatte Friedrich Louis Dobermann das Fundament für die Zucht des nach ihm benannten Dobermanns gelegt, indem er verschiedene Hunde, Pinscher, Weimaraner, Pointer und Vorstehhunde kreuzte.
1895 findet sich das erste Mal ein Eintrag eines Deutschen Schäferhundes im Zuchtbuch. Etwa zur gleichen Zeit erklärte Otto von Bismarck die Dogge zum Reichshund.
In England wurden Airedale Terrier gezüchtet, die bei der Otter-, Dachs- und Rattenjagd zum Einsatz kamen.
Weitere Rassen entstanden, ohne dass immer Nutzaspekte bestimmend waren.
Von Mexiko aus gelangten Chihuahuas durch Touristen nach Europa.
Seit 1984 finden jedes Jahr die Langstrecken-Schlittenhunderennen, der Yukon Quest, auf einer Strecke von 1600 Kilometern durch Alaska und Kanada bei bis zu minus 50 Grad statt.
Eine besondere Nähe
Mensch und Hund – zahlreich sind die Hunderassen, vielfältig sind die Rollen, die Hunde für die Menschen spielen. In der langen Entwicklungsgeschichte des Hundes ist er zum Jagdgefährten und Statussymbol, zum Sportkameraden und zum Gefährten in der Einsamkeit, zum nützlichen Helfer und treuen Freund der Menschen geworden. Mensch und Hund bilden eine feste Gemeinschaft, die beiden Seiten zum Vorteil gereicht.
Diese ist freilich das Ergebnis eines sehr lange währenden Prozesses, der im konkreten Einzelfall in der Notwendigkeit der Erziehung des Vierbeiners noch nachklingt. So berichtet Thomas Mann in der eingangs erwähnten Erzählung anschaulich über seinen Hund Bauschan: „Es kam eine Zeit, da deutlich war, dass er […] bei uns aber auch so recht noch nicht Wurzel gefasst hatte, so dass er in seiner Seele herrenlos und gleich einem taumelnden Blatt im Winde war. Damals musste man beim Spazierengehen scharf auf ihn achthaben, da er sehr dazu neigte, das schwache sympathetische Band zwischen sich und uns unvermerkt zu zerreißen und sich in den Wäldern zu verlieren, wo er gewiss bei selbständig schweifender Lebensweise auf den Zustand seiner wilden Ureltern zurückgesunken wäre. Unsere Fürsorge bewahrte ihn vor diesem dunkeln Schicksal, sie hielt ihn fest auf der hohen, von seinem Geschlecht in Jahrtausenden erreichten Gesittungsstufe an der Seite des Menschen.“
Die besondere Nähe zwischen Hunden und Menschen bestätigen also der tagtägliche Umgang miteinander, aber auch Tests. So haben Verhaltensforscher herausgefunden, dass Hunde – im Unterschied etwa zu Schimpansen – menschliche Kommunikationssignale zutreffend deuten können. Und die Hirnforschung hat gezeigt, dass das Gehirn von Hunden in gleicher Weise auf ein lobendes Wort und einen belohnenden Leckerbissen reagiert. Menschen sind demnach für Hunde nicht bloß Futterspender. Dahinter lässt sich eine Überlebensstrategie vermuten: Hunde benötigen, evolutionsbiologisch gesehen, den Menschen. Und wir, die Hundeliebhaber, brauchen in vielerlei Hinsicht diese Haustiere.
Thomas Berger www.autor-thomas-berger.de