MACHT


Auszug aus:
Thomas Berger: Im Schatten unserer Tage. Betrachtungen, Nordstrand 2023

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MACHT

Wir erleben in der Gegenwart in mehreren Ländern gefährliche Tendenzen zu unkontrollierter politischer Machtausübung. Dabei handeln Autokraten keineswegs im Verborgenen, vielmehr rühmen sie sich ihres Machtmissbrauchs. Das autoritäre Muster kennen wir bereits aus der Antike. In seinem Werk Politeia, in dem in einem fiktiven Dialog Ansichten über Gerechtigkeit ausgetauscht werden, liefert der sophistische Rhetoriker Thrasymachos eine bemerkenswerte Anatomie der Macht. Den Hintergrund seiner kritischen Position bilden die Erfahrungen mit oligarchischen Kräften in Athen während des Peloponnesischen Krieges. Er bemerkt: „Ich nämlich behaupte, das Gerechte sei nichts anderes als das dem Stärkeren Zuträgliche.“ Wenig später sagt er: „Und jegliche Regierung gibt die Gesetze nach dem, was ihr zuträglich ist, die Demokratie demokratische, die Tyrannei tyrannische und die andern ebenso. Und indem sie sie so geben, zeigen sie also, daß dieses ihnen Nützliche das Gerechte ist für die Regierten.“ Folgerichtig fährt Thrasymachos fort: „Und den dieses Übertretenden strafen sie als gesetzwidrig und ungerecht handelnd.“ (338 c 1-2 / e 1-6) Wie sagte 1887, sieben Jahre nach Verkündung des Dogmas der päpstlichen Unfehlbarkeit, der Historiker John Emerich Edward Dalberg-Acton: „Power tends to corrupt, and absolute power corrupts absolutely“ – Macht tendiert zu Korruption, und absolute Macht korrumpiert absolut. (Paideia. Der Blog für Philosophie, Politik und Kultur, 8.11.2012)

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