Karwoche, Gründonnerstag — Ubi caritas, wo die Liebe wohnt


Karwoche, Gründonnerstag — Ubi caritas, wo die Liebe wohnt

 

16.03.2016

 

Wir sahen den Menschen in der Wüste sowie den Menschen als „Wüste“. Wir sahen die Amts-Kirche als geistliches Ideal und als desaströses Zerrbild ihres eigenen weltweiten Geltungsanspruches. Wenden wir uns nun der zentralen Wirklichkeit des christlichen Gottes-Verständnisses zu: der Liebe.

 

In seinem kleinen Bändchen „Gott ist kein Nostalgiker. Anstöße für die Fasten- und Osterzeit“ (2012, Herder-Verlag), setzt sich Franz Kamphaus mit dem Lebens-Sinn, dem Tod sowie der Auferstehung des Menschen auseinander. Beginnend mit dem „Aschermittwoch“ spannt er seinen Brücken-Bogen über Ostern bis auf Pfingsten. Sein auf 160 Seiten angelegtes Büchlein gliedert er wie folgt: Zuerst die Bibelstelle, in der christlichen Liturgie „Lesung“ genannt, die der jeweiligen Woche das Oberthema gibt. Sodann zu jedem einzelnen Tag ein kurzer Impuls-Text, der den Lesenden ins Nachdenken wie auch eigenständige Nach-Denken bringt, also in die Reflexion über den geschriebenen Text hinaus.

Kamphaus, der nicht nur als Münsteraner Theologie-Professor in verschiedenen, leitenden Positionen tätig war, der zudem auch das Amt des Limburger Bischofs innehatte, war und ist im eigentlichen Wort-Sinn ein „Brückenbauer“, ein „pontifex“, der nicht nur für Christen, Katholiken zumal, schreibt, sondern dem stets der ganze Mensch am Herzen liegt. Diesseits wie jenseits christlicher Theologie. Heute lebt er zurückgezogen als Seelsorger im St. Vinzenz-Stift, Aulhausen, einer Einrichtung für geistig behinderte Menschen.

 

Ohne sagen zu können, was Liebe eigentlich ist — wir können immer nur ihre Wirkungen bzw. Auswirkungen auf unser eigenes Leben sowie auf das Dasein für Andere erkennen — weist Kamphaus in besagtem Büchlein daraufhin, dass Gottes Liebe u.a. die Züge der Barmherzigkeit wie auch der Gerechtigkeit trägt. Weder lässt Gott den Menschen ihre Schuld und Sünde (etwa Frevel) unbeantwortet als „vergeben und vergessen“ durchgehen, noch vertilgt er jenen Sünder, der Schuld auf sich gewendet hat. Vielmehr übt der christliche Gott am Menschen Gerechtigkeit (jedoch nicht im Sinne eines römischen, profanen Rechts-Verständnisses, das auf Ausgleich als Sühne angelegt ist…), wie er am Frevler zugleich auch Erbarmen walten lässt (vgl. „Kain und Abel“, Gn 4,1-16; Kain wird von Gott nicht zermalmt oder erschlagen — so wie er selbst an seinem Bruder Abel gehandelt hat; das wäre das typische Motiv der Rache: Auge um Auge, Zahn um Zahn; also lex talionis — sondern Kain darf leben, u.z. mit der Hoffnung darauf, dass ihm als Menschen die Umkehr zu einem liebenderen und, im jüdischen Sinne, auch gerechteren Leben gelingen möge.). Gott selbst erbarmt sich selbst über „Efraim“ und „Israel“ im Ganzen, sowie über einzelne Menschen wie ein Kain im Speziellen. Sowohl das „Volk Israel“ als auch der Einzelne bleiben in Gottes Barmherzigkeit und Gerechtigkeit. Und diese Gerechtigkeit ist m.E. nicht auf menschlichen Gesetzen („gesatzes Recht“) grund-gelegt, sondern in der Liebe. Und diese Liebe wiederum vollzieht sich nicht nach der Maßgabe menschlicher Liebe, sondern — in der Vorstellung der christlichen Religion — in der Wirklichkeit des „Heiligen Geistes“, also einer Wirklichkeit, die göttlichen Ursprunges ist. Die in der Bibel beschriebene göttliche Gerechtigkeit ist folglich gegründet in der Wirklichkeit einer göttlichen Liebe. Das macht es dem Menschen so schwer, bisweilen auch unmöglich, in biblischen Erzählungen und Gleichnissen, die er als zutiefst ungerecht empfindet, durch-zu-blicken bis zu jenem Grund, woraus die sich erbarmende Liebe Gottes für den Menschen aufzuscheinen vermag. Denn ungerecht muss ein Mensch doch den durch Gott ungerächten Bruder-Mord Kains empfinden; ungerecht ist doch auch nach menschlichem Empfinden das Gleichnis mit den Tagelöhnern und den Talenten, etc.pp. Nur selten können wir Menschen Gottes Gerechtigkeit im menschlichen Sinne als „gerecht“ empfinden. Denn die Wenigsten von uns vermögen in den Grund dieser anderen Gerechtigkeit zu blicken: in das Erbarmen einer end-gültigen Liebe.

 

Ubi caritas et amor, deus ibi est — wo Güte ist und Liebe, dort ist Gott. Ein Hymnus aus dem 8.Jahrhundert (St. Gallener Handschrift), der auf „Gründonnerstag“ verweist. Jesus, noch Mensch und doch schon um sein bevorstehendes Ende wissend, wäscht sowohl seinem Verräter Judas Ischariot, als auch seinem dreifachen Leugner Simon, genannt Petrus, die Füße. Der „Menschensohn“ vertraut auf Gott und Gottes Liebe und nimmt den Verrat wie auch das Leugnen seines „Kirchen-Felses“ mit hinein in den Beginn der christlichen Heils-Geschichte. Während nun Judas zumeist so dargestellt wird, dass er sich selber richtet und erhängt (was ja einer Verzweiflungs-Tat sehr ähnelt und damit Einsicht in sein Fehlverhalten andeutet…), wird Petrus nach dem Hahnenschrei als der Bereuende, als der Umkehrende, als der Bekennende gekenn-zeichnet. Aber befinden sich nicht beide — der Verräter wie auch der spätere Kirchenfürst — in ein und derselben Hand Gottes? Wiederholt sich da nicht die alttestamentarische Geschichte des Kain und Abel in der Neuauflage der Passion: auf der einen Seite der Mörder und im Kontrast hierzu auf der anderen Seite der Bekenner? Und lässt Gott in seinem Erbarmen nicht „seine Sonne aufgehen über Böse und Gute und lässt regnen über Gerechte und Ungerechte“ (Mt. 5,45)?

 

Und weiter zugespitzt gefragt: Ist Judas wirklich der Verräter des Herrn, wie ihn das Urchristentum und die katholische Kirche bis dato verstanden wissen möchten? Oder ist er vielleicht auch ein notwendiger Erfüller auf dem Weg zur christlichen Heils-Geschichte, wie ihn etwa der Romancier Nikos Kazantzakis beschrieben hat? Was der Roman in literarischer Weise beschreiben kann und darf, das ist den Theologen in der Tradition eines zweitausendjährigen Christentums jedoch verboten zu denken.

 

Ubi caritas, am Vorabend der Passion, was bedeutet es für uns Heutige…—?

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