Jedes Volk hat die Regierungs-Form, die es verdient…,


Jedes Volk hat die Regierungs-Form, die es verdient…,

nach Joseph Marie Comte de Maistre (1753-1821)

23.03.2025, Teil III, I

 

— Fortsetzung —

 

Europas nationalistische Zeitenwende —

der Seiten-Wechsel zur Nationalstaatlichkeit früherer Jahrhunderte

 

Blicken wir kurz auf England.

Ehemals Great Britain, nach dem Brexit im Januar 2020 wirtschaftlich und gesellschaftlich ruiniert. Heute nur noch UK.

Wenn wir diese europaweite rechtspopulistische, nationalistische Gemengelage der beginnenden 2000er Jahre uns vor Augen halten, so wird leicht verständlich, wie es einem Boris Johnson, von 2019-2022 Premierminister und Vorsitzender des Commonwealth of Nations, und einem rechtspopulistischen Nigel Farage, als den beiden führenden Köpfen der Brexit-Bewegung , gelingen konnte, mit ihrer kolportierten Zwietracht ein Land aus der EU herauszubrechen, um es nachfolgend zu ruinieren. Die beiden Brexiteers, Johnson ein „Tory“, Farage, heute der Chef der rechtspopulistischen „Reform UK“-Partei (damals, 2016, noch UK Independence Party, UKIP), setzten 2020 nicht nur den Brexit um, sondern stehen nun schon wieder an der Seite von Donald Trump und seiner „Agenda 2025“. Die rechtspopulistische, nationalistische „Britain First!“-Bewegung trifft sich ideologisch mit Trumps „America First!“. Die persönliche Machtgier sowie die Zerstörungswut der führenden Köpfe — diesseits wie jenseits des Atlantiks — sind grenzenlos. Ein offenes Polit-System, das seine Grenzen beständig weiter in Richtung Diktatur verschiebt…—

 

Zunächst ein Fakten-Check — die historischen Eckdaten des Brexit:

Der Brexit erfolgte am 31. Januar 2020 und ist durch das am 24. Januar 2020 unterzeichnete Austrittsabkommen geregelt. In der dort bis zum 31. Dezember 2020 vereinbarten Übergangsphase wurden bis zum 24. Dezember 2020 die langfristigen Beziehungen zwischen dem Vereinigten Königreich (VK, engl. UK, von United Kingdom) und der Europäischen Union (EU) neu ausgehandelt. Seit dem 1. Januar 2021 ist das Vereinigte Königreich nicht mehr Teil des EU-Binnenmarktes und der Zollunion.

Nachzulesen in: „Rat der Europäischen Union“:

https://www.consilium.europa.eu/de/policies/the-eu-uk-withdrawal-agreement/timeline-eu-uk-withdrawal-agreement/

 

Die Zahlen des Referendums gemäß der „Electoral Commission“ der EU:

https://www.electoralcommission.org.uk/research-reports-and-data/our-reports-and-data-past-elections-and-referendums/results-and-turnout-eu-referendum

 

Der historische Kontext des britischen Rechtspopulismus bzw. Rechtsextremismus

Wie kam es zu diesem für das Vereinigte Königreich, VK, katastrophalen „Volks-Entscheid“? Betrachten wir schlaglichtartig den „englischen Weg“ zur rechtspopulistischen „Reform UK“-Partei unter Nigel Farage, MdEP. Und wie dieser systematisch, Schritt um Schritt, auf das sog. „Austritts-Referendum vom 23. Juni 2016“ hinsteuerte. Mit welchen Narrativen und Positionen gestaltete Farage den Weg hin zur nationalistischen Brexit-Bewegung? Wie gelang ihm die Übernahme der „Öffentlichen Meinung“ und welche Rolle spielte Boris Johnson bei diesem Coup?

Stellen wir zunächst, wie seinerzeit bei Marine LePens, Rassemblement National, Nigel Farages UKIP-Bewegung in den historischen Hintergrund eines britischen Nationalismus, der vor allem in den 1970er, 1980er sowie den beginnenden 2000er Jahre seine gesellschaftlichen Höhepunkte hatte. Aus welchen ideologischen Versatzstücken entwickelte Farage seine UKIP-Partei? Welches sind die Stereotypen und kolportierten Narrative?

 

Das historische Umfeld von Nigel Farages United Kingdom Independence Party, UKIP

Der britische Rechtspopulismus bzw. Rechtsextremismus hat spätestens seit den 1970er Jahren eine Vielzahl von Kleinstparteien, Splittergruppen und „Bewegungen“ (Movements) hervorgebracht. Ebenso vielfältig waren die z.T. schillernden Persönlichkeiten, die diese nationalistischen Strömungen anführten. Vielleicht ist es zu pointiert, zu sagen, dass der britische Nationalismus  der frühen 2000er Jahre eine konsequente Fortführung des sog. „Thatcherismus“ ist — Margaret Thatcher, die Eiserne Lady, war von 1979-1990 Premierministerin — mit dem er Berührungspunkte und Gemeinsamkeiten teilt. So etwa Thatchers ablehnende, bisweilen auch feindselige Haltung gegenüber „Brüssel“ und dem europäischen Einigungsprozess, bei gleichzeitiger Betonung der eigenen wirtschaftlichen und politischen Stärken. Auch im ideologischen Werte-Kanon waren Gemeinsamkeiten vorhanden: etwa die zentrale Rolle des Christentums für die nationale Einheit, die Betonung „viktorianischer Werte“ (der „Selbsthilfe“, der „Pflicht“, von „Leben und Arbeit“), die Schaffung „Freier Märkte“ (ohne Einmischung des Staates…), die Deregulierung des Finanzsektors und Flexibilisierung der Arbeitsmarktgesetze, Entmachtung der Gewerkschaften, u.a.m.; gegen Einwanderer aus dem „britischen Empire“ führte Thatcher einen restriktiven Kurs — bei den sog. „England Riots“ von 1981, deren Ursachen u.a. auf der Slumbildung großer Innenstädte beruhte, setzte Thatcher auf die Aufrüstung der Polizei sowie härtere Strafen, ohne jedoch Gelder zur Behebung der eigentlichen Misere freizugeben. Thatcher setzte auf Nationalismus und Patriotismus. Ihr Regierungs-Stil war aggressiv-konfrontativ, teilweise beleidigend und rüde; sie setzte auf persönliche Entscheidungen, nicht auf politischen Diskurs. So verwundert es nicht, dass sich nach der Thatcher Ära, konservative Tory-Politiker:innen auch in den rechtspopulistischen Bewegungen und Parteien geistig beheimatet fühlten…

 

Einzelne nationalistische Bewegungen und Parteien

Eine dieser nationalistischen Parteien war die von Paul Goldings 2011 gegründete  „Britain First!„-Partei, BF. Sie ist rechtsextremistisch, ausländerfeindlich, islamfeindlich, neofaschistisch, EU-feindlich. Die „Britain First!„-Bewegung ging ihrerseits aus der rechtsextremen British National Party , BNP, hervor. Diese wurde bereits 1982 von John Tyndall gegründet, deren Parteivorsitzender er über viele Jahre war. Tyndall war zudem seit 1976 auch Vorsitzender der völkisch-nationalistischen British National Front, BNF, die ihm aber nicht radikal genug war. So spaltete er die British National Front, und nahm einen Teil der Abgeordneten sowie der Klientel mit in seine neugegründete British National Party. Während nun die British National Front, parallel zu Jean Marie LePens „Front National“, FN, ihren Höhepunkt in den 1970er und 80er Jahren hatte, feierte Tyndalls British National Party ihre größten Erfolge in den 1990er und Anfang der 2000er Jahren. Unter dem neuen Parteivorsitzenden Nick Griffin, einem bekennenden Holocaustleugner, verschwanden ab 1999 zwar in der öffentlichen Darstellung alle Nazisymbole sowie direkte Bezüge zum historischen Nationalsozialismus, auch gab man sich im politischen Diskurs weitaus moderater als in den 1980er Jahren unter Tyndall, vermied offenen Rassismus und Antisemitismus. Aber im Kern blieb man eine völkisch-nationalsozialistische-neofaschistische Partei, die ihre Mitglieder teilweise aus dem „British National Socialist Movement“, der Hooligan-Szene sowie dem „Combat 18“ rekrutierte. Der größte Erfolg der British National Party außerhalb GB war ihr Einzug ins EU-Parlament (zwei Abgeordnete) 2009, obschon auch sie, wie alle nationalistischen, neofaschistischen Parteien Europas, EU-feindlich eingestellt war. Sie sah sich als Alternative zu Nigel Farages UK Independence Party, UKIP. Anders als Farage gelang es Griffin jedoch nicht, seine BNP-Partei in der „bürgerlichen Mitte“ zu etablieren, so dass sie heute beinahe bedeutungslos geworden ist. Farages UKIP hingegen punktete bei den britschen Wählern, sowohl in Kommunal- und Unterhauswahlen in GB als auch bei EU-Wahlen u.a. mit Themen wie Einwanderung, innere Sicherheit, Ablehnung der EU, Steuersenkungen, u.a.m.. Im Oktober 2014 verlor Griffin den Parteivorsitz an Adam Walker und wurde zudem aus der BNP ausgeschlossen.

 

En passant: In dieser Gefahr der Spaltung und damit des Niedergangs in die Bedeutungslosigkeit, stehen alle nationalistischen Parteien (bzw. alle Parteien an den politischen „Rändern“; vgl. BSW versus Die Linke). So auch die 2013 von Bernd Lucke, Konrad Adam, Alexander Gauland, et al. als Protestpartei gegen „Brüssel“ gegründete AfD. In den folgenden Jahren jedoch rückte die AfD — z.T. durch Übernahme rechtspopulistischer Topoi der FPÖ — unter Björn Höcke, Alexander Kalbitz, et al. stets weiter in den völkisch-nationalsozialistischen Rechtsextremismus (vgl. Der Flügel). Heute ist die AfD eine deutschlandweite rechtspopulistische  sowie in Teilen rechtsextremistische  Bewegung im politischen Aufwind. Sie ist „in der Mitte der Gesellschaft“ angekommen — und ihre politische Agenda wird in Teilen fast wortwörtlich von den „christlichen Volksparteien“, CDU/CSU, übernommen.

Der Weg der Bewegung verlief wie folgt: Die „moderateren“ Führungs-Persönlichkeiten wie etwa Bernd Lucke (seit 2014 MdEP und Teil der bestehenden britischen Fraktion der „Europäischen Konservativen und Reformer“, EKR), wurden von Frauke Petry entmachtet (2015), die ihrerseits den AfD-Parteivorsitz an Jörg Meuthen verlor (2017). Meuthen, von 2015-2021 einer der beiden AfD-Co-Vorsitzenden (neben Alexander Gauland…) sowie MdEP in verschiedenen Funktionen und Führungspositionen des rechten Spektrums, verlor seinen AfD-Vorsitz wiederum an Alice Weidel. So wurde aus der anfänglichen Protestpartei gegen Brüssel — und in Deutschland gegen das Merkel-Diktum, dass ihre Entscheidungen „alternativlos“ seien —, mit jedem nachfolgenden Personal-Wechsel an ihrer Spitze ein Macht- und System-Wechsel in Richtung einer rechtsextremistischen Partei.Unter Gauland, Weidel, Chrupalla, Baumann, Brandner, Höcke, et al. bildet der völkisch-nationalsozialistischen Rechtsextremismus heute die eigentliche politische „Kernmarke“ der AfD, die, wie es die jüngsten Bundestagswahlen belegen, nun zweitstärkste Kraft im politischen Deutschland geworden ist. Der Nationalsozialismus Neuer Prägung ist „in der Mitte der deutschen Gesellschaft“ angekommen…— Und das bedeutet, O-Ton Alice Weidel: „Wir werden sie jagen!“ (Statement am Wahlabend). Dieser Gauland-Satz hat jedoch schon einmal ein prominentes Opfer, nämlich Herrn Dr. Walter Lübcke, CDU, gefordert. Lübcke wurde von dem Neonazi Stephan Ernst auf der Terrasse seines Wohnhauses am 01. Juni 2019 aus nächster Nähe liquidiert, da er sich für Flüchtlinge und Einwanderer eingesetzt hatte. Eine Tatsache, die auch im Zusammenhang mit dem Brexit-Referendum erneut eine Rolle spielen wird. Wir dürfen also gespannt sein, wie sich unter dem politischen Druck von außen — Trump-Musk-Bannon et al. — sowie dem inneren Druck durch 152 AfD-Abgeordnete im Deutschen Bundestag, die politische Situation in Deutschland weiter in Richtung „Machtergreifung“ verändern wird…—

 

Nigel Farages rechtspopulistische United Kingdom Independence Party, UKIP

Die UKIP wurde am 03.September 1993 gegründet. Sie ist EU-skeptisch, rechtspopulistisch, gelegentlich in ihren Ansichten auch radikalliberal, vor allem aber, unter ihrem damaligen Vorsitzenden Gerard Batten, seit 2018 islamfeindlich und rassistisch. Eigentlich eine Splitterpartei des „extremen rechten Randes“ — in den Unterhauswahlen von 2001-2017 lag ihr Stimmenanteil stets zwischen 1,8% und 3,1% — gelang es Nigel Farage, die UKIP unter seinem Vorsitz (erstmals 2006-2009) vor allem aber seit 2010-2016 in der Wählergunst zu boosten, indem er den EU-Austritt Großbritanniens zum zentralen Leitthema seiner Politpropaganda machte. Und tatsächlich schaffte es Farage zusammen mit Boris Johnson die UKIP-Bewegung im Frühjahr 2019 binnen weniger Wochen in die eigentliche  Brexit-Bewegung zu wandeln. Farage arbeitete seit dem sog. „Brexit-Referendum“ vom Juni 2016 kontinuierlich auf diesen Tag hin, indem er die Öffentliche Meinung hinsichtlich des Brexit bis kurz vor einen Bürgerkrieg radikalisierte, polemisierte und hasserfüllt spaltete. In diesen Kontext gehört auch das Attentat auf Helen Joanne Cox, Labour-Party, vom 16. Juni 2016, eine Woche vor dem Brexit-Referendum. Der Attentäter, Thomas Mair, war u.a. Anhänger der „Britain First!“-Bewegung, BF, sowie Unterstützer verschiedener us-amerikanischer und südafrikanischer Neonazi-Bewegungen. Mair sah in Cox einen „Volksfeind“ sowie eine Verräterin an der „weißen Rasse“ (vgl. Parallele zum Mord an Dr. Lübcke, s.o.). Zwar distanzierten sich BF und UKIP vom Attentäter (parallel zur AfD und Stephan Ernst…), aber die Volksverhetzung an sich ging ununterbrochen weiter, sowohl „im Ton“ als auch in den gewählten „Narrativen“. Von 2016 bis zum faktischen EU-Austritt im Januar 2020 spaltete Farage, Johnson, et al. die britische Gesellschaft systematisch mit unhaltbaren Behauptungen (negativ gegen die EU, positiv für England), polemischen Parolen, ihren Feindbild-Stereotypen sowie mit rechtsradikal-nationalistischen Narrativen in hasserfüllte Befürworter und Gegner des Brexit, die sich unversöhnlich gegenüber standen. Der politische Diskurs — sowohl in den Parteien als auch in der Bevölkerung — war einem blinden, hasserfüllten „Patriotismus“ und Fanatismus gewichen.

 

— Fortsetzung folgt —