Jakobsweg von Tiebas nach Cirauqui


Der Bericht schließt an den vorherigen Beitrag „von Isco nach Tiebas“ an.

Mir ist sehr wohl bewusst, dass mit der heutigen Etappe auch die Beschaulichkeit, ja die Weltabgeschiedenheit des Aragonischen Jakobs-weges enden wird. Wie bei den bisherigen Starts bin ich schon früh am Morgen unterwegs. Scheinbar kann ich es kaum erwarten, aufzubrechen, mich auf den Weg zu machen, wie es ja sprichwörtlich heißt. Es ist noch gar nicht richtig Tag, als ich die Türe des Zimmers und die des Refugiums bedächtig, leise hinter mir schließe. Es ist eine Selbstverständlichkeit darauf zu achten die Nachtruhe der anderen Pilger nicht zu stören.

Gestern Abend habe ich mir nochmals sorgfältig die Tagesroute eingeprägt. Schnell erreiche ich eine große Kreuzung mit Kreisverkehr, unterquere diese durch einen Tunnel und bin dann wieder abseits von der vielbefahrenen Straße. – Stille!

Der Weg, das Geländeprofil, wird deutlich flacher. Das Dorf Muruarte erreiche ich nach einer Stunde. Es liegt noch alles in vollkommener Ruhe. Es ist Ostersonntag fällt mir ein. Den Dorfbewohnern ist der Schlaf, die Erholung zu gönnen. Auch das Örtchen Olcoz lasse ich hinter mir. Auf einem breiten, unbefestigten Weg, wandere ich hinunter in das Tal des Rio Lobo. Weinfelder, Oliven- und Feigenbäume lassen auf ein mildes Klima in dieser Region schließen. Ich komme gut voran, passiere das Dorf Enériz.

 

Felicia und Guillermo

In Obanos führt mich mein Weg in diesem Jahr nicht vorbei. Dort vereinigen sich die Wege der Pilger die von Roncevalles, oder vom Somport-Pass aus kommen. Berühmt ist der Ort für eine der vielen Legenden am Jakobsweg, das Misterio de Obanos. Alle zwei Jahre lässt das kleine Ort diese dramatische Geschichte in einer aufwändigen Freiluft-Aufführung aufleben. Erzählt wird dann die tragische Geschichte des adeligen Geschwisterpaares Felicia und Guillermo, Kinder des Herzogs von Aquitanien. Guillermo hatte den Auftrag seine Schwester auf deren Pilgerfahrt nach Santiago de Compostela zu begleiten und beschützen. Felicia war, wie zu diesen Zeiten durchaus üblich, bereits versprochen und sollte nach der Rückkehr von ihrer Pilgerreise heiraten. Soweit so gut. Nach der Pilgereise widersagt Felicia jedoch allen Befehlen und verzichtet auf  jegliche Titel und Güter und geht ins Kloster. Sie widersetzt sich allen Befehlen ihres Bruders und weigert sich insbesondere nach Hause zurückzukehren. Guillermo tötet sie daraufhin  im Zorn. Aus tiefer Reue widersagt auch Guillermo allem Irdischen und geht ins Kloster. 

Soweit die Legende. Was ist Dichtung, was Wahrheit? Ich für meinen Teil werde jetzt ungeduldig in der Erwartung eines der Höhepunkte des Jakobsweges, der Kirche Santa Maria de Eunate. Meine Ungeduld ist unbegründet. Der Weg ist nicht kompliziert. Die Länge der Wegstrecke ist bekannt. Also Herr Grube, bleibe unten, es besteht kein Grund abzuheben! Es ist nur noch ein langer Tunnel aus Ästen zu durchwandern und dann stehe ich da. – Ein kleiner Freudenschrei ist jetzt fällig.

 

Ich bin tatsächlich wieder da

Stehe vor diesem Bauwerk aus dem 12. Jh. das zu den schönsten und merkwürdigsten Beispielen romanischer Baukunst am Jakobsweg zählt. Um die Bedeutung und Bestimmung der kleinen Kirche ranken sich viele Legenden, ihr Geheimnis gibt sie jedoch nicht preis. Die achteckige Wallfahrtskirche wird u. a.  den Tempelrittern zugeschrieben. Auch, dass sie die Grabkapelle einer Fürstin sei, wird vermutet. Ausgrabungen wiederum belegen eine Funktion als Pilgerhospital, evtl. des Johanniterordens. Der Name Eunate könnte aus dem baskischen entstanden sein und bedeutet – 100 Türen. Wie dem auch sei, als Pilger bleibt mir die Bedeutung der Kirche eher zweitrangig.

Langsam schreite ich um die schlichte Kirche. Bewundere die Säulen-kapitelle, die menschlichen und tierischen Abbildungen, Fabelwesen und Pflanzenmotive. Noch einmal und noch einmal.  – Dann ist es gut!

Ein Pilger nähert sich. Wir grüßen uns. Er kommt aus Fulda und ist zum zweiten Mal auf dem Jakobsweg. Er will die Atmosphäre des Weges dieses Mal bei einer Fußpilgerschaft auf sich wirken lassen. Beim ersten Mal war er mit seiner Frau per Fahrrad auf Pilgerfahrt.

Auf dem Parkplatz steht ein Bus aus Kreuznach. Ausschließlich ältere Menschen gehören zu der Reisegesellschaft. „Hallo“, grüße ich, „Leute aus meiner Heimat?“ Man bestaunt mich. Fragt wo ich herkomme, wie viele Kilometer ich schon gelaufen bin, ob ich den ganzen Weg laufe und zum Schluss  – warum ich auf dem Weg bin? Ja, da muss ich doch tatsächlich passen. Ich weiß es nicht. Kann keine Begründung liefern. Weiß nicht warum ich bereit bin eine Strecke von ca. 850 Kilometern per Fuß zu bewältigen um an einen Ort zu kommen an dem der Heilige Jakobus begraben sein soll. Ich hebe die Schultern und bedaure diese Frage nicht beantworten zu können. Innerlich weiß ich nur von dieser unglaublichen Sehnsucht die mich nach vorne treibt, spüre den Sog der mich vorantreibt. – Doch das behalte ich für mich.

Mit der Aussicht auf einen gelungenen Spaß weise ich auf meine zwei Hüftprothesen hin, dass ich mich trotz dieses Handicaps auf den Weg gemacht habe. Doch das vermeintliche Späßchen kommt bei der Seniorengesellschaft überhaupt nicht gut an. Ich glaube gar, man nimmt mir diese Mitteilung nicht ab. Kann ich verstehen ich glaube ja auch kaum, dass ich trotz dieser Beeinträchtigung so gut unterwegs bin. Wir wünschen uns dennoch gegenseitig eine weitere gute Reise.

Jetzt betrete ich das Innere der Kirche. Über Band läuft ein Choral in lateinischer Sprache. Das Innere ist reich mit Blumen geschmückt. Ich betrachte gerührt die schlichte Marienfigur im Inneren des weihevollen Kirchleins. Eine Nachbildung des verschollenen romanischen Originals. Ein Mann kommt auf mich zu und bittet mich, auf Deutsch, die Schuhe auszuziehen, da sie schmutzig seien und in einer Stunde hier eine Messe stattfinden werde. „Na ja, Wanderschuhe neigen dazu schmutzig zu sein“ – wollte ich eigentlich erwidern. Aber ich folge bereitwillig der Aufforderung. Im Ausland verstehe ich mich immer als eine Art Botschafter für Deutschland. Und Botschafter dürfen nicht unangenehm auffallen. – Punkt.

Eunate ist ein Ort, an dem man einfach ungestört verweilen möchte. Ein eigenartiger Zauber geht von dieser harmonischen Stätte aus. Man kommt unweigerlich ins Träumen. – Pilger, wache wieder auf!

Draußen ist es wieder ruhiger geworden. Der Bus aus Kreuznach ist weg. Der Pilger aus Fulda auch. Der Parkplatz, vorher gut besucht, ist wieder jungfräulich. Ich gehe in das benachbarte Refugio, will mir dort einen Stempel abholen. Hoppla, der Mann der mich aufforderte die Schuhe auszuziehen, ist der Hospitalero. Er ist jetzt ausgesprochen nett und umgänglich. Er hat lange Zeit in Deutschland gearbeitet und spricht aus diesem Grund ein sehr gutes Deutsch. Er lädt mich ein hier zu bleiben, bei ihm zu Mittag zu essen. Ich lehne dankend ab, mit der ehrlichen Begründung, dass ich noch nach Puente la Reina und später nach Cirauqui weiterziehen will.

Entsetzt stelle ich jetzt fest, mein Handy streikt. Meine Nabelschnur ist durchtrennt! Das ist fatal. Wir hatten abgemacht, dass ich mich jeden Tag einmal melde, kurz berichte was ich erlebt habe und vor allem wie es mir geht. Dieses Versprechen kann ich zumindest heute nicht einlösen. Hoffentlich kann ich Abhilfe schaffen. – Wenn nicht?

Und plötzlich steht Helen da. Schaut mich mit ernsten, großen Augen an. Ich frage sie, ob ich sie vor der Kirche fotografieren soll. Das Angebot nimmt sie erfreut an. Sie folgt meinem Ratschlag sich das Innere von Eunate anzusehen, bevor die Messe beginnt, winkt kurz und ist wortlos verschwunden. Ich kann mir keine Gedanken hierzu machen. Wir waren für einen Tag ein perfektes Team. Eine Verpflichtung ist für mich aus unserer Begegnung jedoch nicht abzuleiten. – Schluss jetzt mit weiteren Zweifeln, ob ich mich korrekt verhalten habe!

 

Weiter nach Puente la Reina

Nach einem weiteren, kurzen Weg erreiche ich Puente la Reina. Hier symbolisiert eine kleine Jakobusfigur die Vereinigung des Navarrenischen und des Aragonischen Jakobsweges. Dieser optische Beweis kann dahin gestellt sein. Diesen Anspruch könnte m. E. auch Obanos für sich in Anspruch nehmen. Lassen wir es so stehen! Mein Weg führt mich direkt in die ehemalige Templerkirche Iglesia del Crucifio, aus dem 13./14. Jh. Der Name stammt von einem ungewöhnlichen Pilgerkreuz her. Das Kruzifix in Y-Form ist eine Schenkung rheinländischer Pilger die dieses den gesamten Weg auf ihren Schultern, bis nach Puente la Reina getragen haben sollen. Ein Bogen verbindet die Kirche mit dem auf der anderen Straßenseite liegenden Johanniterkloster.

Hier hatten, meine Frau Hilde und ich, im Jahre 2003 an einem  Gottesdienst teilgenommen und anschließend den Wunsch geäußert in einem Refugio zu übernachten. Als damalige Autopilger hatten wir dazu eigentlich keine Berechtigung. Ein Pater setzte sich jedoch über dieses ungeschriebene Gesetz hinweg. Wir erhielten ein Credencial und einen Platz im Refugio. Das war damals kein Problem, da es noch keine Pilgerströme wie in jetziger Zeit gab. So konnten wir damals die Atmosphäre in einer Pilgerherberge hautnah erleben. Wir erinnern uns gerne schmunzelnd daran.

Ich gehe gemächlich weiter, denn ich habe Zeit. An der Pilgerherberge vorbei komme ich in die Calle Major. Hier ist großer Betrieb. Alles strömt in die Iglesia de Santiago (erbaut 12./16. Jh.). Für die  Besichtigung der Kirche bleibt mir keine Zeit, denn der Gottesdienst hat bereits begonnen. Ich erhalte einen Stehplatz ganz weit hinten. Die liturgischen Gesänge in lateinischer Sprache kann ich problemlos mitsingen. Der Text wird auf einer Leinwand angezeigt. Die Melodien sind einfach und getragen. Mein Gesang wird wohlwollend beachtet, was mir etwas peinlich ist. Gefühle kommen hoch, Tränen werden unterdrückt, aber es sind Freudentränen denen man sich nicht zu schämen braucht. Es wird mir nur wieder einmal ganz direkt bewusst, dass ich auf dem Jakobsweg bin, mir ein großer Wunsch erfüllt ist.

In der Kirche suche ich später nach der Holzfigur Santiago Peregrino mit Stab und Muschel aus dem 14. Jh. Bewundernswert sind die Decken der Kirche, scheinbar aus filigranem Stuck gearbeitet. Sie wirken in dieser wuchtigen Kirche als wären sie das Produkt kunstvoller Klöppelarbeit. Die Besucher der Kirche sind in Feiertagsmontur. Die Frauen tragen schwarze Schleier. Die Männer sind meistens ganz in schwarz, mit einer roten Schärpe gekleidet. Alles wirkt vornehm, steif. Für einen unscheinbaren Pilger, wie mich, hat jetzt keiner einen Blick übrig.

Vor dem typisch navarrischen, romanischen Zackenportal am Portal, mit verwitterten Szenen der Schöpfungsgeschichte, stehen zwei alte Männer, halten den Hut hin, erwarten eine kleine Gabe. Es ist Ostersonntag. Eigentlich ein Tag an dem man durchaus Geschenke machen kann.  Dennoch zeigen die stolzen Spanier keine Bereitschaft etwas in den Hut zu werfen. Der Pilger 2011 wirft verlegen zwei Münzen in den Hut. Ihm geht es ja gut. An meiner Bestlaune sollen denn die zwei Alten auch Anteil haben.

Dann gibt es kein Halten mehr. Jetzt muss ich zur Brücke, der Puente la Reina – der Brücke der Königin. Über die Calle Major, vorbei an den alten  wappengeschmückten Adels- und Bürgerhäusern, ist diese schnell erreicht. Majestätisch, elegant und zeitlos überbrückt sie den Fluss Arga. Einfach eine Augenweide.

Die Brücke erinnert an die Stifterin, Königin Donna Major, die Frau des Königs Sancho Major. Der Bau der Brücke wird in das 11. Jh. datiert. Weil Flussüberquerungen damals gefährlich, Umwege weit und Fährdienste teuer waren, zog es die Pilger bald nur noch über diese Brücke. In der Folgezeit

siedelten sich Franken an. Wo eine Siedlung entsteht, entwickelt sich Handel, Gewerbe, Kultur – kurz ein Ort. Eine Stadt entsteht. Und dieser Ort erhält den gleichen Namen wie seine berühmte Brücke. Puente la Reina.

 

Die Legende zur Puente la Reina

Es gibt eine schöne Legende zur Puente la Reina. – Auf dem höchsten Stelle der Brücke stand früher ein Türmchen mit einem Bildnis der Jungfrau Maria. Es war üblich ein Gebet zu sprechen wenn man an dem Bildnis vorbeikam. Man versprach sich einen besonderen Schutz von dieser Handlung. Es wurde beobachtet, dass in steter Regelmäßigkeit ein Vögelchen das Bildnis der heiligen Frau mit seinem Schnäbelchen säuberte. Man nannte das Vögelchen Txori, der baskische Name für Vögelchen. Man versprach sich, dass sich die  Ankunft des Vögelchens auf das Wohlergehen der Bevölkerung auswirke und die Zukunft unter einem guten Stern stehe. Das Txori wurde  von den tiefgläubigen Menschen hoch verehrt. Man betete bei  seiner Ankunft Rosenkränze und stimmte Lobgesänge an.

Während des ersten Karlistenkrieges blieb auch Puente la Reina nicht von den Kämpfen verschont. Das Txori blieb aus. Als ein General von der Verehrung des Txori hörte, machte er sich über die Einheimischen lustig und verbat kurzerhand den Kult um das Txori. Als der General später eines unnatürlichen Todes starb, sahen das die Bewohner von Puente la Reina als gerechte Strafe an, zumal das Vögelchen danach seinen Dienst wieder aufnahm. Als viel später die Madonnenfigur in die nahegelegene Iglesia de San Pedro umgesiedelt und das Türmchen abgebaut wurde, blieb das Vögelchen jedoch aus und wurde seitdem nicht mehr gesehen. 

Diese Brücke hat es mir nicht nur wegen dieser Legende angetan. Ich  stelle mir im Geiste vor wie viele Menschen bereits über sie gepilgert sind. Hoffnungsvolle Menschen auf das Ziel Santiago ausgerichtet. Wie viele werden dieses Ziel nicht erreicht haben, mussten abbrechen, aus vielerlei Gründen? Werde ich gesund in Santiago ankommen? Ganz gemächlich schreite ich einmal hin, einmal zurück und noch einmal hin. Dann macht mir mein Magen klar. Es ist Zeit, Mittagzeit. Das heißt Einzug in die nächstliegende Bar und die liegt gleich um die Ecke.

Hektisches Treiben an der Bar. Habe allergrößte Mühe meine Bestellung aufzugeben. Hier sind die Einheimischen unter sich. Da muss ein Einzelpilger zurückstehen. Es geht typisch spanisch, das heißt überlaut, zu. Ich finde einen Platz im Außenbereich. Nehme hier meine bescheidene Ostermahlzeit ein. Vollkommen unfeierlich. – Nix wie weg hier!

Bei meiner ersten Fuß-Pilgerschaft im Jahre 2004 war der Weg nach Cirauqui eine einzige Schlammstrecke. Im Nieselregen führte der Weg, über einen fast unüberwindlichen, unbefestigten Anstieg, auf einem holperigen Feldweg, direkt ins Ort. Schaudernd erinnere ich mich an den Zustand meiner Wanderhose und der Stiefel. Die damalige Etappe endete in Estella. In dem dortigen geräumigen Innenhof waren alle ankommenden Pilger damit beschäftigt ihre Kleidung wieder in Ordnung zu bringen. Bis auf einen Pilger, der  damals mit blitzsauberer Kleidung im Refugio erschien und sich köstlich amüsierte über die allgemeinen Waschbemühungen. Ich fragte ihn wieso er so adrett gekleidet sei? Die Erklärung: „Ich laufe den Weg zum zweiten Mal und kenne somit den Zustand des Weges nach Cirauqui, ich bin auf der Landstraße gelaufen. Meinst Du ich will mich nochmals versauen? Den fälligen Umweg habe ich gerne in Kauf genommen!“

OK, den blöden Aufstieg nach Cirauqui wollte ich dieses Mal auch umgehen. Mein Etappenziel wollte ich auf dem geschilderten Umweg erreichen. Nach einiger Wegzeit war ich mir jedoch unsicher auf der richtigen Strecke zu sein. Umkehr. Herr Grube wollte mal wieder ganz besonders schlau sein. OK, dafür sehe ich die Puente la Reina, die königliche Brücke noch einmal. Ich überhole einen jungen Pilger der sich nur sehr mühsam, fast stakend fortbewegen kann. Wir grüßen uns freundlich. Ich mache mir ernstlich Gedanken wie dieser, trotz seiner offensichtlichen Behinderung nach Santiago kommen  kann, bzw. will!

Die nächste, erfreuliche Begegnung, ist Natascha aus Slowenien.  Sie hat nur wenig Gepäck und ist flott unterwegs. Wir können uns gut austauschen, denn Natascha spricht ein ausgezeichnetes Deutsch. Wir laufen ein Stück des Weges gemeinsam. Am Wegesrand rastet ein Pilger zu Pferde. Er kommt aus Rumänien und behauptet schon vier Jahre unterwegs zu sein. Eine Lederweste, die auf dem Rücken mit einem großen Templerkreuz verziert ist, weist ihn als Jakobspilger aus. Ich habe so meine Zweifel an der Pilgerschaft. Evtl. stehen wir doch nur vor einem selbstbewussten Streuner, der sich lediglich Santiago zum Ziel gesetzt hat. Stehen mir solche Zweifel zu? Der Mann ist höflich, das Pferd gepflegt. Das Ziel ist anvisiert. – Wir wünschen ihm eine erfolgreiche Pilgerschaft.

Natascha zieht von dannen, ist viel besser unterwegs als ich. Mittlerweile bin ich an dem von mir gefürchteten Anstieg angekommen. Was sehe ich? Einen breiten asphaltierten Weg, der in sanften Windungen nach oben führt. Demnach war mein Umweg vollkommener Nonsens. Aber steil ist der Aufstieg, wie gehabt. Es ist brütend heiß und mir graut vor dem Weg nach oben. Von Natascha keine Spur mehr. Auch der rumänische Pferde-Pilger überholt mich jetzt. Lässig führt er sein Ross am Zügel, tippt kurz an den Hut, und weg ist er. Auf, auf Herr Grube, sage ich mir, schwächeln gilt nicht und jeder Berg hat auch einen Gipfel, oder wie in diesem Fall eine weite Ebene, die ich wohlbehalten erreiche.

 

Tagesziel

Auf einer kleinen Anhöhe, von der Nachmittagssonne trefflich beleuchtet, liegt mein Tagesziel jetzt fast greifbar vor mir. Könnte auch eine Stadt aus Tausend und einer Nacht sein. Weiß, majestätisch, makellos. Einfach schön. Ich beschleunige meinen Schritt. Erreiche den Ort in  kürzester Zeit. Laut hallt mein Schritt durch die engen Gassen von Cirauqui, die menschenleer scheint. Das Refugium ist schnell gefunden. Die Hospitalera nimmt mich auf. Schuhe aus. Rucksack auf’s Bett, ab in die Dusche. – Was für eine Wohltat!

Es ist eine schöne, gepflegte Herberge in der ich untergekommen bin. Das abendliche Wäschewaschen findet auf einer großen Terrasse statt. Für drei holländische Pilgerinnen scheine ich nur Luft zu sein. Zwei französische Pilgerehepaare, nehmen mich dagegen wohlwollend in Augenschein. Mir ist jetzt nach einem kühlen Bier zu Mute. Ich finde eine Bar, oder besser den Dorfsammelpunkt. Hier ist was los! Ich suche mir einen Platz an der Wand, wo ich die beste Übersicht habe. Alle Ankommenden werden lautstark und mit Umarmung begrüßt. Am Tisch neben mir, haben einige ältere Dorfbewohner Platz genommen. Auch diese sind mehr auf Beobachtungsposten. Es ist ein Kommen und Gehen. Jeder wird lautstark begrüßt und ebenso lautstark verabschiedet. Ich frage meinen Tischnachbar, ob das zitronengelbe Getränk in seinem Glas Wein sei. Meine Frage löst ein großes Gelächter aus. Die alten Männer können sich kaum beruhigen. Ich bin etwas ratlos. Der Wirt kommt lachend an den Tisch und schenkt mir eine Kostprobe ein. Mir ist nicht klar was ich verkoste. Es könnte eine Kräuterspezialität sein. Es ist Zeit zum Abendessen. Ich verabschiede mich.

Im Speisesaal der Herberge treffe ich jetzt all die Bewohner die hier für eine Nacht Zuflucht gesucht haben. An meinem Tisch sitzt Peter aus Nürnberg und Enzo aus Mailand. Es ist der Pilger der mir durch seine staksende Gangart aufgefallen war. Toll, so ist auch er hier wohlbehalten angekommen. Respekt! Eine perfekte Tischgruppe. Wir verstehen uns auf Anhieb. Ich erzähle von der Bar aus der ich gerade gekommen bin. Wir beschließen spontan, dort einen Absacker zu uns zu nehmen. Doch vorher genießen wir das ausgezeichnete Pilgermenü.

Die Franzosen stimmen ein Pilgerlied an. Ich kann den Refrain sofort mitsingen, was helle Begeisterung auslöst. Auch die Holländerinnen sind jetzt ganz angetan. Es  entsteht ein Rundgesang. Jeder singt ein Lied das ihm gerade einfällt, in seiner Landessprache. So erklingen holländische, bayrische, französische, italienische und deutsche Töne. Ich gebe das alte Volkslied. „Guten Abend gut Nacht“ und muss anschließend erklären ein Chorsänger zu sein. Die Franzosen singen, auf meine Bitte hin, nochmals das wunderschöne Pilgerlied – Ultreya.

Mit Enzo und Peter beschließe ich den Abend in dem Dorftreffpunkt, der mir bereits bekannten Dorfkneipe.

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