Ich schenke meiner Oma eine Geschichte, Teil 3


Ich schenke meiner Oma eine Geschichte, Teil 3

Was ist los, warum schreit es?“ „Weiß ich doch nicht. Aber riechst du das? Es stinkt!“ „Ich habe keine Windel. Was soll ich machen?“„Steck es mal unter das Wasser“.

Sie zieht mich aus und wäscht mich im kalten Wasser. Die Stromkosten sind nicht bezahlt. Heizung funktioniert nicht. Doch das kalte Wasser ist nicht schlimm für mich. Mein Körper brennt und ist wund von der festgepappten Windel. Sie legt mich nackig wieder auf das Bett. Ich fühle mich erleichtert. Bin hungrig. Doch auch zu schwach. Schlafe ein.

Sie gehen beide aus der Tür. Nachts. Ich bin alleine. Liege ruhig. Habe Angst. Bauch tut weh. Sie sind lange weg. Ein Tag. Zwei Tage. Meine Lippen sind trocken, platzen auf. Ich habe Schmerzen. Schreie, schrei ununterbrochen, stundenlang. Es ist wieder dunkel. Habe keine Kraft mehr zu brüllen.

Höre Geräusche. Sehe Licht. Sehe Menschen. Drei, vier, fünf stehen vor mir. Eine Frau setzt sich neben mich. Ich lächle. Sie streichelt meine Backen. Sie nehmen mich mit.

Schön. Schön ist es hier. Warm, frische Windel. Fläschchen umarme ich die ganze Zeit. Werde groß. Krabble schon, bekomme Zähnchen. Weine nie. Liebe andere Menschen. Spiele gerne. Kann schon ein paar Wörter. Hier sind auch andere Kinder. Schön ist es hier. Fast wie im Brutkasten. Nur die Enge und Wärme fehlt. Es vergehen Monate. Es kommen Menschen, die spielen mit mir. Immer öfters. Dann nehmen sie mich mit. Wohne in Mainz. In einer Wohnung. Dunkel ist es hier. Es gibt noch ein anderes Kind hier. Es ist älter als ich. Will mit mir nicht spielen. Schlägt mich, wenn ich seine Spielzeuge in die Hand nehme. Die Frau redet nicht viel. Sagt mir immer, sie wollte immer schon ein Mädchen haben. Ein blondes Mädchen. Der kann man schöne rosa Kleidchen anziehen. Ich habe keine blonden Haare. Ihr Mann ist nett. Arbeitet viel. Kommt immer dreckig nach Hause. Schaut mich immer an. Sagt immer, wir spielen gleich. Jeden Abend spielt er mit mir. Aber wir müssen immer warten. Bis ihr Sohn schlafen geht. Er ist eifersüchtig, wenn sein Vater mit mir spielt. Ich schlafe im Wohnzimmer. Sie sagen, bald bekomme ich ein Zimmer. Bin schon vier Jahre. Gehe schon in den Kindergarten. Dort ist es schön. Dort gibt es Essen und Trinken. Und viele Kinder. Ich schaue sehr oft, was die anderen Kinder machen. Weine nie. Streite mich nicht. Auch wenn andere mir Sachen wegnehmen. Bin gerne bei Frau Schneider. Sie nimmt mich und drückt mich und hält mich fest. Ich liege mit meinem Köpfchen auf ihrer Brust. Schlafe ein bei der Melodie ihres Herzes. Bin immer lange dort, manchmal bis fünf. Im Winter ist es immer dunkel, wenn ich abgeholt werde. Auch wenn ich hingebracht werde. Andere Kinder nennen die Menschen, die sie in den Kindergarten bringen, Mama oder Papa. Auch Mami oder Papi. Oder Mutti. Weiß nicht, ob ich das auch sagen darf.

Heute habe ich Geburtstag, sagt Frau Schneider. Sie hat einen bunten Kuchen mitgebracht. Mit rosa Schleifen und vielen Kerzen. So vielen, wie ich alt bin. Alle Kinder singen für mich ein Geburtstagslied. Ich trage ein Prinzessinnenkleid mit weißen Rüschen und sitze auf einem Stuhl. Und als alle „hoch soll sie leben“ singen, heben Frau Schneider und Frau Michel mich hoch. Ich habe ein schönes Gefühlt im Bauch. Wie noch nie. Ist das Freude?

Alle Kinder umarmen mich. Ich kann entscheiden, mit was ich spielen will. Aber mir ist es egal. Dann werde ich abgeholt. Ich will so gerne noch hierbleiben. Aber ich darf bestimmt nicht. Zu Hause gibt es auch eine Kerze zum Ausblasen. Suppe zum Abendessen. Auch Markus lässt mich heute mit seinen Sachen spielen. Aber ich will nicht. Ein rosa Päckchen bekomme ich vor dem Einschlafen. Es ist mein Geburtstagsgeschenk. Alle sind schon ins Bett gegangen. Ich liege auf dem Sofa.

 

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