GLANZ DES SCHEITERNS


GLANZ DES SCHEITERNS
Andreas Egerts Essay Warum Cioran heute?

Wäre E. M. Cioran, der aus Rumänien stammende, die meiste Zeit seines Lebens in Frankreich ansässige Philosoph, in der Gegenwart populär, wäre in den Köpfen vieler Menschen und folglich im Weltgeschehen manches anders als in der sich der „Unterhaltungsphilosophie“ und dem „Ökonomismus“ ausliefernden Gegenwart. Umso wichtiger und begrüßenswerter ist deshalb die intellektuelle Auseinandersetzung mit diesem Denker, die wir dem Aphorismus-Experten Andreas Egert verdanken.

Seit vielen Jahren widmet sich der 1968 in Frankfurt am Main geborene Autor der literarischen Gattung des Aphorismus. Er veröffentlichte die drei Bücher fehlfarbenfroh – Aphorismen (Schardt Verlag), Vom Werden und Wesen des Aphorismus. Essays zur Gattungsproblematik bei Lichtenberg und Nietzsche (Igel Verlag Wissenschaft) sowie Der Fall Aphorismus. Zur Genese und Aktualität einer Gattung (Azur Verlag).

Der Essay Warum Cioran heute? geht auf einen Vortrag des Verfassers zurück. Der Text vermittelt Einblicke sowohl in die Biographie als auch in das philosophische Denken Ciorans.

Wer den kritischen Essayisten Egert, der Germanistik, Philosophie und Politologie studierte, kennt, wird nicht überrascht sein, dass er Ciorans „faschistische Jugendsünden“ nicht verschweigt, etwa seine Begeisterung für die „Eiserne Garde“ des Antisemiten Corneliu Zelea Codreanu. Dieser Dunstkreis des Faschismus verleitete ihn zu dem Traktat Die Verklärung Rumäniens, von dem er sich später unmissverständlich distanzierte.

Egerts Sympathie gilt der „zweiten Haut“ Ciorans, nämlich seiner Hinwendung zur französischen Sprache, zu den Moralisten François de La Rochefoucauld, Nicolas Chamfort und Antoine de Rivarol sowie zu Friedrich Nietzsche. Georg Christoph Lichtenberg und Arthur Schopenhauer. Cioran entwickelte vor diesem Hintergrund den für ihn typischen aphoristischen Stil.

Egert beschreibt anschaulich die Widersprüchlichkeit Ciorans, die sowohl im Denken als auch im Leben dieses radikalen Außenseiters zum Ausdruck kommt. Ich führe als Belege zwei der im Essay herangezogenen Aphorismen an. „Die Tatsache“, schreibt Cioran in dem von Verena von der Heyden-Rynsch übersetzten Band Der zersplitterte Fluch, „daß das Leben keinen Sinn hat, ist ein Grund, um zu leben. Übrigens der einzige“.  Und, übersetzt von François Bondy: „Wir sind am Abgrund einer Hölle, von der jeder Augenblick ein Wunder ist.“

Nicht minder begegnen wir den Widersprüchen in Ciorans Existenz. Wieder nur zwei Beispiele: Er selbst äußerte in den, ebenfalls von Verena von der Heyden-Rynsch übersetzten, Cahiers 1957 – 1972: „Ich bin das Ergebnis widersprüchlicher Erbanlagen.“ Oder denken wir an das Gespräch, welches er 1983 mit Hans-Jürgen Heinrichs führte. Darin bekennt er einerseits, er habe eigentlich „ein sehr glückliches Leben gehabt“, und erklärt andererseits: „ich habe täglich diese Anfälle von Verzweiflung“ (Cafard).

Verzweiflung, Unglück, Nichtigkeit, Ekel, Geschichtsverdrossenheit, Scheitern – das sind Begriffe, um die das Denken Ciorans immer wieder kreist. In seinem luziden Text stellt Andreas Egert den Mann des Widerspruchs als Philosophen dar, welcher der Oberflächlichkeit des „Zeitungeistes“, dem „vulgären einseitigen Rationalismus“, wie es im Essay heißt, Skepsis und Widerstand, Grenzüberschreitung und Freiheit entgegenstellt.

Cioran war kein Verfechter des Erfolges, der Zweckrationalität, des literarischen Ruhms, sondern stand auf der Seite der Schwachen, der Einsamen, der Verzweifelten. Darin liegt meines Erachtens die faszinierende Stärke dieses „Brüll-Philosophen“ (Nachlass), wie er sich einmal nannte. Seine pointiert-aphoristischen Publikationen, welche die „Sprengraft des Geistes“ – so der Titel meiner Rezension des jüngsten Buches von Egert – dokumentieren, und sein bevorzugter Umgang mit Bettlern und Gestrandeten, sein Insistieren auf der Niederlage als Wesensmerkmal der Welt vermitteln den Glanz des Scheiterns.

Eine Auswahl prägnanter Charakterisierungen von berühmten Zeitgenossen durch Cioran rundet den lesenswerten Essay ab. Der Text ist ein Genuss für die, welche mit Ciorans Werk vertraut sind, und ein heißer Tipp für diejenigen, die diesen originellen Denker, diesen brillanten „Menschen des Schiffbruches“ (Cafard) kennenlernen möchten.