GEDULD ALS NACHFOLGE
Geduld − was ist das? Ist sie eine Frucht des göttlichen Geistes, wie wir im Galaterbrief, Kapitel 5, Vers 22 lesen, oder das Resultat eines Tricks, mit dem eine Herrschaft uns aufruft, alles und jedes zu erdulden, wie der Schriftsteller Johann Gottfried Seume meinte, der sich im 18./19. Jahrhundert gegen klerikale und feudale Macht und für die Freiheitsrechte engagierte? Verstehen wir Geduld als unabdingbare Voraussetzung einer Gott wohlgefälligen Handlung, wie es der lateinische Kirchenschriftsteller Tertullian im 2./3. Jahrhundert lehrte, oder als Eigenschaft, die lediglich bei armen Menschen anzutreffen ist, wie Ernst Wiechert, der Gegner des Nationalsozialismus, kritisch anmerkte?
Geduld erscheint –dieser Eindruck lässt sich schwerlich abweisen –als ein schillerndes Phänomen. So klar die Herkunft des Begriffs ist, so wenig können wir ihn auf eine einzige, unmissverständliche Deutung begrenzen. Etymologisch wird er mit tragen und ertragen in Verbindung gebracht. Doch damit ist nicht gesagt, was wir geduldig über uns ergehen lassen oder mit wem wir Geduld haben (sollen). Wäre es sinnvoll, soziale Ungerechtigkeit, das Elend fremder Menschen oder tyrannische Macht, in welcher Form auch immer sie sich zeigen mag, einfach hinzunehmen? Würde derartige Geduld nicht die bestehenden unwürdigen Verhältnisse geradezu zementieren?
Unbestreitbar scheint mir indessen der Wert der Geduld in vielfältiger Hinsicht zu sein. So lässt sich beispielsweise das Miteinander in einer Freundschaft oder Ehe, die Erziehung von Kindern, der Umgang mit Schülern oder die Pflege von Kranken und Sterbenden ohne ruhiges Abwarten und Gelassenheit, ohne Nachsicht und Langmut, wie man früher sagte, überhaupt nicht menschenfreundlich denken. Denn was ist das Gegenteil von Geduld? Anspannung, Drang, Gereiztheit – wer möchte in einer solchen Atmosphäre leben?
Wir wollen nicht übertreiben: Nach Engelsgeduld brauchen wir als Menschen nicht zu streben. Aber als Gläubige, die in die Nachfolge Christi gerufen sind, dürfen wir uns an dem Mensch gewordenen gnädigen Gott orientieren. Es gibt Lasten und Leiden, die unabänderlich zum Leben gehören, etwa Behinderungen, Krankheiten, Altersgebrechen und die Sterblichkeit. Sie geduldig zu ertragen ist ein Merkmal der Würde eines Christenmenschen. In der Kraft des Glaubens folgen wir darin Jesus Christus, den der Dichter Friedrich Gottlieb Klopstock in seinem Epos „Der Messias“ (1773) Dulder nennt. Und der Theologe Johann Peter Hebel spricht 1797 in einer „Predigt am grünen Donnerstage über die Leidensgeschichte“ vom heiligen Dulder. Im Namen des Gekreuzigten erheben wir die Stimme gegen Unduldsamkeit und Intoleranz und für – Geduld.