Franz Josef Schäfer: Einmal Theresienstadt und zurück.


Franz Josef Schäfer: Einmal Theresienstadt und zurück. Familie Lansch wehrt sich gegen die Nazis. St. Ingbert: Röhrig Universitätsverlag GmbH 2019, 158 Seiten, 23 Abb. ISBN 978-3-86110-746-0, 12,90 €

 

Johannes Chwalek

 

Franz Josef Schäfer beschreibt ein außerordentliches Detail der Holocaust-Geschichte: Dem Wehrmachtssoldaten Hans Lansch (1906-1990), nach der Diktion der Nationalsozialisten ein „Mischling ersten Grades“, gelang es unter dramatischen Umständen, seine am 26. Juli 1942 ins KZ Theresienstadt verschleppte Mutter Karoline Lansch, geb. Levinger (1879-1966) auf dem Verhandlungsweg mit der Gestapo-Zentrale in Prag frei zu bekommen. Sie durfte zurückkehren in ihre Wohnung nach Saarbrücken, erlitt dort jedoch bis zum Kriegsende weitere Schikanen der örtlichen Gestapo und stand noch einmal kurz vor dem erneuten Abtransport ins Konzentrationslager, wovor sie diesmal der beherzte Eingriff ihrer Tochter Margarete (Gretl) Lansch (1908-1990) bewahrte; Hans Lansch befand sich als Wehrmachtssoldat im Kriegseinsatz. Die Lektüre der entsprechenden Kapitel in Schäfers Buch machen verstummen vor der Rücksichtslosigkeit und Brutalität des NS-Regimes sowie der Leiden der Betroffenen. Da ist zuerst Karoline Lansch zu nennen. Ein Gestapo-Beamter übermittelte ihr den Bescheid über den Abtransport. Es handelte sich um einen Sammeltransport, angeblich in ein Altersheim, weswegen Karoline Lansch Kleider, Wäsche, Bettwäsche, eine Matratze, Bettzeug und weitere Haushaltsgegenstände abzuliefern hatte – was sie nie wiedersah. Auch Medikamente, Schmuck, Taschen, Lederkoffer etc. wurden ihr geraubt. „Der Gesamtverlust, der mir persönlich durch den Abtransport und die damit verbundene Beschlagnahmung meines persönlichen Besitzes entstanden ist, beläuft sich auf etwa 10.000,- Reichsmark“, zitiert der Autor aus dem Antrag auf Entschädigung Karoline Lanschs. Der Abtransport und Aufenthalt im KZ Theresienstadt zerrüttete Karoline Lanschs Gesundheit. Im August drang ihr Sohn Hans – von einer mehrmonatigen Ruhrerkrankung noch kaum genesen und von seinem Wehrmachtsstandort in Polen nach Theresienstadt eilend – bis zur Kommandantur des Konzentrationslagers vor, was streng verboten war. Er wurde von den SS-Männern beschimpft, beschrien und bedroht, ließ sich aber durch nichts davon abhalten, die Freilassung seiner Mutter zu fordern. Dies gelang ihm erst auf der Gestapo-Zentrale in Prag, wohin er schließlich verwiesen wurde. Auch dort wiederholte sich zunächst das Szenario aus Beschimpfungen und Drohungen, doch Hans Lansch war Wehrmachtsangehöriger und trug Uniform, was die SS-Leute immerhin nicht unbeeindruckt ließ. Außerdem berief sich Hans Lansch auf einen Erlass Hitlers, wonach die jüdischen Angehörigen von „Mischlingen“, die bei der Wehrmacht in Dienst standen, von Deportationen ausgenommen wurden. Längst hatte Hans Lansch seinen Urlaub überschritten, er konnte die Mutter, die ihm endlich unter strengsten Auflagen übergeben worden war, nur noch auf dem Bahnhof Mitreisenden nach Saarbrücken anvertrauen und musste selbst auf dem schnellsten Weg zurückkehren zu seinem Truppenteil in Polen.

Mit der Rettung Karoline Lanschs aus dem KZ Theresienstadt waren ihre Leiden nicht beendet. Zwar lebte sie wieder zu Hause in Saarbrücken, doch dort war sie weiteren Schikanen der SS ausgesetzt mit Meldeauflagen, „Hausbesuchen“ der SS, Kreuzverhören, weil sie angeblich gegen die Auflage verstoßen habe, über ihren Aufenthalt im KZ Theresienstadt nicht zu sprechen, Drohungen, sie abermals zu deportieren usw. Dieses Verhalten der Saarbrücker SS brachte Karoline Lansch und ihre Tochter Gretl regelmäßig an den Rand des Nervenzusammenbruchs. Eine Haushaltshilfe der Familie Lansch berichtet, dass sie es „einfach nicht fassen“ konnte, „daß aus der vorher noch rüstigen Frau während der Wochen ihrer Abwesenheit ein solches Wrack werden konnte“ (S. 118). Tatsächlich wurde Karoline Lansch ein zweiter Abtransport anbefohlen. Diesmal war es ihre Tochter Gretl, die wiederum unter Aufbietung aller Kräfte verhindern konnte, dass die SS ihr Vorhaben in die Tat umsetzte. Beide Kinder Karoline Lanschs wurden zu ihren Lebensrettern. Franz Josef Schäfer arbeitet, gestützt auf Feldpostbriefe Hans Lanschs an seine Braut, Briefe an ihn von zu Hause, die Personalakte sowie die Entschädigungsakten von Karoline, Hans und Gretl Lansch im Landesarchiv Saarbrücken, die Bedingungen für die Heldentaten der Lansch-Geschwister klar heraus: Einerseits brachten Hans und Gretl Lansch ungeheuren Mut auf, als Einzelpersonen den SS-Behörden entgegenzutreten, andererseits hatten sich die Nationalsozialisten in einen Widerspruch begeben, dass sie auf Befehl Hitlers jüdische Angehörige von Wehrmachtsangehörigen, die als „Mischlinge ersten Grades“ galten, von der Deportation in ein KZ ausnehmen wollten, was dann bei Karoline Lansch – und nicht nur bei ihr! – aber doch geschah. Dass niemand genau wusste, wie die „Rechtslage“ eigentlich aussah, ist nicht nur typisch für den NS-Staat, sondern spiegelt sich auch im Schicksal Hans Lanschs wider: Er wurde zur Wehrmacht einberufen, dann als „wehrunwürdig“ entlassen, dann wieder aufgenommen „zur Bewährung“ und mit dem vagen Wort Hitlers, dass erwiesene Tapferkeit nach dem „Endsieg“ zu Anerkennung und „rassischer Gleichheit“ mit der „arischen Bevölkerung“ führen könne …

Die eben genannten Kernstellen des Buches Franz Josef Schäfers werden umrahmt von Berichten über das Leben der Mitglieder der Lansch-Familie vor, während und nach der NS-Zeit. Wie etwa dem Musiker Hans Lansch vor seiner Wehrmachtszeit jede künstlerische Betätigung in der Öffentlichkeit nach und nach verboten wurde und er und seine Familie dadurch in höchste ökonomische Bedrängnis gerieten, oder wie die Eheschließung Hans Lanschs mit Eleonore Hartenberger (1920-2001), einer „arischen Frau“, durch die NS-Behörden hintertrieben wurde, auch dann noch, als sie einen Jungen zur Welt brachte, spottet jeder Beschreibung. Die Schikanen der Nationalsozialisten waren auch in diesem Fall mit finanziellen Einbußen der Betroffenen verbunden, weil Hans Lansch keine Unterstützung für seine kleine Familie beantragen konnte. Überdies drohte ihm ein Verfahren wegen „Blutschande“.

Franz Josef Schäfers Buch, das die Lebenslinien weiterer Mitglieder aus dem familiären und Bekannten-Umkreis der Familie Lansch nachzeichnet und im Anhang  36 Biogramme bereitstellt, verdient Anerkennung und weite Verbreitung. Es zeigt an eindrücklichen Beispielen, wohin die Menschenverachtung der Nationalsozialisten führte. Zugleich erinnert es an den fantastischen Mut zweier Menschen, die unter allen Umständen ihre Mutter vor dem KZ bewahren wollten und denen dies tatsächlich gelang: die Geschwister Hans und Gretl Lansch.

 

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Die Besprechung des Buches von Franz Josef Schäfer wurde zuvor veröffentlicht in:

SCHREIBTISCH. Literarisches Journal. Ausgabe 2020. Frankfurt am Main, edition federleicht, S. 205-207.

ZEITSCHRIFT FÜR DIE GESCHICHTE DER SAARGEGEND. Herausgegeben von Sabine Penth in Zusammenarbeit mit Christina Abel, Joachim Conrad, Linda Hammann und Hans-Christian Herrmann im Auftrag des Historischen Vereins für die Saargegend e.V., Ausgabe 68, Saarbrücken 2020, S. 363-365.