Eine rätselhafte Begegnung: 3.Teil


Eine rätselhafte Begegnung: 3.Teil

Nichts dergleichen geschah. Der Pfarrer saß noch immer mit geschlossenen Augen vor mir. Kurz überlegte ich zu sagen, ich stünde noch für Fragen zur Verfügung, soweit es welche gäbe, verwarf dann diesen Gedanken seiner Unsinnigkeit wegen, und während ich in undurchdringliche Gesichter blickte und mich fragte, was augenblicklich in den Köpfen meiner Zuhörerschaft vor sich ging, entschied ich mich, einfach dazusitzen und abzuwarten, was weiter passierte.

Warum ich mir eine Insel als Ort der Handlung ausgesucht hätte, fragte plötzlich eine jüngere Frau. Ich sah sie an, sah in ein ernstes, offenes Gesicht und antwortete, die Idee für diesen Roman sei mir auf einer Insel gekommen, in einem Hotel, wo ich allmorgendlich beim Frühstück ein junges Paar erlebte, das beharrlich schwieg, während die mit am Tisch sitzenden Eltern der jungen Frau, wie ich hören konnte, minutiös den Tagesablauf für alle vier planten. Außerdem sei mir eine Insel für das Thema meiner Geschichte als symbolisch sinnvoller Ort erschienen.

Die Fragerin nickte zustimmend.

Ob es das Haus des Insulaners tatsächlich gäbe, fragte mich der jüngere Mann der drei Männer in der Runde. Seine Frage klang schroff, fast aggressiv.

Nein, entgegnete ich freundlich – denn ich hatte dem Internet auch entnommen, das es wichtig sei, immer freundlich, oder wenigstens höflich zu bleiben -, das Haus sei ein Produkt meiner Fantasie.

Das könne er nicht glauben, setzte der Mann dagegen, dieses Haus sei detailgetreu beschrieben, er kenne es.

Ich wurde verlegen, was sollte ich sagen? Das Haus, über das ich schrieb, hatte ich tatsächlich frei erfunden.

Woher er es zu kennen glaube, fragte ich ihn.

Er lachte kurz, rau. Er sagte, es sei sein Haus, das ich beschrieben hätte, das wüsste ich doch nur allzu gut.

Suchte der Mann einen Streit, fragte ich mich, und wenn ja, warum. Ich sah mich in der Runde um, blickte in erwartungsvolle Gesichter, selbst der Pfarrer hatte seine Augen geöffnet und sah mich verwundert an.

Nein, entgegnete ich leise, ich wüsste nichts von seinem Haus, nichts von ihm, worauf der Mann wissen wollte, wann ich den Roman geschrieben hatte.

1998, antwortete ich wahrheitsgemäß, kurz vor der Jahrtausendwende sei er fertig geworden, und ich sagte auch, dass ich niemals zuvor auf dieser Insel gewesen sei.

Der Mann nickte bedächtig. Er fragte nun nichts mehr. Es sah aus, als gäbe er sich mit meiner Antwort zufrieden.

Andere in der Runde meldeten sich zu Wort. Ich wurde gefragt, wie ich die Namen des Romanpersonals auswählen würde. Ich erzählte, dass sie meistens Totenanzeigen entnommen seien, das sei die einfachste Art, an interessante Namen zu kommen und bekannte Namen aus der eigenen Umgebung zu vermeiden. Nehmen Sie beispielsweise den Namen Frieda Stark, sagte ich, erscheint da nicht auch vor Ihren Augen gleich ein bestimmter Frauentyp? Auch er, setzte ich hinzu, sei einer Todesanzeige entnommen.

Die meisten Frauen fanden die Idee schön, Namen auf diese Weise eine über den Tod hinaus gehende Bedeutung zukommen zu lassen, andere fanden das pietätlos. Darüber entwickelte sich eine lebhafte Diskussion unter den Frauen, an der sich keiner der Männer beteiligte.

Immer wieder wurde mein Blick von jenem Mann angezogen, der gesagt hatte, in meinem Roman sei von seinem Haus die Rede. Er war ein stattlicher Mann, dessen Augen und Hände voller Unruhe gewesen waren während er redete, und auch jetzt, da er schwieg, wirkte er angespannt, wie ich seinem Muskelspiel auf dem Gesicht entnahm. Ich fragte mich, auf welche Weise sein Leben mit meiner fiktiven Geschichte verbunden sein mochte, und als hätte er meine Gedanken erraten, fragte er mich nun, wie die Geschichte in meinem Roman enden würde.

Halb scherzhaft entgegnete ich, da die Geschichte in seinem Haus spiele, sei er doch sicher über ihren Ausgang informiert. Der Mann schwieg, und keiner der Anwesenden, deren Interesse inzwischen ganz auf uns beide gerichtet war, brachte ihn dazu, auch nur noch ein einziges Wort zu sagen.

Es sei spät, meldete sich der Pfarrer zu Wort, und allmählich an der Zeit, zum Ende zu kommen. Er erhob sich, hielt eine kurze Abschlussrede, in der er sich bei allen, die gekommen waren, bedankte. Er bedankte sich für unvergessliche Wochen in einer vorbehaltslosen Gemeinschaft, und er bedankte sich bei für meine Lesung, die er unterhaltsam nannte, die aber auch so manch nachdenklichen Aspekt zutage befördert habe und, da sei er sich sicher, über den Abend hinaus nachwirke.

Ein stürmisches Klatschen setzte ein, meine Anspannung löste sich und ich hoffte, der Beifall galt nicht alleine nur dem Pfarrer.

Der Buchverkauf lief gut, meine mitgebrachten zwanzig Bücher waren schnell verkauft. Überdies notierten sich einige aus der Zuhörerschaft Titel und Verlag, um im örtlichen Buchladen ihre Bestellung aufgeben zu können. Als ich endlich wieder nach jenem seltsamen Mann Ausschau halten konnte, der mich an diesem Abend in eine tiefe Verwirrung gestürzt hatte, und der erheblich dazu beigetragen hatte, dass sich meine Bücher gut verkauften, war er nicht mehr im Saal.

Der Pfarrer hatte einen Tisch bei einem ortsansässigen Italiener reservieren lassen, wo ein abschließendes gemeinsames Abendessen geplant war, an dem der Pfarrer selbst, ich, seine Frau und die Organistin teilnahmen. Längst war es zehn Uhr vorbei, eine tiefe Stille lag über der Insel und in der Ferne hörte man das rhythmische Brechen der Wellen. Ich fragte mich, während wir zu dem Italiener gingen, wo wohl das Haus meines Zuhörers stand und wie ihm wohl gerade zumute war. Ich habe nie erfahren, wer der Mann gewesen ist und was ihn mit der Geschichte, die ich in meinem Roman beschrieben hatte, verband. Weder der Pfarrer noch seine Frau oder die Organistin kannten ihn. Doch in einem waren sich meine Gefährten einig: ein Einheimischer war er nicht.

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