Ein Zauber leiht mir Schwingen
Anmerkungen zu Petrarca, sechster Teil
Petrarca hat letztlich nichts geheim gehalten, was Laura betrifft, wie es scheint. Aber der Zeitpunkt der Mitteilungen und die Form natürlich waren entscheidend. In kunstloser Weise hat er sich der Natur anvertraut. Aber dann war es, als redete er gar nichts, weil es kein Mensch gehört hatte. Erst einmal blieb Petrarca vor den Menschen stumm. Die Natur schwieg beruhigend; ob sie dabei beredt war oder nicht, spielte keine Rolle mehr … Perch´ io t´abbia guardato di menzogna misst die Extreme aus zwischen Petrarcas überlegener Sprachbeherrschung und seinem Verstummen, sobald er Laura sieht. … die Lippen lallten / Vertanen Laut, und wie im Traum verhallten / Die Worte, sich in Ohnmacht aufzuzehren. Ist es ein Widerspruch, dass der eloquente Petrarca in Lauras Gegenwart >kein Wort herausbringt< oder ist es >nur logisch<?, fragte ich Juana. Sonette und Kanzonen behandeln jeweils einen Teilaspekt ihrer Wirkung auf ihn, sei es in vorwiegend gedanklicher oder emotionaler Hinsicht, und diese Worte >hin zu Laura< entströmen Petrarca in bewundernswerter Weise. Aber wenn sie vor ihm steht, diese Frau seiner vielfältigsten Anrufe und Verklärungen, versiegt die Sprachquelle >schlagartig<; er weiß sich nicht mehr auszudrücken … – Denn was sollte er jetzt sagen?, fragte ich Juana. Jeder in den Versen besungene >Teilaspekt ihrer Wirkung auf ihn< wäre verfehlt; es käme darauf an, die Gesamtheit dieser Teilaspekte zu verbalisieren – was nicht einmal Petrarca vermochte. Vielleicht war ihm das nicht möglich, weil diese Sprache noch nicht erfunden ist, sagte ich zu Juana. Sie müsste Widersprüchliches vereinen, Verzweiflung und Verzückung, hohe Gedanken und die unterschiedlichsten Tonlagen. (Oder vielleicht auch etwas, das jetzt – in ihrer Gegenwart – völlig neu gesagt werden müsste und >so groß ist<, dass sich auch ein Sprachmeister hilflos fühlt, wenn er es in Worte kleiden will.)[1] Natürlich ist eine weitere Erklärung für Petrarcas Verstummen im Angesicht Lauras denkbar, sagte ich zu Juana, und zwar beziehe ich mich auf Hegels Bemerkung, es handle sich bei Petrarcas Laura-Versen um den „Selbstgenuss der Liebe“, statt dass es dem Autor um den „wirklichen Besitz ihres Gegenstandes“ zu tun sei. Dieser Selbstgenuss – wäre er denn vorhanden! – nährt sich von Lauras >Abstand< und Entfernung; so wie er sich darin auch schützt. Durch Lauras Erscheinen wird diese >Nahrungsquelle< und dieser >Schutz< augenblicklich zerstört; zurück bleibt ein um alle seine Worte ratlos gemachter Petrarca … Das Gefühl des Ungenügens – macht es nicht den Großteil unsres Lebens aus?, fragte ich Juana. Immer will ich anders sein, mich anders fühlen und anders >dastehen<. Immer sollen die andren anders von mir denken und sich mir gegenüber anders verhalten. Immer will ich größere Anerkennung, größeren Reichtum, größeres Wohlleben erreichen, als es mir tatsächlich gegeben ist. Die Liebe macht hierin in der Regel keine Ausnahme; sie lässt uns im Gegenteil das Ungenügen nur umso schmerzlicher vermissen. Aber wenn sie einmal da ist mit ihrer ganzen Blütenkraft, dann wirkt die Zeit aufgehoben – was sollte uns noch ängstigen oder sorgen? Schon einmal habe ich von einer >anderen Dimension< in der Liebe gesprochen, erinnerst du dich?, fragte ich Juana. Die Auflösung der Widersprüche gelingt der Liebe als einem Teil der Wirklichkeit. Das Gelingen erhält nur einen sehr begrenzten Raum. Warum, wissen wir nicht, sagte ich zu Juana. Ansonsten stehn wir meistens da „in der Menschheit traurger Blöße“ und – sehnen uns nach dem >sehr begrenzten Raum< … Eben wollte ich dich fragen, wie viele Menschen es wohl geben mag, die nie etwas erfahren von dieser Kraft der Liebe, die Widersprüche aufzuheben oder zusammenfallen zu lassen. Aber selbst wer die Liebe von dieser Seite kennen lernt, erfährt oft genug, wie kurzlebig das schöne Gefühl ist. Dann folgt eine Klage, die auch Petrarca äußert, dem Laura nicht in dem Maße >zueigen<, >teilhaftig< wird oder >zur Verfügung steht< (welche Formulierung soll ich verwenden?, fragte ich Juana ), wie er sich das wünscht. Wer hat das Glück zerbrochen, // Das – oh der Seligkeit! – mir ward versprochen? ( Se col cieco desir, che ´l cor distrugge) Er kann sich sein Unglück nicht erklären und fragt nach der dunklen Macht, die so etwas bewirkt. Typisch ist das Gefühl vom „Reif in der Frühlingsnacht“, von zu früh beendetem Glück, kaum dass es begann. Jedes verlorene Glück erlischt zu früh für denjenigen, der es überlebt. Hat der Trauernde Recht mit seiner Sehnsucht nach vergangenem Glück?, fragte ich Juana. Kann er >im Kern< nichts Größeres mehr erfahren? Kann ihn nur die Wiederholung der Seligkeit mit seiner augenblicklichen Betrübnis versöhnen? – Das sind Fragen für die Spekulation, sagte ich zu Juana. Ich will zum Ende dieses Abschnittes noch auf das Sonett Quel vago impallidir, che ´l dolce riso zu sprechen kommen: Hier hat Petrarca das Gefühl (glaubt die Gewissheit zu haben), dass Laura ihn auch liebt, wenigstens seelisch liebt, dass es ihr nicht gleichgültig ist, ob er geht und sie ohne ihn dasteht. Beantwortet dieses Sonett die Frage, ob eine lebenslange unerwiderte Liebe bestehen kann, mit nein?, fragte ich Juana. Alle Liebe, so ätherisch sie sich auch gebärden möge, wurzelt im Geschlechtstrieb, schreibt Schopenhauer, und auch wenn ich der Liebe >mehr< zugestehen will als Schopenhauer, wenn mir Petrarca der Garant für dieses >Mehr< ist, fragt es sich dennoch, ob ein Individuum sein kostbares Leben an eine unerwiderte Liebe verschwenden will, sagte ich zu Juana. Wer ist so einzigartig, dass er dergleichen verdiente als Objekt der Anbetung? Petrarca jedenfalls ist sich der wenigstens seelischen Gegenliebe Lauras sicher, was ihn für sich selbst „besser, reiner werden“ lässt und ihm das Gefühl gibt, „im Paradiese [ … ] zu sein.“
(wird fortgesetzt)
[1] Wie gerne bedienen sich Liebende der Musik, als Ausdruck ihrer eigenen Stimmungslage oder zur indirekten Mitteilung an die Geliebte ( jedenfalls war das früher so, sagte ich zu Juana ). Was Worte nicht vermögen, vermag die Musik. Das >Zuviel< des überströmenden Herzens findet so immer noch ein Ventil; nur im vergleichsweise nüchternen Wort nicht mehr …