Ein Zauber leiht mir Schwingen
Anmerkungen zu Petrarca, fünfter Teil
Liegt der >Bruch<, von dem ich nun immer wieder rede, sagte ich zu Juana, vielleicht in der Liebe selbst, weil sie vom Tod bedroht ist? Der Tod spielt eine große Rolle in Petrarcas Liebessonetten, denn sie umspannen nicht nur Lauras irdisches Leben, sondern auch ihr >Nachleben< (das durch Petrarcas Verse erst entsteht). Dass er >beruhigt< sein kann, auch wenn sie stirbt, drückt er in Quest´ anima gentil che si diparteaus: Laura, heimatlich berufen, wird Begnadet zu der auserlesnen Runde / Der hellsten Sterne ( …)aufgehobenund sich flammend ( … ) dem höchsten Chor gesellen. Laura, die nach den Worten ihres Dichters vom Beginn der Zeit an als Idee Gottes existierte, wird nach ihrem Tod den unendlichen Raum ausfüllen und für immer >da sein<, um Gott zu loben / Mit reinen Geistern in beglücktem Bunde. Das sind – ohne Ironie! – >Aussichten<, und wer kriegt sie gesagt in der liebesarmen Welt?, fragte ich Juana. (Auch hier wieder: Was Lauras Noch-nicht-Sein, ihre Geburt und ihr Nicht-mehr-Sein betrifft, >überlässt< sie ihr Dichter Gott, begleitet sie selbst nur gedanklich und gefühlvoll, ebenso wie teilweise in Anbetracht ihrer Schönheit … Andererseits: Kannst du dir jetzt noch immer vorstellen, dass die Sonette einer wahrhaftigen Laura Noves oder wem auch sonst gewidmet sind?, fragte ich Juana. Wird man einer verehrten Frau eine sie betreffende kunstvolle Todesahnung schreiben können, wenn es sich nicht tatsächlich nur um eine fiktive Person handelt? Nach diesem in meiner Reclam-Auswahlausgabe stehenden zwölften Sonett [vierundzwanzigstes Sonett des „Canzoniere“] folgen nämlich noch viele andere Verse, die Laura als quicklebendige Schönheit preisen…) Die Todesahnung betrifft auch Petrarca selbst im folgenden Sonett Quanto più m´avvicinoal giorno extremo. Hier begreift Petrarca schon, dass es kein Glück mit Laura geben kann, nicht weil sie vielleicht mit Herrn de Sade verheiratet war oder welche äußeren Gründe es sonst gegeben haben mochte, sondern weil die Liebe ein letztlich unerreichbares Ideal bedeutet. Vielleicht ist es die Erschöpfung im dauerndenLachen ( … ), Weinen, Fürchten, Hoffenum Laura, was ihm diese – keineswegs nur resignierende – Einsicht bereitet. Die sich blindlings ( … ) verschwendet habende Seele erkennt verklärt, dass sie um Nichts geseufzt und um Nichts gebangt hat – aber dieses >Nichts< war notwendig, um aus dunklem Wahn ans Licht zu gelangen. Was sich nicht erfüllen konnte, hatte dennoch Sinn – weil es über sich hinauswies. Kann der Mensch mehr erreichen, als an das zu rühren, wo er nichts mehr vermag?, fragte ich Juana … Eines der Sinnbilder für diese >fernen Bereiche< ist die Natur. Zu Petrarcas Zeiten, als die Flüsse fast Trinkwasserqualität und die Bäume dichte Kronen besaßen, die noch viele Jahrhunderte lang nichts wussten von Laub und Nadel ausdünnendem sauren Regen und Luftverschmutzung, nahm man die Natur lediglich als >Vorratskammer< wahr. Dass sie eine ästhetische Qualität besitzen könnte, erkannte als einer der ersten – Petrarca. Wenn ihm Laura (oder nur der Gedanke an sie) zusetzt, ist die unwirtlichste Flur gerade recht, um sich vor lästigen und klugen Blicken verbergen zu können, vor allem jedoch ein Pendant zu finden für die eigene Seelenlage. (So macht es, wenn ich mich recht erinnere, auch Werther, als er in regnerischer Nacht einen Berg besteigt und sich, ohne es zu achten, an dornigem Gestrüpp blutig reißt, sagte ich zu Juana.) Die Natur >versteht< in doppelter Weise: als Gleichgesinnte, deren zeitweilige Unwirtlichkeit als verwandtschaftlich angesichts des eigenen inneren Chaos empfunden wird, und als Ansprechpartnerin für die Not, die flammend mich geschlagen. Die Natur hört zu und gibt vielleicht auch Antwort von ihrer erhabenen Unendlichkeit. (Spekuliere ich jetzt nicht?, fragte ich Juana. Was steht in Solo e pensoso i più deserti campi? – Den Bergen aber, Wälder, Wiesen, Flüssen, / Des Meeres Küsten teilen kühn sich mit / Die sich sonst verstecken müssen. [Nämlich Blicke, Tränen, Seufzer.]Auch sonst ist von einer >Antwort< der Natur keine Rede; halte ich mich also vorläufig an die Natur als >Ansprechpartnerin<!, sagte ich zu Juana.)Wie schön für Petrarca, wenn ihm dies zu Gebote stand: hinaus zu gehen und seine Not den hohen Bergen, weiten Wäldern und Himmeln mitzuteilen! Habe ich nicht selbst genügend Not angesammelt, um einen Befreiungsversuch nach Petrarcas Vorbild zu unternehmen?, fragte ich Juana.
(wird fortgesetzt)