Ein Zauber leiht mir Schwingen, Fortsetzung


Ein Zauber leiht mir Schwingen

Anmerkungen zu Petrarca, zweiter Teil

 

Wundersame Gewalten ergreifen den Dichter, wenn er an Laura denkt und ihren Namen ruft (Quand´io movo i sospiri a chiamar voi); wohl ohne Hoffnung, wirk­lich gehört zu werden, sondern nur so, dass die entfernte Geliebte sich angerührt fühlen möge. Mit ihr ist die überwältigende Erfahrung in sein Leben getreten, dass es mit dieser Welt anscheinend nicht nur seine Richtigkeit hat, sondern dass sie erfüllt ist von einem Zauber, den er kaum noch für möglich gehalten hätte oder den er sich vielleicht tatsäch­lich nicht ausmalen konnte. Sein Begehren weicht einem heiligen Ahnen, es verliert sich in Ehrfurcht – Petrarca wird zum Teilhaber des Göttlichen, auf das ihn die Bekanntschaft mit Laura verweist. Das Göttliche – plötzlich mehr als ein bloßer Gedanke! … Dass Laura nur >Verweisungscharakter< hat, möchte ich gleich wieder bestreiten, sagte ich zu Ju­ana. Sie stellt nämlich selbst etwas dar – etwas so Großes, dass es nur eines Gottes Leier angemessen besingen kann. Heißt das nicht: Der Schöpfer bewundert sein Ge­schöpf?, fragte ich Juana. (Ist das möglich, dass Gott bewundert, was er geschaffen hat, nicht aus >Selbstgefälligkeit<, sondern ehrlichem Erstaunen?) Wie ich gerade den Blick von der Geliebten auf den Liebenden gerichtet habe, so frage ich auch jetzt: Ist Petrarca nicht ebenso wie Laura ein >Medium<? (Die Unterscheidung zwischen dem Autor und dem lyrischen Ich der Sonette – von manchem Literaturkundigen vielleicht schon mit Argwohn vermisst – vernachlässige ich jetzt, sagte ich zu Juana, vielleicht komme ich darauf später zurück.) Petrarca begreift, dass er nichts zu Lauras Feier vermag und sieht sich veranlasst, ihren Lobpreis einem Gott zu überlassen. Das stellt eine Höhe des Emp­findens dar, auf der es der menschlichen Liebe wohl bald schwindlig wird, sagte ich zu Juana; der Absturz wird nicht lange auf sich warten lassen … „Am 6. April 1327 sieht er in der Kirche Santa Chiara in Avignon die Frau, die fortan seine Seele erfüllt“, berichtet die Reclam-Auswahlausgabe. Damals war Petrarca 23 Jahre alt. 1348 verstarb Laura (an der Pest). Zwei Jahre später macht sich ihr Dichter an die Sichtung und Überarbeitung der Sonette. Die Liebe zu Laura hat ihn versklavt, gebrochen, ohne Gegenwehr gemacht – aber doch nur zu einem Teil, bei dem er nicht stehen geblieben ist. Er hat die Erfahrun­gen dieser lebenslangen Liebe reflektiert und zur Kunst erhoben, er hat nicht nur gefühlt, sondern gestaltet. Sich zum Herrn seines Schicksals zu erheben oder es wenigstens zu versuchen, macht sofort wieder respektabel. Es beendet das (Liebes-)Leiden durch die Tat oder mindert es zumindest. Vielleicht kann nur derjenige von wahrer Liebe sprechen, den die Liebe verwandelt und aktiver macht, als er vorher gewesen ist?, fragte ich Juana. Denn wem die Liebe ein solches Glück bereitet, wie sie Petrarca durch die Begegnung mit Laura bereitet hat, kann der bequem bleiben? Wer seine Liebe mit dem Anfang der Welt und dem Gang der Geschichte verbindet und sie schließlich über den Tod der Geliebten noch aufrecht erhält – kann der sich noch demütigen lassen von seinem kleinen Ich? Aber was sind das für Kategorien?, fragte ich Juana. Idealität, Erha­benheit – passt das noch in unsere Zeit oder nur noch in die Zeit Kants und Schillers vor mehr als zweihundert Jahren? Ist das Signum unserer Gegenwart nicht die Gebrochen­heit, die Mehr- oder Vielperspektivität? Hat sie nicht ein großes Misstrauen entwickelt ge­gen alles, das >aufs Ganze< geht und den Weltkreis ausmessen will?

 

(wird fortgesetzt)