Ein Buchgeschenk
Peter Wust: Gestalten und Gedanken. Rückblick auf mein Leben. München 1961, Gollenstein-Verlag, 272 Seiten.
Die Autobiographie des katholischen Existenzphilosophen Peter Wust (1884–1940) erhielt ich in der vergangenen Woche als Geschenk eines befreundeten Kollegen ins Haus geschickt. Sogleich begann ich zu lesen – und empfand mich schon bald wie in einem Entwicklungsroman, chronologisch erzählt. Der Geburtsort, das Geburtshaus, die Eltern und Großeltern, die Verwandten, der weise Tagelöhner des Vaters, der Pfarrer, die Lehrer, der Philosoph Max Scheler … Die Spannung und der besondere Reiz des Buches bestehen darin, dass Peter Wust als Kind armer und, wie man heute sagt, bildungsferner Eltern geboren wurde, aber in sich einen mächtigen Drang nach Büchern und Wissen spürte. Dadurch musste er sich schon bald als Außenseiter in der Familie und dem weiteren sozialen Umfeld fühlen. Um an Bücher zu gelangen, betet das Kind zum Prager Jesulein Tag um Tag – und siehe da, das Gebet und die Kraft der Gedanken führen dazu, dass der Lehrer seinem Schüler ein Buch überreicht, in das er sich stürzen kann. Zu einem späteren Zeitpunkt überkommt den jungen Peter Wust abermals die Sehnsucht nach Büchern, diesmal verfällt er auf die Idee, an Kaiser Wilhelm II. ein Bittgesuch um eine Bücherkiste zu schicken. Die erhoffte Reaktion fällt jedoch ganz anders aus. Der Vater wird amtlicherseits vorgeladen, um ihn wegen der Torheit seines Sohnes ins Gebet zu nehmen. Die Episode offenbart das Unverständnis und den Widerstand der stumpfen Erwachsenenwelt gegenüber einem wissbegierigen Kind.
Wie Tonio Kröger sehnt sich Peter Wust zuweilen auch danach, so zu sein wie alle anderen, zufrieden mit den Möglichkeiten und der vorgezeichneten Lebensbahn in bäuerlicher und handwerklicher Umgebung. Wenn da nicht die unausrottbare Sucht nach den „Hilfsmitteln der Erkenntnis“ wäre, die Sehnsucht nach höherer Ausbildung als nur die Volksschule, die Hoffnung auf das Abitur und die Universität! So unerreichbar dies alles für einen Jungen seiner sozialen Herkunft auch scheint – es gelingt am Ende dennoch! Der Pfarrer in Wahlen hat ein Einsehen und bietet Unterricht in Latein an, damit der Junge die Prüfung für das Gymnasium in Trier leisten und ins dortige Bischöfliche Konvikt eintreten kann. Täglich läuft der junge Peter Wust von seinem kleinen Heimatort Rissenthal im Saarland über Wiesen und durch Wälder nach Wahlen, wo das Pfarrhaus und die Kirche stehen. Er lernt nicht nur Latein, sondern auch Umgangsformen, Essmanieren und überhaupt die Atmosphäre in einem intellektuellen Milieu, wie es das katholische Pfarrhaus darstellt. Der Pfarrer geht davon aus, dass er einem künftigen Amtsbruder auf den ersten Schritten behilflich ist, führt doch der Weg des Jungen nach bestandener Eintrittsprüfung des Gymnasiums ins Trierer Konvikt, das bevorzugt Schüler mit dem Berufswunsch Priester aufnimmt. Auch der junge Peter Wust hegt den Wunsch nach dem geistlichen Stand; seine Eltern können es unter diesen Umständen einsehen, dass ihr Sohn sich mit den Büchern abgeben muss, die ihrem Leben – mit Ausnahme der Bibel – fern sind. Der Vater bringt den Jungen am Prüfungstag nach Trier. Wenn er die Prüfung nicht bestehe, sei es endgültig Schluss mit den Büchern und den Gedanken des Jungen hinsichtlich höherer Ausbildung und Lernen, sagt er seinem Sohn, dann müsse dieser sich in ein Leben als Bauer und Siebmacher (die Profession des Vaters) schicken. Aber der junge Peter Wust besteht die Prüfung, obgleich er es selbst nicht vermutet hatte, wurde er vom Pfarrer doch nur in Latein vorbereitet, nicht in Mathematik, Deutsch oder Geografie; Fächer, in denen sich der Pfarrer wohl nicht mehr sicher genug fühlte. Der Weg ins Konvikt, zu den Büchern und zur Gelehrsamkeit, steht für ihn offen. Nach aller Stumpfheit, Hoffnung und Verzweiflung, empfindet er sein Geschick als wunderbare Fügung.
(Wird fortgesetzt)