Drohungen gegen Landeswahlleiterin Carolin Schreck, Sachsen
11.07.2019
Faktenlage:
Nachdem am Freitag, den 08.07.2019, der Landeswahlausschuss Sachsen unter Leitung von Frau Carolin Schreck nach Prüfung der Sachlage zu dem Ergebnis kam, dass lediglich 18 der 61 eingereichten AfD-Listenplätze nach gültigem Wahlverfahren rechtens sind, hagelte es aus dem Sympatisanten-Umfeld der AfD (Mord-)Drohungen gegen die Ausschussmitglieder. Der Landeswahlausschuss Sachsen tagt nun unter Polizeischutz, Personenschutz für einzelne Ausschussmitglieder wird derzeit erwogen.
Der Ausschuss monierte, dass die 61 AfD-Kandidaten nach verschiedenen Wahlverfahren und auf zwei verschiedenen Parteitagen gewählt worden waren. Dies ist, nach Auffassung des Ausschusses, unzulässig.
Die AfD hatte 61 Kandidatinnen und Kandidaten nominiert, da sie, im Falle, dass diese den Sprung ins sächsische Landesparlament schaffen würden, sodann dort die stärkste Fraktion stellen und somit auch bundesweit die erste Landesregierung — hier: im Freistaat Sachsen — nominieren würden. Faktisch hat die AfD noch immer gute Chancen eines ihrer Wahlziel zu erreichen und aus eigener Kraft bei den sächsischen Landtagswahlen im September Platz drei oder zwei zu belegen.
Kommentar:
Der Umgang und die „Antwort“ ebenjener AfD-Sympatisanten auf eine sachlich begründete Entscheidung des Landeswahlausschusses macht m.E. überdeutlich, dass diese Bürger*innen außerhalb jeder demokratischen Ordnung und deren Grundwerte stehen. Denn „außerhalb“ der demokratischen Grundordnung ist, wenn man „Mord!!“ schreit, nur weil der eigenen Partei ein Form-Fehler bei der Kandidatenwahl unterlaufen ist. Dabei ist ferner unerheblich, ob sich diese Drohungen nun aus dem Feld der „Identitären“, der Rechtsradikalen-Rechtspopulisten (z.B. AfD-„Flügel“), der sog. „Reichsbürger“, der Republikaner oder aber gewaltbereiten Neonazi-Gruppierungen speisen. All diese Sympatisanten wollen einen gänzlich anderen Staat, als eben jenen, der ihnen (nach 1989…) erst die Freiheit garantierte, ihre Weltanschauungen unter dem Schutze verbriefter Rechte wie etwa Rede-, Versammlungs- und Demonstrations-Freiheit öffentlich zu propagieren. Ob nun eine Frauke Petry, ein Björn Höcke, ein Andreas Kalbitz oder aber ein André Poggenburg und etliche Anderen: Sie alle verdanken ihren kometenhaften, politischen Aufstieg den freiheitlichen Grundrechten der Bundesrepublik. Dass sie im politischen Bereich zu den Spitzenfunktionären ihrer jeweiligen Partei werden konnten, verdanken sie einzig und alleine der demokratischen Werte-Ordnung der Bundesrepublik — nicht jedoch dem Unrechtsregime der damaligen DDR, das sie als Kinder doch erleben mussten. Mitunter: Diejenigen, die diesen demokratischen Staat heute unterminieren und in Richtung eines Führer-Staates erneut umbauen wollen, verdanken ihre (Meinungs-)Freiheit eben diesem Staat, den sie blindlings und leidenschaftlich bekämpfen und vernichten wollen. Menschliches Paradoxon: Menschen, die als Kinder eine Diktatur erlebten, setzen sich heute, da sie ca. 40 Jahre alt sind, mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln — bis hin zum politisch motivierten Mord — dafür ein, dass die Demokratie, die ihnen die Freiheit schenkte, erneut in eine Autokratie/Diktatur mit braunem Vorzeichen verwandelt wird…—
Und solange sich der AfD-Vorstand um Alexander Gauland, Jörg Meuthen und Alice Weidel nicht öffentlich und eindeutig von diesem rechtsnationalen Wählerpotential distanziert — ohne Rechtsradikale, Rechtsnationale, etc.pp. lägen ihre Wahlergebnisse im mittleren einstelligen Prozentbereich etwa gleichauf mit FDP und „Die Linke“, anstatt im mittleren bis hohen zweistelligen Bereich — tragen sie als der „politische Arm“ dieser Bewegungen Mitverantwortung an all jenen (Gewalt-)Taten, die durch jene rechten Sympatisanten-Gruppierungen begangen werden. Wer wie einstmals Gauland zur „Jagd auf die Regierung“ aufruft (vgl. die verschiedenen Gauland-Aussagen vom 24.09.2017) und sich im Nachhinein nicht klar genug von dieser gewaltbereiten Geistes-Haltung distanziert, trägt eindeutig die Mitschuld wie auch die Mitverantwortung an eskalierenden, gewalttätigen Situationen wie etwa dem Mordfall Walter Lübcke. Die AfD als der politische Arm der rechtsnationalen Gruppierungen ist „Pförtner“/Gatekeeper, „Steigbügelhalter“ und politischer Brandstifter in einem. Denn würde sich der AfD-Vorstand von Neonazis wie etwa Andreas Kalbitz, Rechtsnationalen um Björn Höcke, den div. Pegida-Gruppierungen, etc.pp. distanzieren, dann würden sie mit Sicherheit das gleiche Schicksal wie der AfD-Gründer Bernd Lucke sowie die ehemalige AfD-Parteisprecherin Frauke Petry erleiden: Absturz in die politische Bedeutungslosigkeit. Da ist es doch viel angenehmer und machtpolitisch zudem auch sicherer, weiterhin mit den „braunen Wölfen zu heulen“ und die Öffentlichkeit mit Euphemismen wie „unangemessener Personenkult“ (etwa um Höcke und Kalbitz), „Randerscheinungen innerhalb der AfD“ (AfD-„Flügel“) u.a.m. zu beschwichtigen. Tatsächlich steht jedoch hinter dem Personenkult ein rechtsnationaler, brauner „Führerkult“, den Höcke und Kalbitz zu reanimieren suchen…—
Doch retour: Wie weit sich jene rechtsradikalen AfD-Sympatisanten bereits von demokratischen Gepflogenheiten entfernt haben (oder diese noch nie akzeptiert hatten…?), zeigt sich u.a. darin, dass sie emotional völlig unangemessen mit Wut und Empörung auf eine selbstverschuldete Situation „antworten“, wo in einer Demokratie eigentlich argumentativer (vernunftgeleiteter) Diskurs stattfinden sollte. Denn zum einen war es ja ihre eigene Partei, die AfD, die den Form-Fehler beging (nicht der Landeswahlausschuss Sachsen „diktierte“ der AfD deren sachlich falsches Vorgehen und verhinderte so deren „Machtergreifung“ am 01.09.2019, sondern die Parteitagsdelegierten entschieden sich für ein falsches Wahlverfahren, wodurch ihnen 43 ihrer Kandidaten*innen verloren gingen…). Zum anderen ist ein „Form-Fehler“ innerhalb der Demokratie durch rationales, sachorientiertes Argumentieren zu verstehen und ggflls. zu korrigieren. Nicht jedoch — auch nicht außerhalb der Politik, etwa im privaten Lebensbereich — durch Androhung von brutaler Gewalt bzw. offenen Mord-Drohungen zu revidieren. Diese erneut wie schon im Mordfall Walter Lübcke gezeigte totale Entgrenzung der privaten, rein persönlichen Emotionen hat im demokratischen, öffentlichen Diskurs keinen Raum. Solche (Geistes-)Haltungen sind nicht nur „in der Sache“ un-angemessen; sie befinden sich prinzipiell „außerhalb“ jeglicher demokratischer Verhaltensweisen. Gleichwohl sind sie ein präziser Indikator dafür, wie weit bereits die Verrohung der Gesellschaft fortgeschritten und wie drastisch der Verfall von Sitte und Anstand im alltäglichen Leben vorangeschritten ist. Innerhalb der Demokratiegelten jedoch der Ausgleich von unterschiedlichen Interessen, die Balance der Macht-Gefüge aus Legislative, Judikative, Exekutive. Außerhalb mag inzwischen bereits das Faustrecht und brutale Gewalt gelten. Doch das ist dann eine andere politische wie auch gesellschaftliche Welt.
Gauland, Meuthen, Weigel et al. müssen sich also m.E. fragen lassen, wie lange sie die rechtsaußen- und ultra-„Flügel“ innerhalb ihrer Partei noch dulden möchten. Diese bringen ihnen zwar stetigen Zuwachs an Wählerstimmen und damit vermehrt Sitze in den Parlamenten (Länder, Bund, EU…). Der Preis für diesen Zuwachs ist jedoch: Die Radikalen spalten irgendwann die Partei oder aber übernehmen sie.
Höcke, Kalbitz, et al. müssen sich der Frage stellen, ob und wie sie die „Machtergreifung“ innerhalb der AfD zukünftig gestalten möchten, oder ob es für sie bereits „an der Zeit“ ist, eine eigene Ultra-Partei zu gründen (vgl. André Poggenburg’s „Aufbruch deutscher Patrioten“; Gründung Jan. 2017). Der AfD droht, bei weiterer Integration rechtsradikaler Gruppierungen — wie einstmals der DKP und der NPD — ein demokratisches Parteiverbots-Verfahren (vgl. Art. 21 Abs. 2 GG und §§ 43 ff. Bundesverfassungsgerichtsgesetz); während Höcke et al. noch auf Zeit spielen und sich bei der AfD anbiedern müssen, wollen sie nicht mit ihrer rechtsradikalen Parteigründung sogleich verboten werden. Noch verläuft der Macht-Kampf innerhalb der AfD. Die Frage bleibt: quo usque tandem…?!