Die unsichtbare Gefahr — Covid-19 (Teil III, Fortsetzung)
- bis 23.04.2020
Ein möglicher Ausweg aus dem derzeitigen Informations-Dilemma:
Kant’s dritte Frage: Was dürfen wir hoffen?
Aus Karl Jaspers „Allgemeiner Psychopathologie“ stammt der Satz: „Man muss in der Flut psychopathologischen Geredes lernen, zu wissen, was man weiß und was man nicht weiß, zu wissen, wie und in welchem Sinn und in welchen Grenzen man etwas weiß, mit welchen Mitteln dieses Wissen erworben und begründet wird. Denn das Wissen ist nicht eine glatte Fläche gleichmäßiger und gleichwertiger Wichtigkeiten, sondern eine gegliederte Ordnung ganz verschiedener Arten der Geltung, der Wichtigkeit, der Wesentlichkeit…“ (ders., APP, Vorwort der 3. Aufl., S. IV, 1923)
Versuchen wir anhand dieses Leitfadens methodischer Wissenschaft eine vorläufige „Schattierung“, eine „Nuancierung“ des hilfreichen Wissens vorzunehmen und damit so etwas wie eine erste Hierarchie an Sach- und Fachwissen darzulegen. Als „Sach-“ bzw. „Fachwissen“ definieren wir jenes Wissen, das auf Basis von Wissenschaft & Forschung (weltweit u. interdisziplinär) erhalten wurde. Fakten-Wissen, das uns hilft, die derzeitige Situation zu verstehen, einzuordnen und zu meistern. Alles andere sei uns — wiederum in einer qualitativen Abstufung (z.B. unbegründete Meinung, Fake News, unüberprüfbare Verschwörungs-Theorie, gezielte Desinformation bzw. Propaganda…) — bloße „Nachricht“ bzw. „Information“ für unsere Meinungen. Um es bildlich zu formulieren: Es gilt die Springflut der auf uns einströmenden Nachrichten und Informationen systematisch in Kanäle zu leiten, um sie besser handhaben zu können.
Fakten-Wissen und wissenschaftliche Erkenntnisse zum Covid-19 Thema: Da sind zunächst die diversen Universitäten bzw. Kliniken mit eigener virulogischer Abteilung zu nennen, die dem nationalen Zentrum — in Deutschland: Robert Koch-Institut, RKI, Berlin —, zuarbeiten. Diese Spezialisten beraten sodann die Bundesregierung bzgl. der Entscheidungs- und Handlungs-Maximen. Eine erste, gegliederte Auswahl könnte folglich lauten:
- Robert Koch-Institut, RKI, Berlin; Präsident: Lothar Wieler
- Institut für Virologie, Berliner Charité, u.a. Prof. Christian Drosten
- Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung GmbH, HZI, Braunschweig
- Institut für Virologie des Universitätsklinikum Bonn, u.a. Prof. Hendrik Streeck
Es ist wichtig, darauf hinzuweisen, dass o.g. Personen lediglich das „Gesicht für die Kamera“ sind, d.h. sie sind lediglich der allseits bekannte „Kopf“ eines Experten-Teams, das 80 und mehr Spezialisten umfassen kann. Deren Wissen wird in sog. „Dashboards“, Bulletins, o.ä. der Bevölkerung zugänglich gemacht. Diesem Wissen dürfen wir vertrauen.
Exkurs: Neben diesen Forschungseinrichtungen gibt es in Deutschland eine weitere Fülle anderer hochkarätiger Universitäten sowie privater Labore, die an Viren forschen, z.B. zum Zwecke der genetischen RNA-/ DNA-Sequenzierung und daraus folgend, zur Erforschung und Entwicklung neuer Arzeneimittel bzw. neuer Impfstoffe. Das sind allein in Deutschland ganze „Forschungs-Cluster“. Deren Aussagen basieren auf Wissenschaft, nicht auf persönlichen Meinungen. All dieses Wissen ist Fakten-Wissen. Gewonnen wird dieses Wissen auf Grundlage methodischer Forschung, die zunächst zu wissenschaftlichen Erkenntnissen führt. Diese Erkenntnisse werden weiter geprüft, „verdichtet“ und letztlich zu Fakten zusammengefasst. Ist dieser Prozess auf einer Teilstrecke abgeschlossen, im Ganzen geht die Forschung ad infinitum weiter, wird ein „Zwischenergebnis“ veröffentlicht. Diese Aussagen sind und bleiben verlässlich, da sie auf Grundlage von überprüfbaren Methoden und klar definierten Kriterien gewonnen wurden. Sollte es dennoch in einzelnen Aspekten zu Fehleinschätzungen oder Irrtümern kommen, so wird die voranschreitende Forschung diese Fehler korrigieren und beheben können. Denn Wissenschaft trägt in der Forschung das eigene Korrektiv in sich. Persönliche Meinungen und Neigungen jedoch nicht. Deshalb können wir, anders als bei bloßen Meinungen aus Tweets, Posts, WhatsApps, etc., diesen wissenschaftlichen Aussagen als Forschungs-„Ergebnisse“ vertrauen. Überprüfen können wir sie jedoch nicht (eine Parallele zu den bloßen Meinungen aus Tweets, etc. …). Forschungs-Ergebnisse und Fakten geben uns vernünftige Orientierungs-Hilfen (z.B. bei der Gefahren-Einschätzung, bzgl. unseren Verhaltensweisen, bei Hygienevorschriften, etc.pp.) und rationalen wie auch emotionalen Halt. Wir können sie als Korrektiv zu unseren bloßen Meinungen und Unsicherheiten nutzen, welche einerseits auf unseren Neigungen basieren und andererseits in einem Rückkopplungs-Prozess als „Nachricht“ erneut auf unser Gefühl abzielen. Ein Beispiel zur Verdeutlichung: Aus epidemiologischer Sicht ist eine Lockerung des Shutdowns / Lockdowns unerwünscht, da dies die Neuinfektionen aus der Linearität (d.h. ein Infizierter steckt, rein statistisch gesehen, nur einen Gesunden mit Covid-19 an) erneut ins Exponential (d.h. ein Infizierter steckt, rein statistisch gesehen, 1,3 oder 2 oder 3 Gesunde an) treibt. Diesen Fakt wissen wir. Ihm entgegen steht nun aber unser Gefühl und unsere Neigung, dass es jetzt, nach 5-6 Wochen Lockdown, doch irgendwie mit dem gewohnten Leben, dem „alten Leben“, wieder weitergehen müsse. Die Folge: Immer häufiger tauchen „Nachrichten“ oder WhatsApps auf unseren SmartPhones auf, die die Abstands-Regel, das Besuchs-Verbot, die Gruppenbildung, u.ä.m. unterlaufen. Im Tenor etwa: „Lass‘ uns am Wochenende endlich mal wieder gemeinsam Grillen, das Wetter ist doch so schön. Und unser Garten ist ja schließlich groß genug.“ Ein verlockendes Argument. Geflissentlich übersieht hierbei unsere Neigung nach „Gemütlichkeit“, dass es nicht um die bloße Fläche eines Gartens oder Raumes beim Gruppenbildungs-Verbot geht, sondern darum, dass man & frau nicht zusammen, dicht bei dicht gedrängt, auf einer Bierzeltgarnitur sitzen oder um Bistrotische stehen sollte. „1,5 – 2m Abstand halten“ ist die Bedingung der Möglichkeit, dass unser Atemaerosol, worin die Covid-19 Viren durch die Luft transportiert werden, NICHT den Mitmenschen erreichen kann und dieser folglich die Viren nicht einatmen kann. Mit Schillers Distichon pointiert formuliert, das seinerzeit gegen Kant’s Pflichten-Ethik gemünzt war, befinden wir uns heute am herakleischen Scheideweg zwischen persönlicher Neigung und allgemein-gültiger Pflicht. Anders gewendet: Welche konkreten Folgen wird unser heutiges Handeln aus Neigung bzw. unser Handeln aus Pflicht hinsichtlich der weiteren Ausbreitung der Corona-Pandemie für die nahe Zukunft haben…—?
Retour: Nun ist die Welt bekanntlich etwas größer als Deutschland. Somit gibt es weltweit andere Forschungs- und Wissenschafts-Cluster im Bereich der Virologie, die ebenfalls zu Covid-19 forschen und nach Lösungen suchen. Eine uns bekannte Stätte ist die Johns-Hopkins-University & Medicine, Baltimore, Maryland. Diese kennen wir als Statistik-Lieferant aus den Tagesnachrichten der „Öffentlich Rechtlichen“ TV-Sender. Aber natürlich ist diese Universität mit ihren Forschungs-Instituten weitaus breiter aufgestellt. Statistiken sind nur ein „Nebenprodukt“ ihrer Arbeit.
Als weltweit agierende Organisation ist die World Health Organization, WHO, zu nennen. Auch deren Zahlen und „News“ sind als verlässlich einzustufen. Denn auch die „Bulletins“ bzw. „News releases“ der WHO basieren auf der Zuarbeit von Forschern und Wissenschaftlern, weltweit. Die statistischen Zahlen mögen zwar „gefiltert“ nicht aber manipuliert sein. Auch mögen sie nicht unseren persönlichen Meinungen entsprechen, aber dennoch basieren sie auf wissenschaftlicher Basis. Wo dies nicht der Fall sein sollte (vgl. Vorwurf der China-Hörigkeit), werden nationale und internationale Behörden andere, die WHO-Position korrigierende Zahlen präsentieren. Unerlässlich ist die WHO als global agierender Organisator während der Corona-Pandemie.
Fassen wir zusammen: Es gibt global agierende, international vernetzte sowie national ausgerichtete Forschungs-Einrichtungen und Organisationen, die uns täglich mit neuem Fakten-Wissen zur Corona-Covid-19 Pandemie versorgen. Diesen Fakten dürfen wir grundsätzlich vertrauen, selbst dann, wenn sie von uns als nicht gänzlich widerspruchsfrei erachtet werden. Dennoch geben sie uns als Nachrichten und Informationen rationalen wie auch emotionalen Halt. Auch ist diese „Datenmenge“ noch überschaubar und damit handhabbar für uns. Wenn wir uns verlässlich informieren wollen, greifen wir auf diese Informationen zu. Wir dürfen also darauf hoffen, um die dritte Kantische Frage im Zusammenhang mit der Pandemie zu beantworten, dass wir sachlich und korrekt informiert werden.
Die Frage nach dem „wem“ wir vertrauen bzw. „was“ wir verlässlich wissen können, mag mit diesem ersten Aufriss des Themas enden. Es sollte lediglich eine Alternative zu Tweets und unsachlichen Quellen aufgezeigt werden. Wer mag, ist frei, sich selbst einen „Mühlstein“ aus sich widersprechenden Tweets, Posts, Hoaxes, Verschwörungs-Theorien und gezielten Desinformationen um den seelischen Hals zu hängen, und im „weiten Meer der unsachlichen Meinungen“ baden zu gehen. Es liegt in seiner Entscheidung. Es bleibt seine Eigenverantwortung. Wer jedoch klug ist, wird sich auf eine kleine Gruppe wissenschaftlicher Informationen und Fakten beschränken, um zwar bzgl. der Corona-Pandemie informiert zu bleiben, ohne jedoch hierdurch zugleich sein seelisches Gleichgewicht zu verlieren. Zu Recht dürfen wir darauf hoffen, dass wissenschaftliche Informationen und Qualitäts-Nachrichten uns sachlich zutreffend informieren und dass wir aus ihnen Vertrauen schöpfen und seelischen Halt gewinnen können.
Diese Virus-Pandemie ist also nicht nur die „Totenglocke“ unserer „Spaß-Gesellschaft“ und unserer „Bespaßungs-Kultur“ (vgl. Teil II), sondern sie birgt in sich auch die radikalste Chance auf tiefgreifende Selbst-Erkenntnis.
In einem abschließenden vierten Teil können wir einen Ausblick auf die „neue Normalität“ wagen. Wie könnte ein Leben während und nach der Covid-19 Pandemie sowie mit dem Virus zukünftig wohl aussehen? Es ist abermals Kant’s 3. Frage: „Was dürfen wir erhoffen?“, nun aber auf unser Leben und unseren Alltag angewendet. Wohin steuern wir in den kommenden Monaten, zwischen Kant’s „Pflichtethik“ und Schillers „Neigungs-Ethos“? Siehe Schillers Spottgedicht.
Schillers Distichon
Gewissensskrupel:
Gerne dien‘ ich den Freunden,/ doch thu‘ ich es leider mit Neigung,/
Und so wurmt es mir oft,/ daß ich nicht tugendhaft bin.
Decisum [Entscheidung]:
Da ist kein andrer Rat,/ du mußt suchen, sie zu verachten,/
Und mit Abscheu alsdann thun, was die Pflicht dir gebeut.“
Friedrich Schiller: Xenien und Votivtafeln. in: Sämtliche Werke, Band 1, München, 31962, S. 299.
Quellen und Hinweise
National:
Pandemie-Karte Deutschland, Bundesländer
Robert Koch-Institut: Covid-19 Dashboard
https://experience.arcgis.com/experience/478220a4c454480e823b17327b2bf1d4
Pandemie-Karte Deutschland, Landkreise; RKI: Covid-19 Dashboard
https://experience.arcgis.com/experience/478220a4c454480e823b17327b2bf1d4/page/page_1/
Corona-Ausbreitung in Hessen
Corona-Ausbreitung in RP / BW
https://www.swr.de/swraktuell/coronavirus-karte-100.html
Forschungszentren u. Institute
Robert Koch-Institut, RKI, Berlin
https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Fallzahlen.html
Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung GmbH, HZI, Braunschweig
https://www.helmholtz-hzi.de/de/wissen/themen/keime-und-krankheiten/coronaviren/
Institut für Virologie am Universitäts Klinikum Bonn, Leiter Prof. Hendrik Streeck
https://www.ukbnewsroom.de/wichtige-informationen-zum-coronavirus/
Institut für Virologie, Berliner Charité, Leiter Prof. Christian Drosten
https://virologie-ccm.charite.de/
NDR-Podcast, Prof. Christian Drosten
https://www.ndr.de/nachrichten/info/podcast4684.html
International:
World Health Organization, WHO — Covid-19 Weltkarte
https://experience.arcgis.com/experience/685d0ace521648f8a5beeeee1b9125cd
World Health Organization, WHO — Covid-19 Weltkarte
https://www.who.int/emergencies/diseases/novel-coronavirus-2019
Johns-Hopkins-University & Medicine, Baltimore, Maryland
Covid-19 Dashboard, Johns-Hopkins-University & Medicine, Baltimore, Maryland
https://gisanddata.maps.arcgis.com/apps/opsdashboard/index.html#/bda7594740fd40299423467b48e9ecf6
Covid-19-wiki, nur eines von vielen
https://de.wikipedia.org/wiki/COVID-19-Pandemie#cite_note-36
Covid-19-wiki für Deutschland
https://de.wikipedia.org/wiki/COVID-19-Pandemie_in_Deutschland