Johannes Chwalek
Die Spur meines Daseins wie eine Narbe in der Zeit zurücklassen
Betrachtungen zu Briefen Peter Wusts, 1
Aus der Enttäuschung heraus, dass nicht er, sondern der Psychologe und Philosoph Martin Honecker (1888—1941) den Lehrstuhl für Philosophie in Freiburg erhalten hatte, sprach sich Peter Wust in einem Brief vom 26. August 1924 an seine Frau Käte (Katharina Wust, geb. Müller) Mut zu: „Mein Leben war nicht verfehlt, das weiß ich jetzt. Mein Ziel wird erreicht werden: ich werde die Spur meines Daseins wie eine Narbe in der Zeit zurücklaßen. Ich weiß es jetzt, und ich bin stolz es zu wißen.“ Das große Wort sollte die Kränkung, die er wegen der Nichtberücksichtigung empfand, mildern oder überdecken. Er fühlte sich aufgewühlt, ja bis in seine Grundfesten erschüttert, was auch die kurz hintereinander folgenden ähnlichen Formulierungen „das weiß ich jetzt“ und „Ich weiß es jetzt“ anzeigen. Die Szene kam ihm vor Augen, als er mit seinem Vater eine vermögende Frau Boch in Mettlach aufgesucht hatte (zu Fuß vom Heimatort Rissenthal aus; ca. 17 Kilometer), um Hilfe zu erbitten „bei meinem geplanten Studium“. Aber Frau Boch empfing Vater und Sohn nicht, sondern beauftragte ihren Portier, die beiden Bittsteller mit einem einzigen Wort abschlägig zu bescheiden: „Nein“.
Peter Wust beschrieb, wie der Rückweg verlief: „Und wir gingen schweigend fort und gingen schweigend über die Höhen von Merzig nach Rissenthal.“ Als der Vater das Schweigen doch einmal unterbrach, musste sich der Sohn nur noch desillusionierter fühlen: „Lieber Junge, bleibe bei unserem Stand. Denn wir sind zu arm, und die Welt ist hart.“ An die Äußerung seines „lieben Vaters“ müsse er „heute abend denken, ganz ernst und ganz still“, fügte Peter Wust im Brief an seine Frau hinzu. Das aber heißt: es ging ihm schon einmal so, dass er sich in höchster Hoffnung betrogen fand, aber es hatte ihn nicht aus der Bahn geworfen und ihn nicht resignieren lassen. Er wusste seit damals, dass solche deprimierenden Erfahrungen überwunden werden können, wenn er nur die Kraft aufbrachte, unbeirrbar an seinem Ziel festzuhalten.
Im letzten Abschnitt des Briefes geht der Verfasser auf den Preis ein, den er für das stolze Wort, die Spur seines Daseins „wie eine Narbe in der Zeit“ zurückzulassen, trotz momentaner Enttäuschung glaubte entrichten zu müssen: „die Qual der Einsamkeit“. Sie resultierte nach seiner Ansicht aus dem Unverständnis der Mitwelt für sein geistiges Schaffen. Erst „in der Nachwelt […] wird man’s erkennen.“ Die Prophezeiung in eigener Sache bekräftigt der Briefschreiber noch mit dem Adverb „freilich“.
Der oft demütig, ergreifend menschlich und zartfühlend wirkende Briefschreiber Peter Wust belegt mit seinen Zeilen an seine Frau vom 26. August 1924, dass er sich auf den Widerstand gegen die stumpfe Welt, die Ungunst der Verhältnisse und die Verletzungen, die dabei entstehen können, versteht. Auch einmal dick aufzutragen, scheut er sich nicht. „Und im stillen betet eine Stimme in mir: Da nobis pacem, Domine, da nobis pacem!“