Die Erschießung des Professors Léonard Constant


Die Erschießung des französischen Gymnasial-Professors Léonard

Constant in Mainz

Eine Episode aus der Separatisten-Zeit

von Johannes Chwalek

 

Beschlagnahmung[1]

Der stellvertretende Mainzer Oberbürgermeister Dr. Ehrhard unterschrieb am 26. Januar 1924 ein Schreiben „an den Herrn Oberdelegierten der HCITR f.d. Provinz Rheinhessen, Mainz“, in dem er Klage führte wegen einer am selben Tag, vormittags, durch französische Kriminalbeamte vorgenommeine Beschlagnahmung des Kassenbestands der städtischen Sparkasse in Höhe von „29 600 Billionen Papiermark“. Die (Inflations-)Summe wurde „gegen Quittung mitgenommen.“[2] Dr. Ehrhard sprach von einem „Missverständnis“, das wohl vorliegen müsse, er verwies auf sein Schreiben „vom 18.XII.23“, in dem er sich erlaubt habe, „eingehend den Tatbestand in tatsächlicher und rechtlicher Beziehung darzulegen“ und zu bitten, „dass die HCITR nochmals die Frage prüfen wolle, ob unter diesen Umständen die Voraussetzungen der Ordonnanz 186 vorliegen. Ich habe angenommen, dass dieser Bitte umso eher nachgegeben werde, als am 19.XII.1923 von dem französischen Kriegsgericht in Mainz ein gewisser Schmitt wegen Tötung des Herrn Professor Constant verurteilt wurde und damit einwandfrei bestätigt wurde, dass der so sehr bedauerliche Vorfall nicht einem Mainzer Bürger(,) sondern einem Manne zur Last fällt, der als Separatist bei der Besetzung des Kreisamtes in das Kreisamt eingedrungen war, sodass also weder die Mainzer Bevölkerung noch die Mainzer Polizei, der verboten worden war, den Angriff der Separatisten auf das Kreisamt mit der Schusswaffe abzuwehren, dieses Verbrechen hätten verhüten können.“

Die juristische Sachlage war damit klar von Dr. Ehrhard umrissen worden – es bestand nur noch die Frage, ob sie mit den Machtverhältnissen im besetzten Mainz vereinbar war. Den geschickten Taktiker verriet der Oberbürgermeister im letzten Abschnitt seines Schreibens, mit dem er eine sachgerechte Äußerung der französischen Seite provozieren wollte:

„Dem Herrn Oberdelegierten wäre ich, um die zuständigen städtischen Körperschaften aufklären zu können, daher dankbar, wenn der Herr Oberdelegierte mir mitteilen wollte, ob tatsächlich hier ein Missverständnis vorliegt oder ob es sich nur um eine vorläufige Massnahme handelt(,) bis über meinen Antrag vom 18.XII.1923 entschieden ist(,) oder ob die HCITR in der Zwischenzeit eine mir bisher noch nicht zugestellte Entscheidung getroffen hat.“

Erst vier Tage später, am 30. Januar 1924, erhielt der Oberbürgermeister eine Antwort von einem gewissen Bastiani, der im Auftrag des Oberdelegierten der Provinz Rheinhessen, Oberstleutnant Spiral, denkbar knapp folgendes mitteilte:

„In Beantwortung Ihres Briefes […] vom 26.I.1924 beehre ich mich Ihnen mitzuteilen, dass es sich bei der Beschlagnahme, die bei der Stadtkasse vorgenommen wurde, nicht um ein Missverständnis handelt, sondern um die Ausführung einer Entscheidung der Hohen Kommission.“

Die Beschlagnahmung war neben der Städtischen Sparkasse (29000 Billionen Papiermark) noch beim Postamt I in Mainz (27000 Billionen) sowie der Finanzkasse Mainz III (19000 Billionen) erfolgt, was im Schreiben wohl als eine Art Beruhigung oder guten Willen verstanden werden sollte:

„Die Stadt hat übrigens von einer begünstigenden Massnahme Vorteil gezogen, denn die Gesamtsumme der Entschädigung ist nicht der Stadtkasse entnommen worden.“

Natürlich versuchte sich nun auch der Oberbürgermeister höheren Beistandes zu versichern. Er schrieb das Hessische Staatsministerium in Darmstadt an, dessen Antwort nicht erhalten ist. Überliefert sind nur noch zwei Dokumente: Vom Auswärtigen Amt in Berlin, das am 12. Februar 1924 versicherte, die „Deutschen Missionen in Paris, London und Brüssel […] angewiesen“ zu haben, „wegen des Vorgehens der Interalliierten Rheinlandkommission gegen die Stadt Mainz aus Anlass der Erschiessung des französischen Professors Constant durch einen Separatisten bei den Regierungen, bei denen sie beglaubigt sind, Verwahrung einzulegen und sie zu ersuchen, ihren Vertreter in der Rheinlandkommission anzuweisen, auf die Aufhebung des Beschlusses der Rheinlandkommission hinzuwirken und die alsbaldige Zurücknahme der gegen die Finanzämter in Mainz ergangenen Beschlagnahme Anordnungen herbeizuführen.“

Die Aktenlage bricht ab mit dem Feststellungsbescheid der Provinzialdirektion Rheinhessen vom 8. April 1924 über 29000 Billionen Mark „an den Herrn Oberbürgermeister der Stadt Mainz“ zu Gunsten einer „Forderung der Städtischen Sparkasse zu Mainz“.

So war die Erschießung Léonard Constants von einer persönlichen Katastrophe zu einer politischen Auseinandersetzung geworden, die mit einem Streit ums Geld endete – auch wenn die Angelegenheit nicht mehr gänzlich rekonstruiert werden kann.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

[1] Im Abschnitt „Beschlagnahmung“ zitiert nach: StA Mainz, NL Schreiber 85, Erlebnisberichte über die Erschießung von Prof. Constant.

[2] Aus der Städtischen Sparkasse Mainz war dem Oberbürgermeister am Vormittag des 26. Januar 1924 berichtet worden, dass ein „Spezial-Kommissär“ in Begleitung zweier Beamten zur Beschlagnahmung „einer Summe Geldes“ erschienen sei. Auf die Frage, „ob hier nicht ein Irrtum vorläge zwischen Stadtkasse und Sparkasse; die uns anvertrauten Gelder seien nicht Eigentum der Stadt, sondern der Sparkassenkunden“, erwiderte der „Kommissär […] dass kein Irrtum vorläge, weil die Stadt Mainz für die Verbindlichkeiten der Sparkasse hafte. Er sei beauftragt, das Geld bei den Kassen zu beschlagnahmen, wo er es antreffe.“

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