Die Erbacher Rose: Teil 4
„Michelstädter reibt sich die Augen, doch die Tränen kann er nicht zurückhalten. Er dreht sich um. Versucht nicht mehr hinzuschauen. Vergebens!
Die Stimmen kommen. Stehen neben mir. Treten Mama. Ich schreie. Sie zerren an ihren Stoßzähnen. Hauen. Tun ihr weh. Holen mich an den Beinen. Ziehen mich hinterher. Es tut weh. Weine. Habe Schmerzen. Steine und Erde vermischen sich mit Blut in meinen Wunden. Kann nicht mehr schreien. Spüre nichts mehr. Will nur noch schlafen. Mama!
Die Jäger schmeißen Mutters Stoßzähne in eine Hütte. Meinen kleinen Kadaver hinter die Gebüsche. Meine kleine Seele klammerte sich an Mutters Zähne und bliebt für immer an ihnen haften.
Michelstädter rieb sich wieder die Augen. “Bist du hier, mein kleiner Freund? Zeig dich!” Er schaute sich um, erblickte die Stoßzähne und erblickte schlagartig das kleine Wesen festgeklammert an ihnen.“
Lottchen schluchzte so laut, dass ihr Bruder aufhören musste zu erzählen, um sie zu beruhigen.
“Lass uns schlafen gehen, Lottchen. Ich sollte dir diese Geschichte nicht erzählt haben. Du bist noch zu klein.”
“Nein! Bitte, bitte erzähle weiter.”
Jakob holte tief Luft.
“Die Geschichte hat nicht nur dich mitgenommen, Lottchen. Michelstädter verbrachte die ganze Nacht starrend auf das kleine Wesen. Als in der Morgendämmerung der Graf verwundert fragte, wann er denn beginnen würde, erzählte Michelstäder ihm eine Geschichte. Aber nicht diese, eine andere. Er fürchtete, der Graf würde ihn sonst für dumm erklären. Er sagte, das Elfenbein sei noch nicht in der Verfassung, verarbeitet zu werden. Es sei zu nass, müsse noch trocknen. So vergingen die Jahre, in denen er das Wesen nachts beobachtete und dem Grafen immer wieder neue Geschichten erzählte, die erklären sollten, warum er mit der Arbeit noch nicht beginnen könne.