Die Debilität des Homo sapiens sapiens
11.12.2019
Eisbären in der Arktis,
Pinguine in der Antarktis
sowie
die Bewohner*innen von Bergtälern
oberhalb von 800 m.ü.NN.
teilen ein und dieselbe Grenz-Situation:
Im Zuge des Klimawandels
taut ihnen weltweit das habitat,
der seit Jahrhunderten vertraute Lebens-Raum,
unter ihren Füßen weg.
Das ist für den Eisbären im nördlichen Polarkreis zwar verdrießlich, denn er braucht das Packeis unter seinen Tatzen, da auf diesen ehemals „unendlich“ erscheinenden Eisflächen die verschiedenen Robbenarten ihre Jungen zur Welt bringen, die der Bär jagd. Ähnlich gelagert verhält es sich bei den Walross-Populationen des Polarkreises, etwa im östlichen Sibirien, in der Tschuktschensee, nahe der Ortschaft Ryrkaipij: Dort ist das Packeis der Schelfgebiete weggeschmolzen, worauf die Walrosse seit Generationen lagerten, und nun drängen sich über hunderttausend dieser Kolosse an einem kleinen, ca. 20 Km langen Strand mit Klippen zusammen. Da die nachfolgenden Tiere von der Seeseite aus an Land drängen und die dortigen auszuweichen versuchen, kommt es immer wieder vor, dass sich Tiere auf eine Anhöhe flüchten, von der es für sie sodann kein Entrinnen gibt. Bei dem Versuch, die ca. 50 m hohe Klippe hinunter zum Meer abzusteigen, stürzen sie in den sicheren Tod (u.a. Netflix hat darüber eine Doku gedreht [„Unser Planet“, 2017], die von Wissenschaftlern kontrovers diskutiert wird). Teilweise ernähren sich Eisbären von diesen Kadavern — andere ziehen die Müllkippen und Häuser der nahen Ortschaft Ryrkaipij vor.
Für die Pinguine, die antarktischen Robben, aber auch für Sturmvögel des fernen Südens, wie etwa den Rußalbatros, ist die Situation prekär, da ihre Eilande bzw. Brutgebiete von Jahr zu Jahr kleiner werden; sie erodieren in die verschiedenen Teile des Südpolarmeeres. Oder aber Stürme, die Orkanstärke erreichen, peitschen die ungeschützten Jungvögel aus ihren Nestkuhlen.
Für die Bergbauern und „Älpler“, die bereits seit Generationen oberhalb von ca. 900 m siedeln, ist die Situation lebensgefährlich geworden, da der Permafrost in den Höhenregionen der Gebirge inzwischen aufgetaut ist und somit der benötigte „Kitt“ im Felsen fehlt. Die Folge: Von Norwegen, Schweden, über die Pyreneen bis zu den europäischen Zentralalpen gibt es immer größere (das Kaliber der Felsblöcke betreffend) und umfangreichere (die m³-Anzahl betreffende) Bergstürze, Murenabgänge sowie Felsschläge. Ähnlich wie bei kalbenden Gletschern dringt das Wasser kontinuierlich tiefer in den Fels ein, löst den Permafrost auf, wäscht diesen sowie den Felsuntergrund nach und nach aus und sprengt eine Felswand letztlich vom massiven Untergrund ab. Bergkämme und Vorsprünge klüften immer weiter und schneller auseinander, es kommt zum Überhang und irgendwann stürzt eine ganze Felswand dann in die Tiefe. Stein- und Schlammlawinen sind die Folge. So war es beim „Kleinen Mann“ im Mannen-Massiv (Norwegen, 2019), so in Bondo und Vals (2017). So wird es demnächst in Brienz stattfinden. Lange schon haben die Alpenländer diese Gefahren erkannt und suchen interdisziplinär mit Wissenschaftlern und Ingenieuren verzweifelt nach Schutzmaßnahmen gegen die drohenden Probleme. Denn eines ist’s, dass Alpengletscher, wie etwa der walliser Aletschgletscher, in 10-20 Jahren abgeschmolzen sein werden — das ist eher ein ästhetisches, romantisches Problem. Ein völlig anderes Problem — nämlich ein existentielles — sind jedoch die damit verbundenen, impliziten Folgen des Gletscher-Schwundes für die gesamte Alpen-Region. Dann nämlich, wenn in dieser uralten Kulturlandschaft (vgl. Jungsteinzeit-„Ötzi“) kein Mensch mehr wohnen noch leben kann, da die sog. „Rutschungen“ und Bergstürze katastrophale Ausmaße angenommen haben werden. Fast sechstausend Jahre lang kam der Mensch auf die alpinen Hochalmen und Bergtäler — nun kommen Gipfel und Bergrücken zu ihm ins Tal.
Cut!: Letztes Wochenende feierten wir im Freundeskreis einen 60. Geburtstag nach. Bei Rotwein, Baguette und „Häppchen“ saßen wir in froher Runde beisammen und ließen alsbald unsere (Jugend-)Abenteuer revü passieren: Da war 1982 die Ostafrika-Tour und der Aufstieg zum damals noch tief vergletscherten Kilimandscharo, die Südsee- und Fiji-Reisen des einen Freundes, der Neuseeland- und Australien-Tripp eines anderen, zuletzt auch die Tour nach Costa Rica, von welcher ein weiterer Freund gerade heimgekehrt war. Von Eiseskälte in über 5.800 m Höhe (Gilman’s Point) und dünner Luft, von wilden, höchst giftigen Tieren, über australische Fliegen, die „aus dem Nichts“ im Australischen Outback urplötzlich auftauchten, bis zu unerträglichen, schwülheißen Temperaturen an der Küste von Costa Rica war thematisch alles vertreten. Dem Einen erging’s wie im Film „Cast away“, dass er mitten in der Südsee, da weit und breit keine Klinik, geschweige denn eine kieferchirurgische Klinik zu finden war, unversehens höllische Zahnschmerzen bekam; ein Anderer berichtete, dass er im „Südsee-Paradies“ plötzlich überwältigendes Heimweh bekam. Andere berichteten von Anderem. Gemeinsam war uns zehn Personen, dass jeder von uns mindestens 5-10 Fernreisen in seinem Leben unternommen hatte. Und das, bei anfänglich absolutem „low budget“, da wir seinerzeit alle noch in der Ausbildung oder Studium waren. Ein beachtliches Resultat! Damals, in den 1980er und 1990er Jahren, waren Abenteuer auf eigene Faust für ziemlich „kleines Geld“ noch zu haben. Heute, da wir alle saturiert sind, werden eher die Risiken und Gefahren denn der finanzielle Aspekt in den Vordergrund unserer Reiseerwägungen gerückt: „Schaffe ich das körperlich und mental… noch…?“, „gibt es bewaffnete Konflikte oder Epidemien in diesem Gebiet…?“, „wie sieht es mit Malaria, Gelbfieber, ect.pp. aus…?“, „wie schnell kann ich im Ernstfall nach Deutschland zurückgeholt werden…?“, u.ä.m. . Nur einmal fragte sich ein Freund, ob er sich die gewünschte Reise auch finanziell leisten könne. Er konnte.
Mir ist wichtig, darauf hinzuweisen, dass alle o.g. Personen studiert haben, also über fundiertes Fach- und Sach-Wissen verfügen, und bis dato sozial und gesellschaftlich engagiert sind. Wir alle tragen Verantwortung in unseren Berufen und übernehmen Verantwortung im gesellschaftlichen und privaten Bereich. Dennoch haben wir, gerade wenn es ums Reisen geht, exakt dort unseren „blinden Fleck“ bzgl. der durch unser Verhalten verursachten Klimafolgen…— Die Eisschmelze der Polregionen, die Waldbrände Australiens und Kanadas, die Dürren Afrikas und sogar die Unwetter des Mittelmeerraumes scheinen sodann so weit weg von uns zu sein, dass sie nichts, aber auch gar nichts mit unseren Reisen und unserem Konsum zu tun haben. Haben sie nicht? Ich kann auch anders fragen: Was ist unsere Motivation, trotz besseren Wissens — wir alle wissen, wie es um das Weltklima steht —, dennoch das Falsche zu tun? Woher nur kommt diese unerklärliche Diskrepanz zwischen unseren Informationen, unserem Wissen und unserem Tun…—?
Kamera Schwenk: Am 10.12.2019 zeigte 3sat abends um 22:25 Uhr zum ersten Mal im free tv Al Gore’s Doku „Immer noch eine unbequeme Wahrheit. Unsere Zeit läuft.“ (2017). Al Gore, Vizepräsident unter Clinten und Verlierer gegen George W. Bush im Rennen um das Präsidentenamt, ist seit über 30 Jahren auf allen Kontinenten unterwegs, um für den Klimaschutz zu werben und auf die Folgen des Klimawandels hinzuweisen. Eine Sisyphus-Arbeit. Das unauflösbar bleibende Paradoxon: Obwohl weltweit die Technologien aus den Laborversuchen in die wirtschaftliche Machbarkeit und Rentabilität überführt wurden (Photovoltaik, Solarenergie, Wind- und Wasserkraft, u.v.a.m.), und obwohl immer mehr Groß- und Kleinprojekte in den unterschiedlichsten Bereichen vorangetrieben und realisiert werden, obwohl einzelne Städte, Regionen, aber auch Länder / Staaten erfreuliche Resultate im Bereich des Klimaschutzes vorweisen können — konkret: die Energiewende vollziehen, weg von fossilen Brennstoffen, hin zu erneuerbaren Energien — nimmt der Klimawandel mit all seinen verheerenden Folgen von Jahr zu Jahr immer stärker und schneller zu. Ein „Einbremsen“, eine Verlangsamung, ist nicht nur nicht nachweisbar, sondern die sog. „Extremereignisse“ (z.B. „Wasserbomben“ und Starkregen, Überflutungen und Schlammlawinen, extreme Dürren und großflächige, verheerende Wald- bzw. Moorbrände, Orkane, Tornados und Windhosen, etc.pp.) nehmen exponential zu und verursachen weltweit Schäden in Milliardenhöhe. Al Gore’s Film zeigt Ursachen, Auswirkungen und benennt die Folgen des Klimawandels: Sei es das schmelzende Inlandeis Grönlands und die überfluteten Straßen von Miami Beach, Florida; sei es der steigende Wasserspiegel der Weltmeere und die Folgen für New York, London, Amsterdam, etc., oder aber, auf der anderen Seite dieser Welt, die überfluteten Straßen von Jakarta, Indonesien, oder Mumbai, Indien; oder wie der steigende Meeresspiegel schon heute den Untergang von Kiribati und anderen Südsee-Atollen besiegelt — ein modernes Atlantis mitten im Südsee-„Paradies“.
Ursachen, Wirkungen und Folgen des Klimawandels sind hinreichend bekannt. Was fehlt, sind die der gestellten Aufgabe angemessenen Handlungs-Muster der Weltbevölkerung. Denn Wissen ohne entsprechendes Handeln ist, als ob es Nicht-Wissen wäre. Anders gesagt: Die heute erkennbaren Folgen des Klimawandels verlangen von jedem Einzelnen selbstverantwortetes, vernünftiges Tun; einen globalen, 7-milliardenfachen „Reiskorn-Effekt“.
Fortsetzung