Die AfD-Schuldfrage


Die AfD-Schuldfrage

05.03.2020 u. 12.03.3030

 

Bundestagsdebatte: „Rechtsextremismus und Hass entschieden bekämpfen – Konsequenzen aus den rechtsterroristischen Morden von Hanau“, Rede von Gottfried Curio (AfD, Obmann Ausschuss für Inneres und Heimat), 05.03.2020

 

Hören wir der Rede von Gottfried Curio von der Glauland-Höcke-AfD und Mitglied des Bundestages genau zu, dann zeigt sich ein altes Verhaltensmuster, kein bloßes Diskussions-Schema, das aus politischen Brandstiftern „Opfer“, aus Hass-Hetzern „Friedensprediger“, aus Verleumdern „zu Unrecht Verleumdete“ und aus Totengräbern der Demokratie erneut „Retter des Vaterlandes“ macht. Kein Demokrat, keine Demokratin erhebt während seiner mit Invektiven gespickten Rede mit Zwischenrufen das Wort. Verbissenes Schweigen der parlamentarischen, demokratischen Mehrheit. Und doch: Gauland-Weidel-Curio, et al. mögen das nun unwahrhaben wollen oder nicht: So, wie Curio, Höcke, Kalbitz, et al. in den Wald der politischen Realität in Deutschland hinrufen, so — und nicht anders — schallt ihnen das eigene Diktat, das eigene Gesetz, unter das sie sich selbst freiwillig (!) gestellt haben, nun wieder entgegen. Meisterlich, wenn auch rhetorisch stümperhaft (wie ihre gesamte unsittliche Wut-Gesinnung und Empörer-Kultur), versuchen sie unentwegt, herrschende Realität gegen eigenes Wunsch-Denken und -Fühlen zu tauschen, versuchen Reales gegen Persönliches zu verdrehen, versuchen vergeblich ihre  Worte und Initiativen „den Anderen“ anzudichten, zuzuschreiben, anzuhängen. All das nur, um keine Eigenverantwortung zu fühlen noch politisch übernehmen zu müssen. Schuld tragen und schuldig sind — per AfD-Definition — alle „Anderen“. Dieses Verdrehungs-Muster aus eigener Schuld bei gleichzeitigem „Opfer“-Erleben gilt ihnen sowohl im politischen Raum der Parlamente als auch auf den diversen fremdenfeindlichen Versammlungen und völkischen Veranstaltungen im „öffentlichen Raum“ — sei es auf Twitter oder ähnlichen Plattformen, wo sie je nach Funktion innerhalb der AfD mehr oder minder viele „Follower*innen“ ausweisen; sei es auf Demonstrationen von und mit Lutz Bachmann, dem wegen Volksverhetzung einschlägig vorbestraften Pegida-Führer; sei es, wie Höcke, bei seinen tw. faschistischen Hetz-Reden in Thüringen, Brandenburg, etc., den Stammlanden der Gauland-Höcke-Kalbitz-AfD, die ein einziges Konglomerat aus Hass-Parolen darstellen. Ihre jeweilige Schuld am eigenen Sagen als eigenverantwortliches Handeln wird, psychologisch gesehen, „abgespalten“, und nach außen auf „die Anderen“ als „Fremde“, als „Feinde“, als „Verräter in den eigenen Reihen“ (sic!), etc.pp. „verschoben“, mithin „projiziert“. Fake-News der „Echokammern“ und „Filterblasen“ werden von der AfD wahlweise dort platziert, und bei Bedarf von dort wieder für den öffentlichen Raum zur Verstärkung von Wut, Hass, Hetze und Spaltung der Gesellschaft nutzbar gemacht. Ein typischer Hass- und Wutbürger*innen Habitus. Sein Nutzen, sein Dienst, sein Ziel in der Umkehrung: Schaffung eines einzigen, epigonenhaften „AfD-Opfer-Kollektives“. Diesen AfD-Gestus auf den Punkt gebracht: „Als Wut- und Hass-Bürger*innen sind wir gemeinsam das ‚Opfer‘ dieser Gesellschaft, dieser Demokratie“. Eine einzige, wie auch einzigartige, AfD-„Opfer-Gemeinschaft“. Das Selbe als Topos eines AfD-Narrativs formuliert: „Wir, die von Demokraten und demokratischen Gegnern unschuldig Verfolgten, wir, die unschuldig der Hetze Bezichtigten, wir, die unschuldig Beschuldigten, wir, die wir unschuldig „am Pranger der Öffentlichen Meinung“ dieser Demokratie Stehenden: Wir  sind innerhalb dieser Demokratie, dieser Gesellschaft, die „wahren Opfer“! “ Sind sie’s? Sind Gauland, Weidel, Höcke, Kalbitz, Curio, Brandner, et al., die Spalter unserer Gesellschaft, tasächlich Opfer oder doch nur AfD-„Opfer“?! Opfer ihrer eigenen AfD-Sage, zur „Saga“ stilisiert; Opfer ihrer  Fama wie auch Infamie. Dieses „Kollektiv der Opfer“ erinnert noch heute daran, dass Alt- wie auch Neonazis, dass Alt- wie auch Neofaschisten, dass schließlich diese ganze Wutbürger*innen-Bewegung der letzten 15-20 Jahre — angefangen bei „Pegida“ bis hin zu den „Identitären“ — sich seit 1945 stets und ausschließlich als „Opfer der Demokratie“ sehen, erleben, fühlen und vor allem: wahrnehmen. Damals. Bis heute. Ein Großteil ihres politischen Kampfes geht ausschließlich um dieses „Ressentiment“: Dass sie uns, die „Anderen“, die demokratische Mehrheit, davon überzeugen wollen, dass sie zurecht einen demokratischen Opfer-Status zugesprochen und diesen in der „Öffentliche Meinung“ auch zugebilligt und anerkannt bekommen. Sie selbst, die Wort-Täter, die Geschichts-Verdreher, die digitalen Lügenverbreiter als: die „ewigen Opfer“. Deshalb fordern sie landauf, landab die demokratische Anerkennung ihres  „Opfer-Status“, bei gleichzeitiger Ablehnung jeglicher Selbstverantwortung für ihre Hass- und Hetz-Parolen. Deshalb fordern sie mandraartig dies ein: Wir  sind das „ewige Opfer“! Von jedem Bürger und jeder Bürgerin (denn diese entscheiden Landtags-Wahlen, demnächst wieder in den AfD-Stammlanden…), von jedem Demokraten und jeder Demokratin, in jedem Landesparlament wie auch heute wieder im Bundestag. Ad infinitum. Opfer-Täter wie anno dazumal. Denn, um ein Bild aus der heutigen Curio Rede zu bedienen: Exakt diese Curio-Rede vor dem Deutschen Bundestag belegt aufs Deutlichste, dass der vermeintliche „Feuerlöscher“ AfD (O-Ton Curio), tatsächlich die Brandfackel am Haus unserer Demokratie ist.

Das AfD-„Opfer“-Narrativ als weitverbreitetes Verhaltens-Muster erinnert Demokraten und Demokratinnen indes zusehends an den „Opfer“-Gestus der Hauptangeklagten während der „Nürnberger Prozesse“ (1945-1946), die allesamt auf „nicht schuldig im Sinne der Anklage“ plädierten. Schon damals kannten Nazi-Täter keine Opfer noch eigene Schuld. Schon damals verdrehte Realitäten. Schon damals Vertauschen von historischen Fakten mit persönlichen Legenden und Lebens-Lügen. Schon damals, 1945-46, Leugnen der eigenen Nazi-Gesinnung und rassistisch-völkischen Überzeugungen und damit ineins, Leugnen der eigenen Schuld, Leugnen der Mitverantwortung, Leugnen jeglicher Mit-Täterschaft. So etwa Eichmann’s Leugnung jeglicher Selbstverantwortung und Mittäterschaft am Holocaust während seines Prozesses in Jerusalem im Dezember 1961. Selbst der „Buchhalter des Todes“ fühlte sich bis zuletzt als „Opfer der Geschichte“, der jüdischen zumal… Auch er in der Selbst-Wahrnehmung wie auch im Selbstverständnis ein klassischer „Opfer“-Täter.

Gauland, der AfD-Ehrenvorsitzende, Curio, der AfD-Wutbürger, Höcke, der AfD-Faschist, Kalbitz, der AfD-Neonazi: Sie alle sehen und fühlen sich prinzipiell als „Opfer“ und damit ineins frei von jeglicher Schuld oder gar Mitverantwortung für den Mord an Walter Lübcke, für das Attentat in Halle, für den rassistisch motivierten Mord von Hanau. Und doch bleiben es in der Realität ihre  Gedanken zur „Umvolkung“, ihre  Hass-Parolen zur „Neuschreibung der deutschen Geschichte“, ihr  Aufruf zum Genozid und letztlich ihr  politisches Statement eines neuen-alten rassistischen Rassenwahns vom arisch-deutschen „Übermenschen“ und dem meist muslimischen, bisweilen auch jüdischen „Untermenschen“, die allesamt als Spiegel-Motive im Pamphlet des Tobias R. auftauchen…— Wie gelangten sie dorthin? Aus welchen Quellen bediente sich denn Herr R.? Nahm er in seinen rassistischen Passagen etwa Bezug auf Versatzstücke von Steinmeier-Ansprachen, von Merkel-Interviews, von Schäuble-Reden, generell von Reden von demokratischen Politiker*innen? Welche „persönliche Fakten“ brachten ihn denn in sein mörderisches Handeln? Welchen politischen „Realitäten“ bzgl. Deutschlands glaubte er? Blindlings. Unhinterfragt. Er, der Hanauer Bürger. Glaubte er der Realität der anderen Hanauer Bürger*innen etwa, die in seinem Kugelhagel starben? Kannte er deren Lebensläufe, die mit dem eigenen faktische Gemeinsamkeiten aufweisen? Geboren in Hanau, Schule und Ausbildung in Hanau, deutsche Staatsbürgerschaft bzw. offizielle Bürger*innen der Stadt Hanau (d.h. keine „Flüchtlinge“, keine „Emigranten“, keine „Ausländer“…), vielmehr Gleiche unter Gleichen. Kannte er diese Fakten, oder glaubte er doch nur den AfD-Fake News u.a. auf Twitter und Co., als vermeintliche „Realitäten“ in bzw. über „Deutschland“…—? Wer mit Hass- und Hetz-Parolen die Emotionen der Wutbürger*innen in Deutschland bis zum Handeln aufstachelt, wer gezielt blinden Fanatismus in die Gesellschaft sät — mittels linker oder aber rechter Hass-Parolen — der muss für sein Sagen und seine Lügen-Propaganda auch die Verantwortung übernehmen. In Parlamenten ebenso, wie im „öffentlichen Raum“.

Herr Curio, der AfD-Wutbürger und MdB, der ewige „Opfer“-Täter, ist eben doch nur ein Epigone, u.z. einer von der schlechtesten Sorte: Ohne Anstand, ohne irgendwelchen Respekt vor den Opfern von Hanau (oder anderen realen Opfern…), die er für seine Schmäh-Rede im Bundestag skrupellos instrumentalisiert. Man sollte ihm, meines Erachtens, die parlamentarische Immunität und das Bundestagsmandat entziehen. Ihm, dem AfD-Rädels-Führer; ihm, dem ewigen „Opfer“-Täter.

 

En passant: Heute, 12.03.2020, wurde der neofaschistische (Höcke) sowie neonazistische (Kalbitz) AfD-„Flügel“, nach Gaulands eigenen Worten, „die Mitte der Partei“ (AfD), „unter Beobachtung“ durch den Bundesverfassungsschutz gestellt. Wer jedoch Neofaschisten und Neonazis als die „Mitte“ seiner Partei wiederholt definiert, zuletzt nach der Ministerpräsidentenwahl in Thüringen, hat nach meinem Dafürhalten „Stimme“ und „Sitz“ in demokratischen Parlamenten selbstverschuldet  verwirkt. Es steht Gauland, Weidel, Höcke, Kalbitz, Brander, Curio, et al. noch immer frei, eine „Außerparlamentarische Opposition“ von Neofaschisten und Neonazis anzuführen. Auch in Deutschland. Aber die demokratischen Geschicke des Landes in ihrem Sinn, einem undemokratischen, maßgeblich mitzubestimmen, das geht nach Kassel, nach Halle, nach Hanau m.E. nicht mehr.

 

 

Phoenix.de; Curio-Rede am 05.03.2020

https://www.youtube.com/watch?v=Q5lEVAR0QuM

 

AfD-„Flügel“ „unter Beobachtung“ durch den Verfassungsschutz

https://www.tagesschau.de/inland/afd-fluegel-verfassungsschutz-101.html

 

weiterführende Informationen durch das BfV

https://www.verfassungsschutz.de/de/oeffentlichkeitsarbeit/presse/pm-20200312-bfv-stuft-afd-teilorganisation-der-fluegel-als-gesichert-rechtsextremistische-bestrebung-ein

 

Björn Höckes „Antwort“ auf die Ankündigung des Verfassungsschutzes

seinen „Flügel“ unter Beobachtung zu stellen

(Treffen in Schnellroda, Sachsen-Anhalt, 06.03.2020)

https://www.n-tv.de/politik/Hoecke-schockiert-mit-Auschwitz-Wortspiel-article21642996.html