Dialogisierte Berichte aus dem Archiv der Gedenkstätte KZ Osthofen, 4


Dialogisierte Berichte aus dem Archiv der Gedenkstätte KZ Osthofen, 4

Johann Beckenbach (1897-1992) über seine Erfahrungen in Nazi-Deutschland, Teil 3

 

Frage: Wie hast du unter diesen Umständen die Existenz deiner Familie gesichert?

Beckenbach: Durch die Fortführung und Ausweitung meines Landwirtschafts- und Weinbaubetriebes. Da ich daneben auch noch im Weinhandel tätig wurde, ergab sich die Notwendigkeit, auch an der Mosel Wein einzukaufen.

Frage: Bei dieser Gelegenheit hast du Mitte Juli 43 den großen Luftangriff auf Köln miterlebt.

Beckenbach: Nicht direkt, aber auf der Rückfahrt von Trier nach Mainz trafen auf dem Bahnhof Koblenz Verwundete und Flüchtlinge aus Köln ein, die über das Inferno der vergangenen Nacht in Köln berichteten. Kinder hatten ihre Eltern und Eltern ihre Kinder und Verwandte verloren. Noch unter dem Eindruck der Schilderungen dieser schauerlichen Bilder bin ich in Mainz zur Heimfahrt in den Zug nach Alzey eingestiegen. Überall, auf dem Bahnhof und im Zug, wurde über diese schreckliche Nacht in Köln gesprochen. In dem Abteil, in dem ich Platz genommen hatte, befand sich auch ein gewisser Schreinermeister Weinz aus Spiesheim, der in Mainz im Heimateinsatz arbeitete. Über die allgemeine Aufregung ging er leichthin hinweg und bagatellisierte diese schweren Feindangriffe mit der Bemerkung, man müsse nur die Nerve behalten, der Führer würde schon Wege finden, dies alles abzustellen.

Frage: Da hast du ihm geantwortet?

Beckenbach: Anfangs hatte ich mich an der Unterhaltung nicht beteiligt, aber nun fuhr ich ihm in die Parade.

Frage: Und er?

Beckenbach: Als guter Parteigenosse hinterbrachte er meine gemachten Äußerungen seinem Kreisleiter Wirth in Wörrstadt. Dieser fabrizierte daraus eine Hochverratsanklage, die mich um ein Haar den Kopf gekostet hätte. Am 31. Juli 1943 bestellte mich Wirth in die Behausung des Nazi-Bürgermeisters Klenk, in dessen Büroräume er mich von der Kreisgendarmerie verhaften und zur SS nach Mainz in die Klarastraße überstellen ließ.

Frage: Was geschah dort mit dir?

Beckenbach: Ungefähr vier Wochen lang befand ich mich in einer Einzelzelle, dann siedelte ich in einen Gemeinschaftsraum über, der ursprünglich für acht Personen bestimmt, aber jetzt mit 14 Häftlingen belegt war.

Frage: Die hygienischen Bedingungen…

Beckenbach: Schon die Einzelzelle war nicht frei von Ungeziefer gewesen, aber im Gemeinschaftsraum hatten wir größte Mühe, uns besonders der Wanzen zu erwehren. Jeden Morgen nach dem Kaffee kam eine eiserne Bettstelle zur Kontrolle dran. Der Tisch in der Mitte wurde beiseite geschoben, zwei Mann fasste die Bettstelle je an einem Ende an, hoben sie etwa einen bis eineinhalb Meter hoch und ließen sie auf den Boden sausen. Nach jedem Aufprall wurden die Wanzen auf dem Boden gesammelt und gezählt. Das wurde so oft wiederholt, so lange noch etwas Lebendes zu Boden kam. Über das Ergebnis wurde mit Namen und Zahl Liste geführt. Mein Bett kam höchstens auf 15 Wanzen. Die beste Leistung eines Bettes, es gehörte einem Hamburger, lag bei 53 solcher Plagegeister.

Frage: Und das Essen… die Behandlung?

Beckenbach: Die Verpflegung und Behandlung waren erträglich. Am 23.8.1943 wurde ich dann in das Amtsgerichtsgefängnis in die Dieter-von-Isenburg-Straße verlegt. Hier bin ich auch Phil. Mann und Gg. Holz aus Gau-Odernheim noch begegnet, bevor sie nach Berlin gebracht, am 12.9.1944 zum Tode verurteilt und am 21.11.1944 in Frankfurt am Main hingerichtet wurden.

Frage: Und dein eigener Prozess?

Beckenbach: Wirth hatte inzwischen erreicht, dass seine Anklageschrift gegen mich dem Volksgerichtshof in Berlin unter Freisler zugeleitet wurde. Erst dem ununterbrochenen und überaus umfangreichen Einsatz unseres Rechtsbeistandes Dr. Georg Hefner, Mainz, ist es schließlich gelungen, unsere Sache von Berlin an den Generalstaatsanwalt am Oberlandesgericht Kassel überweisen zu lassen. Hier fand die Hauptverhandlung am 22. Oktober 1943 statt. Ich wurde ins Gerichtsgebäude gebracht und mit einem Webermeister von der Firma Henschel in eine Zelle verstaut.

Frage: Was haben die Nazis dem Webermeister vorgeworfen?

Beckenbach: Schweren Diebstahl bei Verdunkelung. Während eines Fliegeralarms wollte er, wie er sagte, eine Kiste mit hochwertigen Instrumenten in Sicherheit bringen. Ein NS-Werksspion habe ihn des Diebstahls denunziert. Seine Schwester hatte ihm eine Rasierklinge zugeschmuggelt, mit der er sich die Pulsadern durchschneiden wollte. Ich hatte große Mühe, ihn davon abzubringen.

Frage: Was hast du ihm gesagt?

Beckenbach: Dass wir alle den Prozess gewinnen würden, wenn wir nicht zum Tode verurteilt würden. Bei mir wäre dieses Urteil doch noch wahrscheinlicher, als bei ihm. Nach dem Zusammenbruch 1945 war er mir für mein damaliges Zureden sehr dankbar.

Frage: Kann ich mir vorstellen. – Wie verlief deine Verhandlung?

Beckenbach: Sie dauerte drei Stunden. Staatsanwalt Trautmann zog die Todesstrafe in Erwägung, nachdem der Zeuge Weinz den Tathergang geschildert hatte. Nach der über halbstündigen Gegendarstellung meines Verteidigers Dr. Hefner erging das Urteil: Fünf Jahre Zuchthaus und drei Jahre Ehrverlust. Die Strafe musste ich im Strafgefangenenlager X Dieburg und in dessen Außenlager auf der Ingelheimer Aue bei Mainz unter katastrophalen Bedingungen verbüßen. Im März 1945 gelang mir die Flucht zu meiner Familie nach Framersheim.

 

 

 

 

 

 

 

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