Dialogisierte Berichte aus dem Archiv der Gedenkstätte KZ Osthofen, 3


Dialogisierte Berichte aus dem Archiv der Gedenkstätte KZ Osthofen, 3

Johann Beckenbach (1897-1992) über seine Erfahrungen in Nazi-Deutschland, Teil 2

 

Frage: Das war noch vor der offiziellen Eröffnung des Lagers im Mai 33.

Beckenbach: Wir waren die ersten Insassen und wurden in einem dunklen, schmutzigen Fabrikationsraum dieser stillgelegten alten Papierfabrik untergebracht, in dessen Mitte nur ein Haufen Stroh lag, was ja auch für uns „verwilderte Marxisten“ komfortabel genug war. Das Lager stand unter Aufsicht und Verantwortung des damaligen Landtagsabgeordneten und SS-Sturmbannführers D’Angelo aus Osthofen.

Frage: Ein Lager vom Typ Osthofen war kein Einzelfall. Damals wurden im ganzen Reich in leerstehenden Kasernen, Fabriken, in alten Schlössern und Lagerhallen etwa 50 solcher provisorischen „Besserungsanstalten“ von der SA eingerichtet.

Beckenbach: Richtig, aber nach Berlin gelangten immer heftiger Proteste aus dem ganzen Land. Die normalen Gefängnisse waren aber auch überfüllt. Deshalb erteilte Göring seinem Gestapo-Chef Rudolf Diels den Auftrag, die vielen kleinen Schutzhaftlager aufzuheben und größere Lager zu schaffen. Diels hatte diesen Auftrag bis März 1934 erfüllt. Übrig blieben zunächst Dachau und Oranienburg, die er als Konzentrationslager bezeichnete und von der SS übernommen wurden.

Frage: Daneben entstanden im Oldenburgischen Moor, bei Papenburg und Esterwege, die großen Moorlager mit zuletzt bis zu 40000 Insassen.

Beckenbach: Dazu kamen ab 1937 Buchenwald bei Weimar, Sachsenhausen bei Berlin, Groß-Rosen (Regierungsbezirk Breslau), Flossenbürg bei Weiden.

Frage: In der bayerischen Oberpfalz…

Beckenbach (nickt): Neuengammen bei Hamburg, dazu Ravensbrück in Mecklenburg als Frauen-KZ. Nach der Besetzung Österreichs kam noch Mauthausen bei Linz dazu.

Frage: Wie es in diesen Konzentrationslagern zuging, schildert Eugen Kogon in seinem Buch „Der SS-Staat“; Udo Dietmar in seinem Buch „Häftling X“ oder Wolfgang Langhof in seinem Buch „Die Moorsoldaten“. – Aber kommen wir zurück zu deinem Schicksal in diesen Jahren!

Beckenbach: Ich hatte großes Glück, bei meinem Gang durch die Instanzen des „Dritten Reiches“ ohne Schläge und Prügel davongekommen zu sein. Nach meiner Entlassung am ersten Mai 1933 aus dem KZ Osthofen musste ich neben meinen täglichen Meldungen auf dem Bürgermeisteramt öfters Vernehmungen der SA über mich ergehen lassen, mal auf dem Bürgermeisteramt – auch vor dem Standartenführer Diel, Gau-Odernheim – mal auf der Kreisleitung in Alzey, und im Juni 1934 wurde ich in das Polizeigefängnis nach Worms bestellt. Hier wurde ich im Beisein von Polizeidirektor Dr. Jost von zwei SA-Chargen stundenlang verhört, weil ich mich bei einem Sportfest in Dittelsheim während des Absingens des Horst-Wessel-Liedes nicht vom Sitz und beim Hitlergruß nicht die Hand erhoben hatte.

Frage: Was geschah nach dem Verhör?

Beckenbach: Ich wurde in eine Zelle im Keller eingeschlossen. Nach einiger Zeit kamen zwei SS-Leute in den Raum, wovon ich einen während meines Aufenthaltes in Osthofen kennengelernt hatte. Er sagte, als er mich sah: „Ach, der Beckenbach – nein, das gibt’s nicht!“, und beide zogen wieder ab. Nach einer geraumen Zeit kam dieser SS-Mann wieder, schloss die Zelle auf und sagte: „Nun, Beckenbach, fahren Sie mal ruhig wieder nach Hause.“

Frage: Haben dich die Nazis einfach so gehen lassen?

Beckenbach: Nein, sondern ich wurde aller meiner Funktionen im öffentlichen Leben enthoben. Als Handwerksmeister wurde mir die Befugnis zur Ausbildung von Lehrlingen entzogen, obwohl ich schon im Jahr 1927 die Meisterprüfung abgelegt hatte. Untersagt wurde mir neben der Weiterführung meines Handwerksbetriebes auch meine Tätigkeit als Vorstandsmitglied der Kreishandwerkerschaft und der Wagnerinnung sowie die Wahrnehmung meines Mandates als Mitglied der Hessischen Handwerkskammer.

 

 

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