Der normannische Garten


Auszug aus: Der normannische Garten. Eine Kurzgeschichte

Während sie mich durch die Räume ihres Hauses führte, das zu hüten ich für einen Monat übernommen hatte, brachte Frau Mayer die Sprache auf ihren Nachbarn. „Wundere dich nicht über Felix“, sagte sie. „Er ist ein wenig sonderbar, um nicht zu sagen eigenbrötlerisch. Vor fünf Jahren hat er das Haus nebenan gekauft, worüber wir uns ehrlich gesagt alle etwas wunderten, denn das Anwesen war ziemlich heruntergekommen und stand bereits seit längerem leer, sodass wir glaubten, eher werde es abgerissen als dass sich noch einmal ein Käufer fände. Doch eines Tages kam Felix, renovierte das Haus liebevoll, wie man von außen schon erahnen kann, und legte einen Garten an, über den die Frauen im Dorf hinter vorgehaltener Hand sagen, er käme einer kindlichen Vorstellung vom Paradies gleich.“

Niemand wusste Genaues über Felix, erfuhr ich. Gerüchte umgaben ihn. Man munkelte, er halte sich für eine Reinkarnation von Claude Monet oder so etwas in der Art. Andere behaupteten, er habe seine Familie bei einem Unfall verloren und danach das Bedürfnis verspürt, sich von der Welt abzuwenden, wiederum andere nahmen an, er habe seine Arbeit wegen irgendwelcher Querelen verloren und sich verbittert aufs Land zurückgezogen. Die Gerüchte um Felix hatten das Dorf in verschiedene Lager gespalten: die einen lobten seinen Fleiß, kritisierten aber, dass er keinerlei Anstalten machte, auf die Dorfbewohner zuzugehen, für andere blieb er ein Fremder, mit dem man nichts zu schaffen haben wollte. Und dann gab es da noch jene Gruppe, die ihm gegenüber nichts anderes als Gleichgültigkeit hegte.

Felix lebte allein, er bekam nie Besuch, selten Post, morgens fuhr er zu keiner Arbeit, und abgesehen von einem höflichen „Guten Morgen“ oder „Guten Abend“ und allgemeinen Floskeln über das Wetter offenbarte er nichts von sich. „So etwas macht die Leute im Dorf unruhig“, erklärte mir Frau Mayer und schmunzelte dabei. „Hier will ein jeder wissen, woran er mit dem anderen ist. Kann man´s den Leuten verdenken? Felix ist ein Fremder, ein Mann ohne Herkunft, wenn man´s genau bedenkt.“ …

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