Der ganz normale Wahn-Sinn, Teil II


Der ganz normale Wahn-Sinn, Teil II

Eine wahrheitsgetreue Schmunzelgeschichte

 

15.12.2022

 

— Fortsetzung —

 

Es ist also Samstagmorgen, der 10.12.2022. Noch sind wir im Zeitplan — alles Geschehen erscheint in trügerischer, wenn auch leicht hektischer Ruhe, denn noch liegt „die Büchse der Pandora“ fest verschlossen auf dem Rücksitz meines „Combo’s“. Noch.

Gegen 10:30 Uhr bricht Ellen auf; ich werde, so mein Plan, gegen 11:00 Uhr nachkommen. Denke ich. Es ist ja nur noch ein kleiner Einkauf im hiesigen EDEKA-Markt zu erledigen (Luftlinie ca. 450m…). Und tatsächlich komme ich um Punkt 11:00 Uhr aus dem Markt heraus, habe noch etwas Brot, Butter und Käse für Ellen’s Familie auf dem Hunsrück eingekauft und gehe in Gedanken schon einmal die Fahrstrecke mit ihren Baustellen, den „Blitzern“ (d.s. Geräte zur Geschwindigkeitsüberwachung) sowie anderen Besonderheiten durch. Mentales Training, sozusagen. Beim Einsteigen jedoch fällt mein Blick eher flüchtig auf den linken Vorderreifen, der die Form eines Niederquerschnittsreifens angenommen hat. Da ich mich beim besten Willen nicht daran erinnern kann, wann und dass ich meinen Opel-„Combo“, Baujahr 2007, jemals getunt und/oder tiefergelegt habe, so beschleicht mich das bange Gefühl: „Plattfuß!“ Ausgerechnet jetzt!! Ich fahre zur nächstgelegenen Shell-Tankstelle (Lutlinie ca. 100 m), um Luft in besagten Reifen zu füllen. Ein winziger, handgeschriebener Zettel weist jedoch unmissverständlich darauf hin, dass diese Luftzapfsäule „defekt!“ sei. Nun gut, mit dem „Plattfuß“ komme ich auch noch 2 Km weiter nach Seligenstadt zur „Sattler“-Tankstelle. Und tatsächlich: die Kontrolle ergibt, dass der Pneu nur noch 1,4 bar aufweist; er sollte jedoch, laut Hersteller-Information, mit 2,4 bar gefahren werden. Also einmal „Luft auftanken“, den Reifendruck auf 2,4 bar einregeln und: „Piiieep!“ Der IST-Zustand ist dem Soll-Wert angeglichen. Alles wieder in Ordnung. Bestens!! Denke ich — noch… Retour nach Kleinkrotzenburg. Meinen „Combo“ abgestellt, noch irgendeine Kleinigkeit aus der Wohnung geholt (war’s die Reisetasche, war’s der Kartenführerschein oder etwa das „Plastikgeld“…? Oft sind es ja gerade die übersehenen oder vergessenen Kleinigkeiten, die eine Safari zum Scheitern zwingen…), Wohnungstür zwei Mal verriegelt und: auf „Los“ geht’s los! Ab auf die Piste!! Pünktlichst — schließlich ist Pünktlichkeit die Tugend der „Deutschen Bahn“, oder waren es doch die mittelalterlichen Könige?! Wie dem auch sei — Just in time eile ich meinem Combo entgegen…

Geflissentlich streift mein Blick beim Einsteigen den linken Vorderreifen. Erneut „platt“. „Verdammte Scheiße!“, denke ich bei mir — ohne jedoch sogleich das ganze Haus zusammenzuschreien. Noch wahre ich meine Contenance; noch hält sich mein Frust-Jähzorn in bezwingbaren Grenzen; noch reißt mir der „Geduldsfaden“ nicht. Noch…!

Als ob ich mich in einer Zeitschleife befinden würde. Alles Jammern und Fluchen hilft nichts (…ganz vage erinnere ich mich an Ellen’s zutiefst rational-reale Frage aus dem ersten Teil…). Also wieder zum „Sattler“ gefahren, fast ohne zu murren und zu knurren. Abermals den Reifendruck geprüft: nun 2,0 bar. Erneut auf 2,4 bar eingeregelt und los geht’s — oder doch nicht? Inzwischen hat sich nicht nur meine Stimmung merklich eingetrübt, sondern auch der Himmel über Kleinkrotzenburg hat sich blaugrau verfinstert. Es schneit. So, was tun?! Mit einem „Plattfuß“ 300 Km zu fahren, ist zu gefährlich. Schließlich verliert der Reifen in 20 Minuten fast 0,4 bar und ich fahre — unter normalen Bedingungen — ca. eineinhalb bis zwei Stunden von Kleinkrotzenburg bis nach Schwarzen, Hunsrück. Und auch wenn ich nur noch mit 110 Km/h über die Autobahnen sowie die B 50 „gondele“, mich gemütlich hinter einen LKW eingeklinkt durch die Gegend treiben lasse, so ist heute das Risiko einer Reifenpanne oder eines Unfalls m.E. doch zu groß. Die Hunsrück-Fahrt, ehemals ein „Katzensprung“ von ca. 150 Kilometern (einfache Distanz), entpuppt sich zusehends als persönlicher Horrortrip.

Auf dem Nachhauseweg nach KKB analysiere ich kurz die Situation sowie meine verbleibenden Möglichkeiten. Zwar haben Männer im Laufe der Evolution gerade nicht allzu viel erfunden. Ok., das Feuer vielleicht, auch dass man Werkzeuge nicht nur zufällig finden, sondern sinn- und zielgerichtet auch erfinden und einsetzen kann, gewiss. Dashaben wir mit den Chimpansen und anderen Primaten noch immer gemein. Später dann, als homo erectus, erfand sich der Mensch den „aufrechten Gang“. Dieser erinnert heutzutage schon wieder verdächtig an den Vierfüßler-Gang eben jener Primaten, zumal bei der Subspezies der allgegenwärtigen, willfährigen Karriere-Bücklingen. Quasi regredierende Evolution innerhalb der Spezies „Mann“ bzw. „Mensch“. Wieder etwas später im Laufe der Hominisation erfanden Männer Knochenflöten und die „freien Künste“. Allein, sie erfanden neben der Flöte auch die „Stalinorgel“ und ein Waffenarsenal zum nuklearen Holocaustum. Und es sind Männer, die sich heute in ihrem nuklearen Macht-Gehabe produzieren, und sich dabei nicht entblöden, auf „offener Bühne“ mit „offener Hose“ den Volldeppen zu geben, mehr noch: es zu sein. Und sie merken es nicht einmal…— Da kann die „camera obscura“ noch so sehr suchend-forschend hin und her schweifen: weder zwischen den pelzigen Leden noch zwischen den beiden Watschelohren findet sie irgendetwas Bemerkenswertes! Im Pelzigen keine „Eier“; zwischen den Ohren keinen Funken Geist.

Aber auch das sind Männer: gerne witzeln sie über Frauen, dass diese, trotz „Einparkhilfe“ nicht einmal rückwärts einparken können — allein, sie selbst schaffen es ja oftmals nicht, trotz hyperintelligentem „Assistenz-System“ verkehrskonform geradeaus zu fahren. Dann nämlich, wenn sie als „blondgelockte Bestie“ auf Autobahnen und Gehwegen zu „Rasern“ und „Dränglern“ mutieren und, wie es Nietzsche so treffend zu formulieren wusste, vorwärts, rückwärts, seitwärts taumelnd in ihre eigene Prähistorie zurück-stürzen. Kultur? — Fehlanzeige! Werte? — negativ! Eine testosteron-gesteuerte Affenbande in Boliden und SUVs. Ihr Gehirn sitzt in ihrem „Bleifuß“. Flickflack-Metamorphose an den Anfang aller Mensch-Werdung. Friedrich Nietzsche, nach eigenem Bekunden „der größte Psychologe seines Jahrhunderts“, wusste nur zu genau, dass diese „Bestie“ von Zeit zu Zeit „von der Kette gelassen werden muss“, um sich sodann mordlüsternd durch die Lande zu schlagen. Dabei befriedigt und genießt man vorüber-gehend die eigenen ewig unterdrückten Neigungen, all diese Ressentiments, die in den Tiefen der menschlichen Seele schwären. Kulturelle Traumata. Als Mord-Lust lebt man seine unterdrückten Triebe aus, indem man sich an Schuld-losen schadlos hält (vgl. Nietzsche, Zur Genealogie der Moral, 1887, S.32f.). Männer, ihrem Wesen nach unbezähmbare Raubtiere, die sich lediglich als „dressiertes, zivilisiertes Haustier“ gerieren, sofern es die vorteilhafte Situation von ihnen verlangt. Quasi: Der Mann, ein Werwolf im Schafspelz? Kafka’s Chimpanse Rotpeterbesitzt ganz offensichtlich mehr instinksichere Klugheit und Kultur als jene Männer-„Bestien“ (vgl. Kafka, Bericht für eine Akademie, 1917). Je nun… Männer sind irgendwie: lernresistent. Aber, und jetzt kommt’s: Männer haben mit Aristoteles die Logik und mit Freud die Psychoanalyse erfunden. Also versuche ich logisch zu denken und sachgerecht meine Situation zu analysieren.

Wohlan denn! Zunächst beschränke ich mich auf das Wesentliche, und beginne meine IST-Situation zu analysieren. Ich habe an meinem „Combo“ ganz offensichtlich einen „Plattfuß“ vorne links. Ich könnte diesen Reifen durch den Hinterreifen austauschen. Dann müsste ich jedoch auf der Hinterachse meine abgefahrenen Sommerreifen aufziehen. Das wäre zwar nicht so ganz „comme il faut“ (laut Gesetz dürfen nicht verschiedene Reifenarten auf einem Fahrzeug montiert sein…), aber immerhin ein möglicher Ausweg aus meinem Dilemma. Doch Stopp!! Zunächst sollte ich das Reifenventil am linken Vorderrad checken, ob dieses noch ganz dicht oder eben undicht ist. Ich checke — und siehe da: Das Ventil ist doch tatsächlich undicht! Ok., irgendwo habe ich so einen kleinen Ventilschlüssel, womit ich das gelockerte Ventil erneut festziehen kann. Zwar ist der Mann per se ein instinktgeleiteter Neandertaler geblieben, allein, er hat auch in wenigen Ausnahmen die sachlich-strukturierte Ordnung nach Kategorien und Kriterien erfunden. Jedwed Ding an seinem Ort, so entsteht eine durchgängige, logisch strukturierte, übersichtliche Sach-Ordnung. Wie etwa in der Botanik (vgl. die von Linné erfundene und bis dato gültige „binäre Nomenklatur“ der botanischen, zoologischen, mineralischen Taxonomien), der Chemie (z.B. das Periodensystem), der Medizin (die Internationale Klassifikation der Krankheiten, ICD), etc.pp. . Das Zauberwort lautet: Ordnungs-Schema. Hier, im Kleinen, für Werkzeuge. Ein gezielter Griff in meinen Werkzeugkoffer, den ich stets an Bord habe, und schon halte ich die Klappbox mit dem Ventilschlüssel in der Hand. Lockeres Ventil festdrehen; alle anderen rein vorsorglich ebenfalls überprüfen. Und los geht’s: „Sattler, die Dritte!“ Ein letztes Mal den Ist-Wert von 2,1 bar auf 2,4 bar Soll-Wert korrigieren. Ich konstatiere: „Plattfuß“ behoben! Und ab geht die wilde Luzy!! Schon wähne ich mich als den größten Automechaniker dieses Jahrhunderts…—

Jedoch: Beim Rausfahren aus der Stadt in Richtung Autobahn, es sind seit meinem letzten Kontroll-Stopp ca. 10 Minuten vergangen, komme ich nochmals an einer Tankstelle vorbei. Die letzte vor der Autobahn. Und ich weiß auch nicht, welcher Teufel mich da geritten hat: ich muss nochmals den Luftdruck kontrollieren: 2,2 bar, vorne links. „In welchem Scheiß-Film bin ich da heute nur gelandet“, grummele ich in mich hinein. Es beschleicht mich nun doch „der ganz normale Wahnsinn“, dass ich wie weiland Bill Murray in dem weltbekannten Blockbuster  „Und täglich grüßt das Murmeltier…“  in einer repetierenden Situationsschleife gefangen bin. Und wer zum Teufel hatte nur die Pandora-Büchse von meinem Rücksitz geholt und sie in schelmischer Neugier so frühzeitig geöffnet…—?! Na, wer wohl?! So nah vor meinem angestrebten Ziel, und doch so unerreichbar weit weg. Es wären nur noch ca. 250 m bis zur Autobahn-Auffahrt gewesen.

 

— Fortsetzung folgt —