„… den engen Nationalismus überwinden“ (Konrad Adenauer). Der Weg Deutschlands zum europäischen Friedensprojekt


Schluss-Passus des Vortrags am 16. Mai 2019 im Plenarsaal des Rathauses Kelkheim mit dem Thema:
„… den engen Nationalismus überwinden“ (Konrad Adenauer). Der Weg Deutschlands zum europäischen Friedensprojekt

Zuletzt ein persönliches Wort: Wir haben allen Grund, der Europäischen Union mit Zuversicht zu begegnen. Zweifellos gibt es ernstzunehmende Kritikpunkte, beispielsweise die Tendenz zur Überregulierung oder die vom ehemaligen Richter des Bundesverfassungsgerichts, Dieter Grimm (geboren 1937), beklagte Einstufung der Verträge, auf denen die EU basiere, durch den Europäischen Gerichtshof (EuGH) in den Rang einer Verfassung.  „Infolgedessen“, sagte Grimm in einem Interview, „ist alles, was auf der Verfassungseben geregelt ist, dem demokratischen Prozess entzogen“. (1) Die vier Grundfreiheiten etwa − Warenverkehrsfreiheit, Dienstleistungsfreiheit, Personenverkehrsfreiheit und Kapitalverkehrsfreiheit −  seien also, obgleich sie konkrete politische Bestimmungen darstellen,  zu obersten Prinzipien der Rechtsordnung geworden.  Grimm spricht von „Überkonstitutionalisierung“, der die Mitgliedsländer nicht durch nationale Gesetze entgegenwirken könnten. (2) Die EU-Verträge, stellte der emeritierte Professor für Öffentliches Recht jüngst fest, „sind im Gegensatz zu Verfassungen voll von dem, was in jedem Mitgliedsstaat bloßes Gesetzesrecht wäre“. Und er erläuterte: „Man muss sich das so vorstellen, als ob das gesamte Kartellgesetz und das halbe Handelsgesetz im Grundgesetz geregelt wären.“ Erneut betonte er: „Alle diese Regelungen partizipieren nun aber am Verfassungsrang der Verträge, sind also dem politischen Einfluss entzogen. Das verschiebt die Gewichte von der Politik zu den Gerichten […] Die EU ist überkonstitutionalisiert.“ (3)

Gleichwohl – wir, die wir sowohl die deutsche als auch gemäß den Verträgen von Maastricht und Lissabon die Unionsbürgerschaft besitzen, sollten meines Erachtens die Erfolgsgeschichte der europäischen Union, zu der Deutschland nicht unerheblich beigetragen hat, im Auge behalten. Deutschland als viertgrößte Wirtschaft der Welt und größte Wirtschaftsmacht Europas ist eingebunden in eine ökonomisch starke Gemeinschaft mit ca. 513 Millionen Menschen und einem Gesamtgebiet, das vom Atlantik bis zum Schwarzen Meer reicht. Ein einiges Europa birgt große Chancen, sowohl im globalen Wettbewerb als auch für die Themen, die nur multilateral gelöst werden können, denken wir etwa an länderübergreifende Krisen oder an das Klima. Nationalistische Positionen ermöglichen keine Lösungen. Jedes einzelne Land – auch Deutschland – ist zu klein, um den Problemen gewachsen zu sein. Denken wir an die Worte der letzten Straßburger Rede des französischen StaatspräsidentenFrançois Mitterrand im Januar 1995 vor dem Europäischen Parlament – seine Formulierung ist zugespitzt, im Kern aber zweifellos bedenkenswert: „Nationalismus“, erklärte er, „heißt Krieg“. (4) Wir sollten uns diese Wahrheit vor Augen halten – und nicht vergessen, was die Gemeinschaft der europäischen Länder von Anfang an war und worauf wir unter keinen Umständen verzichten können: ein Friedensprojekt.

QUELLEN:

(1)  Nationalismus regt sich wieder, Dieter Grimm im Gespräch mit Susanne
Gaschke und Jacques Schuster, in: Welt am Sonntag vom 27. Januar 2019,
Nr. 4, Seite 4
(2) siehe: Akademie der Wissenschaften zu Göttingen, Akademie heute
2015.2; ferner: Susanne K. Schmidt, Der Brexit: ein Dilemma auch für die
Europäische Union, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 18. Februar
2019, Nr. 41, Seite 6
(3)  Dieter Grimm im Gespräch mit Thomas Assheuer, in: Die Zeit vom
16. Mai 2019, Nr. 21, Seite 39
(4) Klaus-Peter Schmid, Letzte Mahnung, in: Die Zeit vom 20. Januar 1995,
Nr. 04 (Zeit Online)