Das Hanau-Attentat — Versuch einer Differenzierung, Teil 3
26.02.2020
Mögliche Gefahren — mögliche Chancen
- Differenzierung:
Um nochmals die Problematik von Aggression (z.B. Hass, Hetze, aber auch Vergeltung, Rache, etc.) und Rechtsstaatlichkeit auf den Punkt zu bringen: So sehr es auch verständlich ist, dass nach den rechtsradikalen Terror-Attentaten von Kassel, von Halle, von Hanau, die Empörung in Aggression bis hin zur Vergeltung, zur Rache, zum Hass umschlagen kann, so gefährlich wäre es, diesen Emotionen nachzugeben. Denn einerseits ist genau das die Hoffnung, die Teile der AfD, zumal der faschistische „Flügel“ und andere rechtsradikale Gruppierungen in Deutschland hegen: dass ihr eigener Hass endlich mit Hass aus den Opfer-Gruppen (Muslime, Juden, Migranten, etc.) bzw. aus der „bürgerlichen Mitte“ beantwortet wird (vgl. u.a. AfD-Tweets zum Anschlag in Volkmarsen). Dann würde, quasi über Nacht, in Deutschland ein unkontrollierbares gesellschaftliches Klima der Gewalt bis hin zu bürgerkriegsähnlichen Verhältnissen entstehen, eine Situation, die rechtsextremen Gruppierungen in die Karten spielen würde (vgl. u.a. die Motive der Terror-Vereinigung „Gruppe S.“ von Hamm). Vergeltung, Rache, Hass eröffnen stets eine Spirale von Zerstörung, von Vernichtung, von Elend und Not. Deshalb können Hass, Hetze, Attentate, etc.pp. — das lex talionis (Auge um Auge…) — niemals ein demokratisches Mittel zur Erreichung demokratischer Ziele sein…— Ergo: Wer Hass und Hetze predigt und auslebt, der stellt sich selbst ganz bewusst und gezielt außerhalb der demokratischen Ordnung und bricht mit gesellschaftlich gültigen Regeln. Folglich würde Selbstjustiz andererseits, aus welcher Motivation auch immer, sowohl aus den Opfern des Neonaziterrors als auch aus deren Sympatisanten selbst wieder Täter*innen machen. Täter wie auch Opfer, sofern sie Selbstjustiz in Deutschland üben, werden für ihre Taten vom Staat juristisch belangt. Punkt. Das heißt: Sollte ein Terror-Opfer als Vergeltung für das persönlich erlittene Leid Selbstjustiz üben, so würde auch diese Person als Täter*in von der Polizei strafrechtlich verfolgt werden, sie würde von einer Staatsanwaltschaft gemäß geltendem Gesetz angeklagt und von einem deutschen Gericht „im Namen des Volkes“ rechtsgültig verurteilt werden. Das sog. „Gewaltmonopol des Staates“ liegt in Deutschland einzig und ausschließlich beim Staat. Punkt. Deshalb: Hass, Attentate und Selbstjustiz haben in unserer Demokratie und Gesellschaft keinen Platz — Terror-Täter, Hetzer und Sympatisanten der völkischen, faschistischen Bewegungen, somit auch weite Teile der AfD und ihre faschistische „Mitte“, ebenfalls nicht.
Denn der demokratische Weg verläuft anders. Der demokratische Weg ist, neben der Stimmabgabe bei Wahlen, jener von Malala Yousafzai oder Greta Thunberg. Wie dies? Beide Aktivistinnen, so jung sie auch sein mögen, zeigen und beweisen in der allgemeinen Realität, nicht in der Lügen-Welt von „Echokammern“, dass frau nicht nur eine friedliche, weltweite, basisdemokratische Bewegung in Gang setzen kann, dass diese Bewegung in demokratischen Institutionen wie der UNO, dem „Weltwirtschafts-Forum“, etc.pp. nicht nur Beachtung und Gehör findet, sondern tatsächlich reale, demokratische Veränderungs-Prozesse initiieren kann. Demokratischer Wandel ist machbar! Malalas Macht: „ein Bleistift, ein Heft“; Gretas Macht: ein einziges Plakat. Was also ist deren Erfolgs-Geheimnis? Was machten und machen noch immer beide „Jugendliche“ anders als jene Erwachsenen-Bewegungen, die regelmäßig in Gewalt-Exzessen endeten (etwa jene Gewalt-Eskalation der „schwarzen“ und „roten Blöcke“ beim G20-Treffen in Hamburg, Juli 2017; oder aber die „Gelbwesten-Bewegung“ in Frankreich, November 2018f.)? Wie gelingt es Malala und Greta, dass ihre Bewegung und Demonstrationen nicht nur friedlich beginnen, sondern auch friedlich enden, ohne dass auch nur ein einziges Schaufenster zu Bruch geht, oder ganze Straßenzüge brennen? Und das weltweit. Wie machen die beiden das…?! Was können wir von zwei Jugendlichen für die Redemokratisierung und Resolidarisierung unserer Gesellschaft lernen?! Und Wahlen betreffend: Was können wir von den Hamburger Wähler*innen lernen, die die AfD erfolgreich mit 5,3% (und die FDP als „Erfüllungsgehilfen“ in der thüringer MP-Wahl mit 4,9%…) abgestraft haben? Sind Hanseaten etwa „wachere Demokraten*innen“, als jene in Brandenburg, Thüringen, Sachsen, Sachsen-Anhalt, den AfD-Stammlanden? Wieso können Hanseaten als Wähler*innen sehr präzise zwischen einer „Protest-Partei“ und einer neofaschistischen Partei differenzieren und dementsprechend handeln und wählen…—? Unbequeme Fragen, die erlaubt sein müssen.
Wir müssen keinesfalls dem rechtsradikalen Terror ohnmächtig gegenüberstehen, ängstlich darauf wartend, wann und wo das nächste Attentat geschehen und welche Person oder Personen-Gruppe es dieses Mal treffen wird. Und wir lassen unser öffentliches Leben nicht von Rassisten und Faschisten in „Geiselhaft“ nehmen. Wir sind nicht deren „Opfer-Kollektiv“! Denn wir können auf vielfältige Weise gesellschaftlich aktiv werden, wir können gegen „Hass & Hetze von rechts ebenso wie von links“ etwas tun. Denn wir, die wählende Bevölkerung, haben zum Beispiel per Votum die Macht, wie in Hamburg den Spuk der AfD zukünftig zu beenden sowie die Entmachtung ihres rechtsradikalen „Flügels“ zu realisieren, indem wir unsere Wahlberechtigung wieder ausüben, weil wir sie als Chance begreifen, Politik mitzugestalten und nicht länger als lästige „Bürgerpflicht“ abtun. Wir können mit unserer gültig abgegebenen „Stimme“ den Proporz in jedem Parlament mitbestimmen, indem wir — bei allen Unterschieden im demokratischen Spektrum — demokratische Parteien wählen. Wir, die demokratisch gesinnte Bevölkerung, können uns dazu entscheiden — sei es bei Kommunal-, sei es bei Kreistags- oder Landtagswahlen, sei es bei Bundestags- oder Europa-Wahlen — der AfD und ihren Suborganisationen oder anderen rechtsextremen Parteien keine Stimme mehr zu geben, sondern jene demokratische Parteien pushen, die auf der Grundlage des „Grundgesetzes“ stehen und von dort aus auch handeln. Solche demokratischen Parteien, die, anders als die menschenentwertenden völkischen AfD-Parolen, zum Beispiel § 1 GG: „Die Würde des Menschen ist unantastbar“ in ihrer Politik umsetzen. Entscheiden wir doch endlich wieder selbst, wir, die Bürger*innen der „demokratischen Mitte“, welches „Gesicht“ unsere Gesellschaft, unsere Gemeinschaft tragen soll! Überlassen wir diese Entscheidung doch nicht länger der AfD, ob es die Fratze des Rassismus und Faschismus, die Fratze von Hass, Hetze und Zwietracht sein kann, so wie es in den AfD-Kernlanden inzwischen schon wieder alltägliche Realität geworden ist (auch wenn in Brandenburg, Thüringen, Sachsen, Sachsen-Anhalt der weitaus größere Teil sowohl der Wähler*innen als auch der Bürger*innen nichts mit der AfD und/oder deren faschistischen Suborganisationen zu tun haben; den 20-24% Anteilen der AfD stehen ja entsprechend hohe Anteile der legitimen demokratischen Parteien gegenüber…). Entscheiden wir doch endlich wieder selbst, wir, die Bürger*innen der „demokratischen Mitte“, dass es das Antlitz einer menschenwürdigen, polykulturellen, auf Frieden gesinnten Gemeinschaft sein soll. Welche Formen von aktiv gestalteter Gemeinschaft, von gelebter Solidarität, ließen diese Ziele wieder Realität werden? Wie können wir Twitter und Co. für die Reorganisation unserer gespalteten Gesellschaft nutzen? Wie können wir anstelle unseres Desinteresses Engagement und anstelle unserer Angst Mut entfalten? Wie aus berechtigter Wut über Rassismus und Faschismus in Deutschland Mut zum friedlichen Handeln für Deutschland generieren? Entscheiden wir dies alles durch unser mutiges Verhalten im Alltag, wie auch durch unsere Stimmabgabe bei demokratischen Wahlen. Zum Schutze unserer Gesellschafts-Ordnung, zum Wohle unseres menschenwürdigen Zusammenlebens, wie auch zur Verteidigung unserer Freiheit sollten wir diese Optionen nutzen. Denn das, wenn überhaupt, ist die wahre demokratische „Alternative für Deutschland“.
Der Sache dienende Hinweise
Beratungsnetzwerk gegen Rassismus, Hessen
https://www.beratungsnetzwerk-hessen.de/
Meldeplattform „#Hessen gegen Hetze“
Plattform des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
https://www.demokratie-leben.de/