Thomas Berger
DAS ERLEBNIS
„Weg, nichts wie weg, ich halt‘ das nicht mehr aus!“ Sven war vierzehn Jahre alt, trug eine Brille und las gerne. Eigentlich hatte er die Sommerferien kaum erwarten können. Aber nun, nach drei Wochen, kam ihm alles ein bisschen öde vor. Die beiden Mitschüler, Marc und Felix, mit denen er während der Schulzeit öfter etwas unternahm, waren verreist. Mit Martin, seinem drei Jahre älteren Bruder, einem dunkelhaarigen Typ mit muskulösem Körper, war nichts anzufangen. Der hatte ganz andere Interessen, traf sich mit gleichaltrigen Freunden zum Volleyball-Spielen. Da wollten sie den Jüngeren nicht dabei haben. Und schon gar nicht war Svens Anwesenheit erwünscht, wenn Martin zu seiner Freundin Anna ging.
Nun geschah es, dass Sven gegen Ende der dritten Ferienwoche am Marktplatz seines Wohnorts ein Plakat entdeckte. „Einladung zur Schreibwerkstatt für 9- bis 14-Jährige“ stand dort geschrieben. Die Veranstaltung sollte in der Stadtbücherei stattfinden. „Mensch“, dachte Sven, „an drei Tagen in der vorletzten Schulwoche, das wär genau richtig für mich. Hoffentlich haben die noch einen freien Platz! Dann schreibe ich mir meinen ganzen Frust von der Seele: über Martin, meine Eltern, die immer nur arbeiten und kaum Zeit für mich haben – und überhaupt.“
Eigentlich wäre er gerne älter, aber jetzt war er mit seinem Alter zufrieden. Und er durfte, nachdem er mit der Leiterin der Bücherei gesprochen hatte, tatsächlich teilnehmen. Und als es soweit war, verfasste Sven eine ziemlich lange Story über einen erfundenen Jungen, dem es aber ganz ähnlich wie ihm selbst erging. Die Hauptperson hatte eine jüngere Schwester, mit der er sich nicht verstand, und eine alleinerziehende Mutter, die viel arbeiten musste, um Geld zu verdienen.
Als Sven an der Reihe war, seine Geschichte vorzulesen, klatschten die Jugendlichen, und es ergab sich noch ein interessantes Gespräch in der Gruppe. Auch Frau Sommer, der Leiterin der Stadtbücherei, gefiel die Erzählung. Als das dritte Treffen vorüber war, ging Sven mit einem Jungen, der in der Schreibwerkstatt neben ihm gesessen hatte, noch ein Eis essen. Danach ging er nach Hause. Er pfiff lange vor sich hin.