Beim ersten Mal, da tut’s noch weh


Beim ersten Mal, da tut’s noch weh

Die ideale Voraussetzung, um einen Job als Reiseleiter anzunehmen, ist eine etwa zehnjährige Berufserfahrung als Reiseleiter… Wenn man sich als Gast in die Hände eines Reiseleiters begibt, erwartet man schließlich zu Recht, dass der sich dort, wo die Fahrt hingeht, auskennt wie in seiner eigenen Westentasche, dass er alle Tricks und Fallen kennt und möglichst noch mit dem einen oder anderen Geheimtipp aufwarten kann. (Auch deshalb sollte man als Reiseleiter nicht mit großer Kameraausrüstung herumlaufen – man hat das alles schließlich schon hundertmal gesehen zu haben…)

Aber irgendwann muss man nun einmal anfangen. Die mangelnde Erfahrung muss man dann eben mit schauspielerischem Talent wettmachen, auf alle Fälle ist es hilfreich, wenn man die Gegend, wo es hingeht, privat schon mehrfach bereist hat und außerdem die Landessprache einigermaßen beherrscht. So kann man Kompetenz, wenn schon nicht beweisen, so doch zumindest vortäuschen.

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Meine erste Tour ging gleich für sechs Tage nach Paris. Reingeworfen ins Wasser und nun schwimm oder geh‘ unter! Der Busfahrer wusste Bescheid darüber, dass es sich um meine Jungfernfahrt handelte und war dementsprechend äußerst skeptisch. Und ich habe seiner Skepsis auch gleich noch Futter gegeben. Er stieg, weil er nur eine festgelegte Zeit fahren durfte, erst an einer Raststätte unterwegs zu, bis dahin hatte uns sein Vertreter kutschiert. Und als ich an dieser Raststätte das Signal zur Abfahrt gegeben hatte und der Bus gerade losrollen wollte, klopften von außen noch zwei Gäste an die Tür…

Seitdem zähle ich vor jedem Abfahren immer zweimal durch, einmal von vorn nach hinten und dann noch einmal von hinten nach vorn, ehe ich dem Fahrer melde, dass wir komplett sind. (Okay, eigentlich könnte ich auch die leeren Sitze zählen, das ginge wahrscheinlich meist schneller – aber, nun ja, das wäre wieder zu einfach…)

In der Nacht zuvor hatte es außerdem ein mächtiges Gewitter gegeben, dazu die Aufregung vor der ersten Fahrt, man kann das schon Lampenfieber nennen, und der frühe Startzeitpunkt – kurz, ich hatte ganze drei Stunden geschlafen. Das wurde mir bewusst, als mich plötzlich der Fahrer kurz anstupste – ich war einfach mal weggenickt auf meinem Beifahrersitz. „Du musst mehr erzählen!“ knurrte er mich an.

Ja doch, schon gut – aber wir waren irgendwo mitten in der tiefsten Pfalz! Auf Frankreich hatte ich mich lang und breit vorbereitet, ich wollte den Gästen etwas über die Champagne erzählen, den beschwipsten Engel am Portal der Kathedrale von Reims, über Verdun und und und – aber dass bis dorthin erst einmal knapp 600 Kilometer Deutschland zu überbrücken waren, das hatte ich bei meinen Vorbereitungen nicht so recht auf dem Schirm gehabt.

Die skeptischen Runzeln auf der Stirn des Busfahrers wurden immer tiefer.

Sie glätteten sich erst etwas, als wir über die französische Grenze kamen und ich mich so langsam in meinem Element fühlte. Und erste Anzeichen von Entspannung zeigten sich, als ich dann von unterwegs, als klar wurde, dass wir wegen des Staus bei Kaiserslautern mit einiger Verspätung in Paris ankommen würden, per Handy das Hotel über unser Zuspätkommen informierte und darum bat, das Abendessen um zwei Stunden zu verschieben. Auf Französisch, das machte schon einen guten Eindruck. Und als ich dann beim Weiterfahren auch noch darauf hinwies, dass das Schild „Sauf Service“ an der Raststätte kein Wegweiser zum nächsten Getränkestützpunkt sei, da hatte ich auch zum ersten Mal die Lacher auf meiner Seite.

Und außerdem hatte ich inzwischen bewiesen, dass ich mich im Umgang mit der Bordküche nicht völlig doof anstelle – aber zu der komme ich später noch.

Was soll ich sagen – die Reise lief wunderbar. Das war allerdings weniger mein Verdienst als das des Busfahrers, der sich in Paris erstklassig auskannte. Gut, auch ich war vorher schon des Öfteren in Paris, aber er besaß die entscheidenden Kenntnisse, nämlich: Wenn ich, sagen wir, 9:00 Uhr am Eiffelturm sein muss, wie spät muss ich dann vom Hotel losfahren, immer davon ausgehend, dass wir hier über den normalen Straßenverkehr im Zentrum von Paris reden und wir mit einem 13-Meter-Bus unterwegs waren. Überhaupt, wie lange brauche ich von A nach B und wo kann ich dort mit dem Bus zum Aus- und Einsteigen anhalten? Und er ließ sich auch durch unvorhergesehene Dinge nicht aus der Fassung bringen, zum Beispiel, dass an dem Sonntag zwischendrin die Tour de France ihre letzte Etappe hatte, die nach Paris auf die Champs Elysées führte.

An diesem Tag waren wir ohnehin in Versailles. In ganz Asien kann an diesem Wochenende niemand zuhause gewesen sein, die waren alle in Paris und Verdailles (und die Asiaten haben sicher über die Unmassen deutscher Touristen geschimpft, die ihnen schon auf Grund körperlicher Länge dauernd den Blick verstellten. Kurzer Grundkurs in französischer Existenzphilosophie, Sartre: „Die Hölle, das sind die anderen.“)

In Versailles hatten wir am Nachmittag eine Führung durch die Gärten, und, weil es Sonntag war, liefen die Wasserspiele, untermalt von barocker Musik. Wir hatten allerdings Wasserspiele von unten und oben – es goss wie aus Kübeln. Während wir, begleitet durch zwei Pariser Stadtführerinnen, durch den Irrgarten aus Hecken von einem Wasserspiel zum nächsten eilten, lichtete sich unsere Schar zusehends, einer nach dem anderen kehrte pitschnass zum Bus zurück, wo der Fahrer das übliche Angebot heißer Getränke, also Kaffee, Tee und Cappuccino mit oder ohne Amaretto, um Grog erweitert hatte, was an diesem Tag der Renner war.

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Am Bassin du Miroir stand ich schließlich fast völlig allein, auch von den Asiaten hatte sich niemand bis hierher durch den Regenguss gewagt, aus den Lautsprechern kam der türkische Marsch von Lully und ein Stück von Rameau und die Wasserspiele stiegen in die Luft wie ein Feuerwerk und es war so unfassbar schön, dass ich hätte heulen können – der Regen lief mir über das Gesicht, so dass es sowieso aussah, als ob ich weinte. In diesen vielleicht zehn Minuten war mir der Regen so etwas von egal, ich hatte dieses Schauspiel nahezu ganz für mich allein, und das war schon die Reise wert.

Auf dem Rückweg stand ein Abstecher nach La Défense auf dem Plan – und die Reisegruppe meuterte! Durchgeweicht, wie sie waren, wollten sie nur so schnell wie möglich ins Hotel zurück, ein heißes Bad nehmen und sich dann für das Abendessen hübsch machen. Null Bock auf moderne Architektur. So haben wir es auch gemacht, aber am Abend habe ich mich mit dem Fahrer (der inzwischen zumindest der Meinung war, für das erste Mal mache ich das ganz ordentlich) bei einem Glas Wein lange unterhalten, wie wir La Défense am nächsten Tag noch irgendwie in den Plan bekommen könnten. Hätten wir es ganz wegfallen lassen, dann hätte sich anschließend garantiert jemand beschwert, dass er sich gerade auf La Défense ganz besonders gefreut habe und nun Schadensersatz für den entgangenen Genuss verlange…

Wie gesagt, der Fahrer kannte sich bewundernswert aus, wir haben auch das noch organisiert bekommen. Und er hat auch erst, als er sich an der Raststätte bei Eisenach, wo er zugestiegen war, von den Gästen verabschiedete, verraten, dass dies meine erste Tour als Reiseleiter gewesen ist.

Aber zur Überschrift: Auf dieser Tour habe ich mich intensiv mit der Bordküche befassen dürfen, welche sich am hinteren Einstieg befindet. Und weil Paris nicht gerade ein billiges Pflaster ist, haben die meisten Gäste mittags gern einfach eine Bockwurst oder ein paar Wiener aus der Bordküche gegessen (und als ich nach der Tour zuhause angerufen habe, dass ich jetzt bald da bin, meinte meine Frau: „Ich mach Dir ein schönes Abendessen, ein paar Würstchen!“ „Alles, nur das nicht…“) – im Zubereiten dieser Spezialitäten der Haute Cuisine „Deux saucisses viennoises avec de la moutarde et du pain de mie“ war ich nach einigen Tagen unschlagbar. Nur dass man ab und an Nachschub aus dem Vorratsraum holen muss, das erschwert die Geschichte – der befindet sich direkt unter der Küche. Da muss man also auf Tauchstation gehen, und bei dieser Bewegung ist dann regelmäßig der Türbügel im Weg. Kurz: Ich habe es bislang noch auf jeder Fahrt mindestens einmal geschafft, mit der Kniescheibe gegen diesen vermaledeiten Bügel zu knallen.

Das tut höllisch weh, aber man gewöhnt sich daran. Und bei der zweiten Fahrt kann man schon ein bisschen mehr so tun, als habe man als Reiseleiter alle Erfahrung der Welt…

 

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