Auf dem Weg nach Emmaus — Umkehr wagen
28.03.2016
Zusammen waren sie am frühen Morgen in Jerusalem aufgebrochen. Hinter verschlossenen Türen hatten sie zunächst nach den Ereignissen des Pessach-Festes ihre Zuflucht gesucht, denn sie waren der Meuteund den Häschern des Herodes nur knapp entkommen. Todesangst zerfraß ihre Herzen. Die Juden Jerusalems waren auf diese Sektierer und Ketzer wahrlich nicht sehr gut zu sprechen. Ihren Rabbi hatten sie zwar gefangennehmen und auch durch die römische Besatzungs-Macht kreuzigen lassen können. Aber die übrigen Rädelsführer waren im Gewirr der Gassen und Gässchen Jerusalems unter- und abgetaucht. Es herrschte trügerische Ruhe. Zwar wussten Herodes und der Sanhedrin sie noch am Leben — aber eben im politisch-religiösen Untergrund; im Abseits der Geschichte. Der Umsturz war fürs Erste gebannt. Das Tages-Geschäft aus Kumpanei und Korruption mit den Römern konnte folglich ungestört weitergehen. So schien es jedenfalls…
Aber wie gesagt: Zwei der elf Jünger stahlen sich am frühen Morgen an den Wachen des Essener-Tores vorbei und flohen westwärts in Richtung Emmaus, etwa sechzig Stadien von Jerusalementfernt. Ihre Stimmung war gedrückt: Hatten sie nicht all ihre Hoffnung auf diesen Rabbi gesetzt, dass er der von Israel erwartete Meschiah sei, der das Volk aus der Knechtschaft herausführen und der die alten prophetischen Verheißungen (vgl. Jesaja) erfüllen würde? Und nun dies: Scheitern und Tod am römischen Kreuz! Und dann, im heutigen Morgengrauen: Die drei Frauen, die sich zum Grab davongestohlen hatten, um den Leichnam Jesu erneut zu salben, so wie es der Brauch war, hatten zwar ein „Gesicht“gehabt, hatten sogar Engel zu sich sprechen gehört, aber den Toten selbst fanden sie nicht. War er vielleicht in der Nacht gestohlen worden…? Nichts wie weg hier! Zu gefährlich, zu brisant, zu gespenstisch die ganze Situation. Dann lieber nach Emmaus fliehen und abwarten, bis Gras über diese unheil-volle Sache gewachsen ist.
So gingen sie debattierend und diskutierend ihren Weg. Den Kopf voller Sorgen, das „Herz“ schwer vor lauter Ängsten und Nöten. Den Blick gesenkt, unscharf, unklar. Und plötzlich gesellt sich einer zu ihnen — als ob er vom Himmel gefallen wäre — und fragt sie bald nach diesem, bald nach jenem. „Was sind das für Reden, die ihr da auf dem Wege miteinander führt?“ (Lk. 24,17), fragt dieser geradezu naiv. Also der da muss ja wirklich „von einem anderen Stern“ sein, wenn der so fragen kann. Schließlich wussten alle Pilger rund um Jerusalem von demspectaculum dieser Tage — nur der da nicht! Und der eine Jünger, nennen wir ihn Kleopas, gab dem Fremdling, der so befremdend fragen konnte, detaillierte Auskunft über das grausige Spektakel, das Juden und Römer dem Volke zuteil werden ließen, und damit all ihre, der Jüngerschar, Hoffnungen zu Asche zerstieben ließen. Und, wie bereits gesagt, heute war schon der dritte Tag, dass Er gekreuzigt ward…—
Aber der „vom andern Stern“ scheint’s eher gelassen anzugehen. Anstatt über das Berichtete erstaunt zu sein, schilt er die beiden ob ihres Unverstandes aus und beginnt ihnen das „Gesetz“, „Mose“ und die Propheten aus- und darzulegen. Darüber kann’s schon einmal „Abend“ werden. Aber spannend war das schon, wie der das konnte!
Und schon schien dieser Tages-Weg zu Ende zu sein; Emmaus war erreicht. Jener aber schickte sich an, in die Nacht weiter zu gehen, um im Dunkel erneut zu verschwinden, gerade so, wie er aus dem Nichts heraus erschienen war. Doch die Jünger nötigten ihn, ihn, den Fremdling, er möge doch bei ihnen bleiben und das Gespräch fortführen. So geschah es. Und als der Fremde ihnen das Brot segnete, es brach und austeilte — da, exakt da, in dieser alltäglichen Geste, in diesem gewöhnlichen Augen-Blick — da wurden ihre Augen „geöffnet“, da wurde ihr Blick „wach“, da erkannten ihre „Herzen“ im Fremden das Bekannte, das vertraute Ritual, so, wie es nur ihr Rabbi zu vollziehen wusste. Und da sie Ihn erkannten, entschwand Er ihren Blicken… „Brannte nicht unser Herz in uns, als er auf dem Wege mit uns redete und uns die Schriften aufschloss?“ (Lk. 24,32)
Und im selben Augenblick waren alle Angst und Not verflogen, und sie packten ihr Bündel und eilten zurück nach Jerusalem — mitten durch die Nacht. Umkehr ist möglich — wenn das „Herz“ „Feuer gefangen“ hat. Vor 2.000 Jahren ebenso wie heute.
„Mache Dich auf und werde Licht…“, heißt es in einem Kanon (Bibeltext bezieht sich u.a. auf: Js. 60,1). Der Weg von Jerusalem nach Emmaus gleicht unserer lebenslangen Suche nach Gott — mit all unseren Zweifeln, Irrungen und Wirrungen. Oft ist unser Blick „trübe“, unser Geist „träge“ und unser „Herz“ „matt“. Lasten doch unlösbare Konflikte — Kriege, humanitäre Katastrophen, weltweite Not und Elend —wie ein Joch auf unserem Leben. Wer könnte angesichts dieses real-existierenden Unheils noch allen Ernstes an die „Heiligen Schriften“ oder gar die „Frohe Botschaft“ glauben. Der Weg nach Emmaus endet in der Dunkelheit unseres Tages. Selbst wer zu zweit darauf reist, fühlt sich am Abend einsam und allein…—
Hiergegen gleicht jedoch der Weg von Emmaus nach Jerusalem jener freudigen Erfahrung, dass es in der Immanenz dieser Welt eine spirituelle Wirklichkeit gibt, deren Ursprung in der Transzendenz verankert ist, und deren universelle „Sprache“ Heiliger Geist ist, der Leben spendet und lebendig macht.Manche finden diese Erfahrung in einer christlich-religiösen Gemeinschaft — sei es ein Gemeinschafts-Erlebnis wie im „Kloster auf Zeit“, sei es eine Erfahrung wie in der Communauté von Taizé —, andere beschreiten einen anderen Weg, etwa den zen-buddhistischen, und üben sich im Zen-Do (vgl. Willigis Jäger, Benediktushof, Holzkirchen), wieder andere üben sich im spirituellen Yoga. Es mag unterschiedliche Wege geben; aber es gibt nur einen Geist. Und es ist seine „Haltung“, die — im christlichen Sinne — uns den Weg von Ostern nach Pfingsten weist.