Annäherungen In Etappen durch Lombardia, Emilia-Romagna, Liguria und das Piemonte, 1. Teil


Annäherungen In Etappen durch Lombardia, Emilia-Romagna, Liguria und das Piemonte

© Brigitta Dewald-Koch 2017

1. Juni 2017:

Wir fuhren früh in Mainz los, der Himmel wirkte noch sehr leicht, fast aquarellblau, über Tag wurde das Blau schwerer. Zum ersten Mal erlebten wir die Durchfahrt des Gotthard störungsfrei, aber wie immer gab es in Italien an irgendeiner Stelle Straßensperrungen. Das lombardische Städtchen Varese, unsere Unterkunft in der Via Broggi 7, erreichten wir am späten Nachmittag, zu einer Zeit also, in der die ersten Italiener das Flanieren mit der Familie begannen und die Hitze des Tages durch einen leichten Wind und die Schatten der Häuser erträglicher wurde. Wir stiegen aus dem Wagen, ein betörender Duft von Jasmin lag in der Luft. Man konnte nicht anders, als immer wieder tief ein und aus zu atmen.

Das Gepäck war rasch aufs Zimmer gebracht. Wir wohnten in einem Albergo, einem Gasthaus (Parkplatz inklusive) am Ende der Fußgängerzone. Die ganze Häuserzeile (also unser Albergo, Boutiquen und andere Einkaufsläden) ist Teil einer ehemaligen Klosteranlage, von der allerdings nur noch eine Ahnung erhalten geblieben ist, wie diese Anlage ausgesehen haben mag, als hier Mönche lebten. Das Restaurant ist ein Dokument sportlicher Größen des Orts, die in den Sportarten Radfahren (ein Nationalsport in Italien), Basketball und Skifahren Erfolge erzielt haben, und einiger Stars, die dagewesen sind.

Varese hat ein lebendiges Zentrum, nicht so mondän wie der Nachbarort Como, eher in allem gemütlicher, mit einladenden Plätzen und Caffés, wo man stundenlang sitzen und das Treiben um sich herum beobachten kann. Sehenswert sind u. a. der Dom und der Palazzo Estense in Varese, letzterem soll Stendhal den Namen „Versailles di Milano“ verliehen haben. Der Palazzo Estense in der Via Sacco wurde zwischen 1766 und 1771 auf Geheiß des Herzogs von Modena Francesco III d’Este erbaut, nachdem er die Herrschaft

über Varese von Maria Theresia übernommen hatte. Die Restaurierung des Gebäudes und des Gartens basieren auf den Entwürfen des Architekten Giuseppe Bianchi, der sich seinerseits von der kaiserlichen Residenz Schönbrunn in Wien inspirieren ließ. Er schuf einen der interessantesten Gärten der Lombardei im Stil des 18. Jahrhunderts. Vom höchsten Punkt des Hügels aus eröffnet sich das Panorama über die Stadt Varese bis hin zum Vareser See. Heute befindet sich in diesem Palazzo das Rathaus. Im Eingangsbereich ist eine Gedenktafel angebracht, die an i Giudici Giovanni Falcone und Paolo Borsellino, zwei Kämpfer gegen die Maffia, erinnert.

2. Juni:

Mailand. Wir haben unser Auto in Varese (auf dem kostenlosen Parkplatz des Albergo) stehenlassen und sind mit dem Zug in die Stadt gefahren. In Italien ist es angenehm, mit dem Zug zu fahren, aber das Zugfahren hat auch so seine Tücken. Nicht immer sind die Schalter besetzt, dann hat man entweder die Möglichkeit, ein Ticket an einem der in den Bahnhofshallen ausgestellten Automaten zu ziehen (aber nicht jeder Automat nimmt Geld an, die meisten funktionieren bargeldlos), oder aber es gibt eine Bar im Bahnhof und diese verkauft Tickets. Außerdem ist es wichtig zu wissen, dass jedes Ticket vor Betreten des Zuges entwertet sein muss. Ähnlich wie bei S- und U-Bahnen stehen in den Bahnhofshallen oder vor den Gleisen die entsprechenden Automaten.

Kürzlich habe ich einen interessanten Bericht über die Naviglii, die künstlichen Wasserstraßen Mailands, die sich aus den Flüssen des Hinterlands speisen, gelesen. Also haben wir zuerst das Navigli-Viertel besucht, in dem früher Arbeiter und Handwerker lebten und das heute zu einem Szeneviertel geworden ist, in dem sich – las ich – gerne die Studierenden Mailands und die Künstler aufhalten. Man findet hier originelle Geschäfte und Kneipen, Künstlerateliers, Trödelmärkte und im Sommer Konzerte; wir beobachteten zudem eine etwas außergewöhnliche Hochzeit – das Brautpaar war nicht mehr ganz jung und die Gäste schauten irgendwie zwischen finster und

gelangweilt drein – mit Feuerwerk vor der Kirche und rotem Herzlametta-Regen. In diesem Viertel ging es alles in allem recht beschaulich zu, ganz anders dagegen im Zentrum, wo die übliche italienische Hektik angesagt war. Vor dem Mailänder Dom standen die Menschen in langen Reihen in der brütenden Hitze und warteten auf Einlass. Und auch hier kann man es beobachten: die Welt hat sich verändert. Das unbeschwerte, naive Reisen war gestern. Heute trifft man an besonders herausragenden Plätzen Militär und Polizei, das Gewehr griffbereit. Die Konflikte in der Welt sind greifbar nahe gerückt.

Ich erinnerte mich an jenes Jahr, an dem wir morgens um sechs Uhr mit dem Zug in Mailand ankamen und zum Dom (damals noch ganz schwarz) durch nahezu menschenleere Straßen gingen, im Dom selbst eine Frühmesse mit einer Handvoll alten Leuten, wir dazwischen, wir hatten nur einen Wunsch, ein wenig zu ruhen, weil uns das im Zug nicht vergönnt gewesen war. Wir kamen mit dem Regionalzug von der Insel Elba und hatten einen schnarchenden Soldaten im Abteil. Damals war der Platz vor dem Dom still und menschenleer, später, als wir den Dom wieder verließen, um in der erstbesten Eckkneipe einen Caffé zu trinken und ein Cornetto zu essen, kamen nach und nach die Menschen und mit ihnen die Tauben.

Auf unserer heutigen Reise haben mich in Mailand weder die Mode noch die kleinen Konzerte am Wegesrand sonderlich beeindruckt, nicht einmal die vom Architekten Giuseppe Mengoni 1864 entworfene Galleria Vittorio Emanuele II, die üppig mit Stuck, Fresken und Marmor dekoriert ist und wo man, zweifelsfrei schöne Dinge und Menschen bewundern und einen teuren Caffé oder Wein genießen kann (die Callerie besteht aus zwei sich kreuzenden Armen, die von einem mächtigen Glasdach überspannt werden), sondern die Scala, die ich auf unserer heutigen Reise zum ersten Mal von innen sah. Als ich eine der Logen betrat, fühlte ich, dass ich einen besonderen Ort betrat, einen Ort, der höchsten Kunstgenuss verspricht, aber nur für diejenigen, die sich die teuren Eintrittspreise leisten können. Im Foyer die Büsten derjenigen, die diesem Opernhaus zu Glanz verholfen haben, sei es als Sängerin, Sänger oder Dirigent etc. Einer der ganz großen und ebenso gefürchteten Dirigenten

war Arturo Toscanini (geboren 1867 in Parma, gestorben 1957 in New York. Er wanderte in die USA aus, weil er weil ihn der italienische Faschismus und der deutsche Nationalsozialismus entschieden abstießen. Sein Leichnam wurde allerdings nach Italien überführt und auf dem Zentralfriedhof in Mailand beigesetzt.). Im obersten Stockwerk der Scala ist zu seinen Ehren ein Museum eingerichtet. Man bekommt einen guten Eindruck von seinem Leben, seinem Schaffen, seiner Genialität und seinem cholerischen Wesen, das vielleicht unvermeidlich war, um zu erreichen, was er erreichte. Ich höre die Callas, sehe Fotos von ihr; sie muss eine ebenso beeindruckende wie auch einsame Frau gewesen sein.

3. Juni Weiter geht die Fahrt nach Parma (in der Region Emilia-Romagna gelegen), wo uns an diesem Tag eine Stadt der Musik und des Theaters erwartet. Vor einem Jahr hat man hier das Festival der regionalen Gastronomie „erfunden“, und es stieß auf einen derart großen Zuspruch, dass man es in diesem Jahr wiederholte (und vermutlich auch in den folgenden Jahren wiederholen wird). Es ist so heiß, dass jeder Schritt zur Herausforderung wird. Wir haben ein komfortables Hotel am Rande der Altstadt (in einem historischen Gebäude), ruhen uns erst einmal ein wenig aus.

Parma am Abend ist Lebensfreude pur. Wir lassen uns mitreißen. Überall in der Stadt gibt es regionale Spezialitäten, Musik (Verdi und Toscanini sind allzeit präsent – selbst im Parkhaus lief Va‘, pensiero, sull’ali dorate.… aus Nabucco vom Band -, aber es gab junge Musikgruppen, die zeitgenössische Musik in Überlautstärke und begleitet von unglaublichen Lichteffekten darboten), Theater und natürlich die Übertragung des Fußballspiels Juventus Turin gegen Real Madrid, das Juventus leider verloren hat.

Was mich an diesem Abend wundert, man sieht fast nur jüngere Menschen in der Stadt.

Wer Parma besucht, kommt am Parmaschinken nicht vorbei, wir aßen ihn bei den Sorelle Picchi (ein Restaurant mit großer Tradition), und er war himmlisch.

Dazu gab es Frankobolli, eine Brotspeise mit dem Aussehen einer Briefmarke. An langes Schlafen war in dieser Nacht nicht zu denken, dafür war die Stadt, waren wir zu wach und unternehmungslustig.

4. Juni

Die Fahrt durch den Apennin brachte etwas Kühle und war landschaftlich abwechslungsreich. Enge Kurven und jede Menge Hinweise, unbedingt die Geschwindigkeit zu beachten, führten uns durch eine gebirgige Landschaft und vorbei an wahren Wunderwerken von Trockenmauern, in deren Ritzen die schönsten Rosen und Gräser wuchsen. Es gab nur wenige Häuser am Wegesrand, einige wirkten sehr gepflegt, andere sahen heruntergekommen aus, verlassen, das eine oder andere wurde zum Verkauf angeboten. Landflucht aufgrund mangelnder Arbeitsmöglichkeiten wie überall; Landflucht, weil die Alten sterben und die Jungen in die Städte streben, dachte ich bei mir.

Unterwegs Levante, ein hübscher Badeort, wir wählten ihn für eine Rast am Strand, der noch nicht überlaufen ist. Dann, etwa eine Stunde später, unser Hotel in Recco am Rande eines Hügels. Es muss einmal ein hübsches Anwesen gewesen sein, doch dann hat man es rundherum zugebaut und als besondere Kulisse eine Autobahn in den Hintergrund gestellt. Unser Zimmer hatte den Charme der sechziger Jahre, aber das Essen war hervorragend und wir erfuhren viel über den Ursprung jenes toskanischen Fladenbrots mit Rosmarin, das hier erfunden wurde: die Foccacia. Außerdem gab es einen hervorragenden Anschluss an die Bahn nach Genua beziehungsweise La Spezia und damit auch in die Cinque Terre.

5. Juni

Nun sehe ich sie leibhaftig: die Cinque Terre. Ein paar Mal sind wir weiträumig an ihnen vorbeigekommen, nie reichte die Zeit für einen Abstecher. Nun also einen ganzen Tag für eine Wanderung in den Cinque Terre.

Voller Tatendrang nahmen wir die Bahn nach Riomaggiore. Unsere Absicht war, die Wanderstrecke am Meer entlang zu nehmen, weil sie uns als

besonders schön erschien. Doch in Riomaggiore wurde unser Tatendrang erst einmal gestoppt. Am 25. Oktober 2011 gab es in den Cinque Terre ein schweres Unwetter, das, unter anderem, die Via Amore, die wir uns zum Wandern ausgesucht hatten, derart stark beschädigte, dass sie unbegehbar wurde und bis heute ist. In Vernazza kann man das ganze Ausmaß der Schlammlawine und die Zerstörung, die sie hinterließ, auf einer Gedenktafel nachvollziehen. Eine innere Vorsicht gab uns ein, mit der Bahn zurück bis Manarola zu fahren und von dort erneut ein Wanderversuch zu starten.

Wir nahmen den Weg über den Berggipfel (300 Meter über dem Meeresspiegel). Es war heiß, der Weg kein Zuckerschlecken und eher etwas für Bergziegen denn für Stadtmenschen, vor allem, wenn sie im Flachland leben (später erfuhren wir, wären wir von Riomaggiore aus über den Berg gelaufen, wäre alles noch viel beschwerlicher gewesen). Nach vier Stunden – und einem Zwischenstopp in Volastra, wo wir in einem kleinen Laden eines der besten Pane mit Tomaten, Pesto und Mozzarella erhielten -, erreichten wir die Ortsgrenze von Corniglia, stiegen gefühlte fünfhundert Treppen zum Bahnhof hinab. Der Höhenweg ist nichts für Menschen mit Höhenangst, der Blick über die Berghänge aufs Meer, auf die am Felsen klebenden Orte, jedoch unbeschreiblich. Gutes Schuhwerk ist in jedem Fall angebracht.

Von Corniglia fuhren wir mit der Bahn zum berühmten Vernazza. Wer kennt nicht die wunderschönen Bilder von Vernazza mit Nachmittag- und Abendstimmung. Um es kurz zu machen, wir waren von Vernazza ziemlich enttäuscht. Dieser Rummel, dieser Nepp, und die in Italien so bekannte Gastfreundschaft, hier findet man sie kaum, weshalb wir auch nach Monterosso al Mare flüchteten, das uns weitaus besser gefiel, vor allem, weil es dort ruhiger und beschaulicher zuging.

Die Zugstrecke durch die Cinque Terre sollte keiner versäumen, der hierher kommt!

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