Jedes Volk hat die Regierungs-Form, die es verdient…,
nach Joseph Marie Comte de Maistre (1753-1821)
16.04.2025, Teil III, II
— Fortsetzung —
Europas nationalistische Zeitenwende —
der Seiten-Wechsel zur Nationalstaatlichkeit früherer Jahrhunderte
Nationalistische Bewegungen und Parteien in England
Aus UKIP wird Brexit Party
Am 20. Januar 2019 wurde von Catherine Blaiklock und mit Wissen sowie Duldung durch Nigel Farage die sog. Brexit Party gegründet. Kurz darauf traten Farage, Galionsfigur der UKIP sowie sieben EU-Parlamentarier, der neugegründeten Partei bei. Die Brexit Party ging als Abspaltung aus der UK Independence Party, UKIP, hervor, deren Vorsitzender Farage mit kurzen Unterbrechungen von 2006-2016 war. Farage und andere UKIP-Prominente sowie der Großteil der Parteimitglieder wechselten zur Brexit Party, da die UKIP unter ihrem neuen Vorsitzenden Gerard Batten zu rechtsextremistisch und islamfeindlich geworden war. Wie von Farage vorhergesagt, stürzte die UKIP in den folgenden Monaten (2018-2019) in die Bedeutungslosigkeit ab. So verlor die UKIP sowohl bei Unterhaus- als auch bei Europawahlen nach und nach alle Parlamentssitze, während Farage mit seiner Brexit Party triumphierte.
Gemeinsame Positionen von UKIPund BP
Interessant ist, dass UKIP und Farages Brexit Party fast identische Parteiprogramme vertraten. So behaupteten etwa beide Lager, dass der EU-Austritt dem britischen Steuerzahler 120 Milliarden Britische Pfund sparen würde, sodann forderten beide die Einführung von verbindlichen Volksentscheiden, auch wollten sowohl UKIP als auch BP den Staat verschlanken und Bürokratie abbauen, den Ultras wollten sie die Einführung des sog. „Georgstages“ als Nationalfeiertag schenken, anstatt Klimaschutz forderten beide rechtspopulistische Lager den Ausbau von „sauberen“ Kohlekraftwerken und der Kernenergie, mit Vehemenz vertraten sie die Ablehnung des sog. „Multikulturalismus‘ „, verbunden mit einem Stopp der „unkontrollierten Einwanderung nach GB“ (seinerzeit primär via Eurotunnel Calais-Dover), ferner das Verbot von Burkas und Niqaps (Gesichtsschleier) in öffentlichen Gebäuden, etc.pp. . Anders jedoch als Batten gelang Farage der Balanceakt zwischen populistischem Rechtsradikalismus und verbotenem, weil kriminellem, staatsfeindlichem Rechtsextremismus.
Anfänglich war die Brexit Party also ein rechtspopulistisches Sammelbecken, das in GB vor allem politischen Druck aufbauen sollte, um die EU-Austrittsverhandlungen, die sich seit dem Referendum 2016 schleppend dahinzogen, zu beschleunigen. Auch schwankte seit 2016 die Öffentliche Meinung zwischen dem Verbleib in der EU und dem Brexit hin und her. Nachdem Blaiklock über islamfeindliche Äußerungen gestolpert war, übernahm am 20. März 2019 Nigel Farage den Parteivorsitz und damit die Führung der Brexit Party. Und nur wenige Wochen später, bei der britischen Europawahl am 23. Mai 2019, erreichte die Brexit Party 30,5% der Stimmen — mehr als Torys und Labour zusammen — und wurde sowohl in GB als auch im EU-Parlament stärkste Einzelpartei mit 29 Abgeordneten.
Nachdem der Brexit rechtlich vollzogen war (31. Januar 2020), nannte Farage und Richard Tice ihre Brexit-Partei in „Reform UK“-Partei um (04. Januar 2021). Die „Reform UK“-Partei ist europaskeptisch, gegen Einwanderung, lehnte seinerzeit Maßnahmen gegen die Covid-19-Pandemie ab und leugnet den Klimawandel. Einigen Parteivertretern werden antiwestliche (inzwischen pro Trump-Bannon) sowie prorussische Positionen nachgesagt.
Die „Reform UK“-Partei ist, ein Novum, keine Partei im eigentlichen Sinne, sondern eine Kapitalgesellschaft, d.h. sie hat keine stimmberechtigten Mitglieder, sondern lediglich „Unterstützer“, die für die Bewegung spenden. Sie ist folglich im Handelsregister mit einer Unternehmensnummer gelistet. Mit diesem Schachzug hebelte Farage diverse Beschränkungen, die für Parteien gelten, geschickt aus.
Das Polit-Tandem Farage-Johnson
Einige politische Eckdaten zu Boris Johnson, der innerhalb des etablierten Parteienspektrums — Tories, Labour, Liberale — als der Türöffner für die Brexiters fungierte: Johnson war ein konservativer Politiker, ein sog. „Tory“. Zunächst, am 23. Juli 2019, wurde er Parteiführer der Conservative Party („Tories“), um sodann vom Juli 2019 bis zum September 2022 das Amt des britischen Premierministers des Vereinigten Königreichs sowie Vorsitzender des Commonwealth of Nations zu bekleiden. Von 2008-2016 war Johnson Bürgermeister von London und von Juli 2016 bis Juli 2018 britischer Außenminister im Kabinett Theresa Mays. Nach einer Anhäufung von Skandalen verlor Johnson seinen Rückhalt in der Tory-Partei und schied im Juni 2023 aus dem Parlament aus.
Johnson war innerhalb des etablierten Parteienspektrums der wohl prominenteste Befürworter und Hardliner des Brexit und als Tory einer der aussichtsreichsten Kandidaten David Cameron als Parteiführer zu beerben.
Nach anfänglichem Zögern sprach sich Johnson, damals noch Bürgermeitster von London und assoziiertes Mitglied im Cameron-Kabinett, im Februar 2016 für die Unterstützung der Kampagne Vote Leave aus. Diese Organisation war parteiübergreifend und im Oktober 2015 gegründet worden, um den Brexit zu forcieren. Johnson seinerseits bezeichnete Camerons berechtigte Sorgen und fundierte Argumente bzgl. eines EU-Austrittes als „Panikmache“ und „maßlos übertrieben“. Er, Johnson, wolle eine grundlegende Änderung in den Beziehungen zwischen dem VK und der EU erreichen. Sehr schnell profilierte sich Johnson zum wichtigsten Fürsprecher des Brexit und wurde zusammen mit Nigel Farage zum Führungs-Tandem der sog. „Brexiters“. Johnson machte den Brexit sowohl für konservative Politiker als auch in der Öffentlichen Meinung salonfähig, während Farages UKIP bzw. BP sowie Organisationen wie Vote Leave die Stimmung in der Bevölkerung aufpeitschten. Seit Juli 2016 Außenminister im Kabinett May I, veröffentlicht Johnson im September 2017 ein vielbeachtetes Statement mit dem Titel: „My vision for a bold, thriving Britain enabled by Brexit“. (Liest man den Text, muss man Altbundeskanzler Helmut Schmidt recht geben, der einmal sagte: „Wer Visionen hat, sollte zum Arzt gehen…“ In Kürze: Das Paper listet zunächst bekannte Thatcher-Narrative kombiniert mit Ressentiments gegen „Brüssel“ auf, scheint dann Vor- und Nachteile eines Brexit abzuwägen, um zuletzt eine Vision von Britanniens globaler Zukunfts-Funktion und Stärke mit prosperierender Wirtschaft und „blühenden Landschaften“ zu entwerfen. Letzteres nahe am Hurra-Patriotismus und fern jeglicher Realität. En passant, reziproke Beziehung: Johnson bewundert Trump, so wie dieser die engl. Monarchie bewundert… Britains ‚America First!‘ und vice versa) Im Juli 2018 trat Johnson von seinem Amt als Außenminister zurück, wurde jedoch ein Jahr später, im Juli 2019, nach dem Rücktritt Mays, zunächst zum Parteiführer der Konservativen gewählt und nachfolgend durch die Queen zum Premierminister ernannt. Johnson und David Davis, ehemals zuständiger Minister für den Austritt aus der Europäischen Union, galten als die prominentesten Tory-Hardliner eines Brexit. Kaum zum Premierminister ernannt, argumentierte Johnson fortan, dass sein Job als Premier vor allem darin bestehe, den Brexit nun zügig zu vollziehen. Sein mantraartiger Slogan lautete: „Get Brexit Done!“. Als er jedoch im Laufe des Jahres 2019 mit verschiedenen Vorhaben und eigenmächtigen Initiativen scheiterte, den Brexit autokratisch in die Wege zu leiten und ohne ein Abkommen mit der EU diese zu verlassen (der sog. „No-Deal-Brexit“), eskalierte die verfahrene Situation zusehends: Mal versagten ihm wichtige Teile der Konservativen die Gefolgschaft, mal stellte sich das Unterhaus quer, mal leistete der Speaker, John Bercow, Widerstand, dann beurlaubte Johnson das Unterhaus, setzte Neuwahlen an, erreichte darin jedoch nicht die nötige Zweidrittelmehrheit. Daufhin rief Johnson Neuwahlen aus, die die Konservativen im Dezember 2019 mit deutlichen Zugewinnen, auch in verschiedenen Labour-Hochburgen, gewannen.
Im Februar 2020 nahm Johnson eine Kabinettumbildung vor, und ersetzte vier Minister:innen sowie den amtierenden Schatzkanzler, Sajid Javid, durch Rishi Sunak. Johnson versuchte auf diese Weise sein Kabinett „auf Linie“, also pro Brexit, zu bringen und die Macht bei sich zu konzentrieren.
Im September 2020 warb Johnson für ein Binnenhandelsgesetz, das jedoch den Nord-Irland Regelungen des Austrittsabkommens mit der EU dermaßen widersprach und zudem gegen internationales Recht verstieß, dass alle ehemaligen noch lebenden Premierminister, Parteigranden und führende Tories sich gegen dieses Gesetz vehement aussprachen.
Jenseits der Brexit-Problematik hangelte sich Johnson zudem von Skandal zu Skandal (vgl. „Partygate“-Affäre während der COVID-19-Pandemie, Vetternwirtschaft, seine verschwenderische Renovierung von „Downing Street 10“, Berufung Christopher Pinchers zum Deputy Chief Whip, u.a.m.), so dass er am 7. Juli 2022 schließlich seinen Rücktritt als Parteiführer der Tories vollzog sowie seinen Rücktritt als Premierminister in Aussicht stellte. Lis Truss wurde am 6. September 2022 seine Nachfolgerin in beiden Ämtern. Im Juni 2023 legte Johnson auch sein Unterhausmandat nieder und schied aus der aktiven Politik aus. Allerdings nutzte er weiterhin jede sich bietende Gelegenheit (etwa Trumps zweiten Amtsantritt), um sich wieder für hohe Parteiämter und Regierungspositionen anzubiedern.
— Fortsetzung folgt —