Thomas Berger
ERFAHRUNGEN IM ALTER
̶ Auszug ̶
In den hoch entwickelten Ländern ist die durchschnittliche Lebenserwartung in den letzten Jahrzehnten kontinuierlich gestiegen. In Deutschland beispielsweise betrug sie im Jahre 1950 für Frauen 68,5 und für Männer 64,6 Jahre. 2015 waren es für Frauen 83,4, für Männer 78,4 Jahre. Wenn keine Kriege oder Seuchen auftreten, dürfte sich der Trend fortsetzen, durch neue bahnbrechende Erfolge in der Medizin sogar noch verstärken.
Wir haben allen Grund, uns über länger gewordene Lebenszeiten zu freuen. Aber auch dieser Fortschritt hat seinen Preis: Der alternde Mensch stößt an Grenzen. Diese sind mannigfaltig und schwerwiegend. So treten im höheren Alter häufig körperliche und seelische Krankheiten auf, Schlaganfall etwa oder Demenz – oder durch Einsamkeit hervorgerufene Depression. Aber auch ohne größere Erkrankungen ist das Alter eine Zeit der Beeinträchtigungen: Was in früheren Jahren leicht und schnell gelang, fällt zunehmend schwerer und geht nur langsam vonstatten. Berufliche oder andere Herausforderungen, deren Bewältigung das Selbstwertgefühl zu stärken vermag, fehlen meist. Die Umwelt, neue Entwicklungen, ehemals vertraute Kontakte treten mehr und mehr zurück. Es kommt nicht selten zu einer Entfremdung zwischen der Welt und dem alt gewordenen Menschen, wozu auch der immer stärker werdende Jugendwahn beiträgt. Aber auch die nachlassenden Funktionen des eigenen Körpers können ein Fremdheitsgefühl hervorrufen. „Das Alter“, beklagte einmal der frühere französische Staatspräsident Charles de Gaulle, „ist ein Schiffbruch“.
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